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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Literatur,

hantirte, so ließ er sich von träumerischem Wohlbehagen forttreiben, und der
Schatten auf seiner Stirn wich einem glücklichen Lächeln, Als der Podagm-
cmfall anhielt und den Baron verhinderte, die gewohnten Spazierritte mit seiner
Tochter zu machen, bot er Eberhardt den hellbraunen Wallach an und forderte
ihn auf, Dorothea zu begleiten.

Ich vermute, sagte er zu sich selber, daß es ihr mehr Vergnügen macht,
mit diesem jungen Menschen zu reiten, als mit einem alten Brummbär,, wie ich
bin. Sie kann ein Wort über Kunst mit ihm reden, was sie liebt, und wozu
ich doch beim besten Willen nicht imstande bin.

Lebhafter als sonst fühlte der alte Herr während seiner schmerzensvollcn
Einsamkeit Gewissensbisse wegen seines Benehmens gegen seine Tochter.

Sie kann nichts dafür, daß sie kein Junge ist, sagte er sich, und doch hat
sie schwer darunter zu leiden gehabt. Sie erinnert mich oft an ihre Mutter.
Dies ruhige Wesen, mit dem sie meine Launen erträgt, hat sie von ihrer Mutter
geerbt, und es ist mir ein Vorwurf. Ich habe beiden nicht viel Freude im
Leben bereitet. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Wille zum Leben oder Wille zum Guten? Ein Vortrag über Ed. v. Hartmanns
Philosophie. Von Alfred Weber. Straßbnrg, Trübner, 1882.

Der Verfasser dieses interessanten Vortrages ist einer der wenigen altstraß-
burgcr Professoren, welche an die neue deutsche Universität übergetreten sind. Er
stimmte, was man leider von verschwindend wenigen Elsässern sagen kann, der
Neuordnung der Dinge rückhaltslos zu, weil seine ganze Bildung im deutschen
Geistesleben wurzelt. Zwar hat er seine Hauptwerke in französischer Sprache ge¬
schrieben, aber er konnte dadurch umso eher als Vermittler und Interpret deutscher
Gedanken bei den Franzosen wirken. Das vorliegende Schriftchen ist ein neuer
Beweis seiner intensiven Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Zeit- und Streit¬
fragen in Deutschland. Es enthält eine seiner Vorlesungen über die Philosophie
der Gegenwart und zeigt ihn auch als anregenden Lehrer.

Der Verfasser giebt zunächst eine knappe, aber lichtvolle Darstellung der
Hartmcmnschen Philosophie und schließt daran eine scharfe Kritik derselben. Er
findet den Hauptirrtum Hartmanns in der falschen Verbindung von Pessimismus und
Willensmetaphysik. Daß Schopenhauer und Hartmann den Willen "als den innersten
Kern unsers Wesens und aller Wesen" annehmen, billigt Weber, denn "sie thun
dies in Übereinstimmung mit den besten unter den neuern Philosophen"; aber
dieser metaphysische Grundwille geht in letzter Linie nicht auf das Leben als höchsten
Zweck -- bei dieser Annahme kann man dem Pessimismus nicht entrinnen --, sondern
das Ziel jenes Willens ist das Gute, dem das Leben nnr als Mittel dient.
Schopenhauer oder Fichte -- so lautet für Weber die Alternative. Er stellt sich
auf Fichtes Seite, betrachtet mit ihm die "Welt als das Material unserer Pflicht,"
das Absolute nicht als den blinden und dummen Trieb zum Leben als solchem,
sondern als den Willen zum Guten, der sich im Leben verwirklicht. Um dieser
Verwirklichung des Guten willen muß das von dem Dasein untrennbare Übel


Literatur,

hantirte, so ließ er sich von träumerischem Wohlbehagen forttreiben, und der
Schatten auf seiner Stirn wich einem glücklichen Lächeln, Als der Podagm-
cmfall anhielt und den Baron verhinderte, die gewohnten Spazierritte mit seiner
Tochter zu machen, bot er Eberhardt den hellbraunen Wallach an und forderte
ihn auf, Dorothea zu begleiten.

Ich vermute, sagte er zu sich selber, daß es ihr mehr Vergnügen macht,
mit diesem jungen Menschen zu reiten, als mit einem alten Brummbär,, wie ich
bin. Sie kann ein Wort über Kunst mit ihm reden, was sie liebt, und wozu
ich doch beim besten Willen nicht imstande bin.

Lebhafter als sonst fühlte der alte Herr während seiner schmerzensvollcn
Einsamkeit Gewissensbisse wegen seines Benehmens gegen seine Tochter.

Sie kann nichts dafür, daß sie kein Junge ist, sagte er sich, und doch hat
sie schwer darunter zu leiden gehabt. Sie erinnert mich oft an ihre Mutter.
Dies ruhige Wesen, mit dem sie meine Launen erträgt, hat sie von ihrer Mutter
geerbt, und es ist mir ein Vorwurf. Ich habe beiden nicht viel Freude im
Leben bereitet. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Wille zum Leben oder Wille zum Guten? Ein Vortrag über Ed. v. Hartmanns
Philosophie. Von Alfred Weber. Straßbnrg, Trübner, 1882.

Der Verfasser dieses interessanten Vortrages ist einer der wenigen altstraß-
burgcr Professoren, welche an die neue deutsche Universität übergetreten sind. Er
stimmte, was man leider von verschwindend wenigen Elsässern sagen kann, der
Neuordnung der Dinge rückhaltslos zu, weil seine ganze Bildung im deutschen
Geistesleben wurzelt. Zwar hat er seine Hauptwerke in französischer Sprache ge¬
schrieben, aber er konnte dadurch umso eher als Vermittler und Interpret deutscher
Gedanken bei den Franzosen wirken. Das vorliegende Schriftchen ist ein neuer
Beweis seiner intensiven Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Zeit- und Streit¬
fragen in Deutschland. Es enthält eine seiner Vorlesungen über die Philosophie
der Gegenwart und zeigt ihn auch als anregenden Lehrer.

Der Verfasser giebt zunächst eine knappe, aber lichtvolle Darstellung der
Hartmcmnschen Philosophie und schließt daran eine scharfe Kritik derselben. Er
findet den Hauptirrtum Hartmanns in der falschen Verbindung von Pessimismus und
Willensmetaphysik. Daß Schopenhauer und Hartmann den Willen „als den innersten
Kern unsers Wesens und aller Wesen" annehmen, billigt Weber, denn „sie thun
dies in Übereinstimmung mit den besten unter den neuern Philosophen"; aber
dieser metaphysische Grundwille geht in letzter Linie nicht auf das Leben als höchsten
Zweck — bei dieser Annahme kann man dem Pessimismus nicht entrinnen —, sondern
das Ziel jenes Willens ist das Gute, dem das Leben nnr als Mittel dient.
Schopenhauer oder Fichte — so lautet für Weber die Alternative. Er stellt sich
auf Fichtes Seite, betrachtet mit ihm die „Welt als das Material unserer Pflicht,"
das Absolute nicht als den blinden und dummen Trieb zum Leben als solchem,
sondern als den Willen zum Guten, der sich im Leben verwirklicht. Um dieser
Verwirklichung des Guten willen muß das von dem Dasein untrennbare Übel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/444>, abgerufen am 19.05.2024.