Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.Henri Regnault. anzuspornen. Die Erinnerung an ihn weckt den schlummernden Chauvinismus Henri Regnault. anzuspornen. Die Erinnerung an ihn weckt den schlummernden Chauvinismus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0526" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152362"/> <fw type="header" place="top"> Henri Regnault.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1980" prev="#ID_1979" next="#ID_1981"> anzuspornen. Die Erinnerung an ihn weckt den schlummernden Chauvinismus<lb/> zu immer neuen Drohungen und Schmähungen gegen die „Mörder." Jules<lb/> Claretin, der fanatische Publizist, steht nicht vereinzelt da, indem er den Tod<lb/> Rcgnanlts un meurtrg swpiäg nannte, nud er sprach gewiß ans dem Herzen der<lb/> meisten seiner Landsleute, indem er eine Besprechung der Publikation von Reguaults<lb/> Briefe» mit der emphatischen Apostrophe schloß: „Wir selbst haben früher,<lb/> ebenso großmütig wie naiv, deu Hingang eines Theodor Körner, des deutsche»<lb/> Tyrtcius, welcher im Kampfe gegen uns den Tod fand, eifrig gefeiert. Es ist<lb/> hoch an der Zeit, in gleicher Weise diesen Künstler zu feiern, welcher für unser<lb/> Vaterland und von der Hand der Brüder Körners starb!" Hat doch selbst das<lb/> Generalkvmmissariat der Pariser Weltausstellung in der elegischen Vorrede zum<lb/> offiziellen Kataloge, welche den Tod so vieler ausgezeichneten Künstler beklagt,<lb/> der „jungen Leute, die in der Blüte ihrer Jugend auf den Schlachtfeldern ge¬<lb/> fallen sind wie Henri Regnault" gedacht, ohne daß in Wirklichkeit außer ihm<lb/> Verluste von Künstlern zu betrauern sind, von welchen die französische Kunst<lb/> großes zu erwarten hatte. Auch Regnault wäre, wenn er sich auf der von<lb/> ihm betretenen Bahn weiter fortbewegt hätte, für die fernere Entwicklung<lb/> der französischen Kunst eher schädlich als förderlich gewesen. Wenn man seine<lb/> Werke mit Augen betrachtet, welche nicht durch das leidenschaftliche Feuer des<lb/> Patriotismus getrübt sind, kommt man notwendig zu dem Schlüsse, daß es<lb/> diesem durch und durch auf den äußeren Effekt, uns das Blendwerk eines kom-<lb/> plizirten koloristischen Apparates angelegten Talente vollkommen an jener mäch¬<lb/> tigen Innerlichkeit der schöpferischen Seele fehlte, welche allein die Bürgschaft<lb/> großer Thaten ist, welche das Genie von der Routine, welche Delacroix<lb/> von Delaroche trennt. Charles Blane ist der einzige von den französischen Kri¬<lb/> tikern gewesen, welcher sich in Betreff Negnaults die Nüchternheit des Urteils<lb/> bewahrt hat. „Wäre Regnault ein großer Maler geworden?" fragt er in seiner<lb/> Charakteristik des Künstlers. „Man darf es wohl glauben. Indessen hätten seine<lb/> entschiedenen Neigungen für den Realismus und deu Kolorismus ihn vom<lb/> rechten Wege abwendig machen oder ihn wenigstens daran hindern können, den<lb/> höchsten Gipfel zu erreichen. Regnault war, wie man zugeben muß, der rechte<lb/> Sohn seiner Zeit. Er gehörte zu jeuer Künstlergencrativn, welche, bis zur<lb/> Sinnlosigkeit eingenommen für die Außenseiten der Natur, an der menschlichen<lb/> Kleidung, an den Trachten der verschiedenen Völker, an der Fassade der Paläste,<lb/> an dem ersten Anblick der Dinge hängen bleibt. Als ob die menschliche Seele<lb/> nichts mehr hätte, was unsre Kunst zu interessiren würdig wäre, zieht mau es<lb/> vor, die prächtige Hülle eines Arabers oder die grellfarbigen Lumpen eines<lb/> Spaniers wiederzugeben als irgend einen Gefühlsausdruck. Ach, so haben es<lb/> die großen Meister nicht verstanden, ich meine die größten. Was sehen wir<lb/> bei ihnen? Eine stolze Zeichnung, eine ruhige Wirkung, eine einfache Technik.<lb/> Die Formen, das Gepräge des beabsichtigten Charakters sind auserlesen in ihrer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0526]
Henri Regnault.
anzuspornen. Die Erinnerung an ihn weckt den schlummernden Chauvinismus
zu immer neuen Drohungen und Schmähungen gegen die „Mörder." Jules
Claretin, der fanatische Publizist, steht nicht vereinzelt da, indem er den Tod
Rcgnanlts un meurtrg swpiäg nannte, nud er sprach gewiß ans dem Herzen der
meisten seiner Landsleute, indem er eine Besprechung der Publikation von Reguaults
Briefe» mit der emphatischen Apostrophe schloß: „Wir selbst haben früher,
ebenso großmütig wie naiv, deu Hingang eines Theodor Körner, des deutsche»
Tyrtcius, welcher im Kampfe gegen uns den Tod fand, eifrig gefeiert. Es ist
hoch an der Zeit, in gleicher Weise diesen Künstler zu feiern, welcher für unser
Vaterland und von der Hand der Brüder Körners starb!" Hat doch selbst das
Generalkvmmissariat der Pariser Weltausstellung in der elegischen Vorrede zum
offiziellen Kataloge, welche den Tod so vieler ausgezeichneten Künstler beklagt,
der „jungen Leute, die in der Blüte ihrer Jugend auf den Schlachtfeldern ge¬
fallen sind wie Henri Regnault" gedacht, ohne daß in Wirklichkeit außer ihm
Verluste von Künstlern zu betrauern sind, von welchen die französische Kunst
großes zu erwarten hatte. Auch Regnault wäre, wenn er sich auf der von
ihm betretenen Bahn weiter fortbewegt hätte, für die fernere Entwicklung
der französischen Kunst eher schädlich als förderlich gewesen. Wenn man seine
Werke mit Augen betrachtet, welche nicht durch das leidenschaftliche Feuer des
Patriotismus getrübt sind, kommt man notwendig zu dem Schlüsse, daß es
diesem durch und durch auf den äußeren Effekt, uns das Blendwerk eines kom-
plizirten koloristischen Apparates angelegten Talente vollkommen an jener mäch¬
tigen Innerlichkeit der schöpferischen Seele fehlte, welche allein die Bürgschaft
großer Thaten ist, welche das Genie von der Routine, welche Delacroix
von Delaroche trennt. Charles Blane ist der einzige von den französischen Kri¬
tikern gewesen, welcher sich in Betreff Negnaults die Nüchternheit des Urteils
bewahrt hat. „Wäre Regnault ein großer Maler geworden?" fragt er in seiner
Charakteristik des Künstlers. „Man darf es wohl glauben. Indessen hätten seine
entschiedenen Neigungen für den Realismus und deu Kolorismus ihn vom
rechten Wege abwendig machen oder ihn wenigstens daran hindern können, den
höchsten Gipfel zu erreichen. Regnault war, wie man zugeben muß, der rechte
Sohn seiner Zeit. Er gehörte zu jeuer Künstlergencrativn, welche, bis zur
Sinnlosigkeit eingenommen für die Außenseiten der Natur, an der menschlichen
Kleidung, an den Trachten der verschiedenen Völker, an der Fassade der Paläste,
an dem ersten Anblick der Dinge hängen bleibt. Als ob die menschliche Seele
nichts mehr hätte, was unsre Kunst zu interessiren würdig wäre, zieht mau es
vor, die prächtige Hülle eines Arabers oder die grellfarbigen Lumpen eines
Spaniers wiederzugeben als irgend einen Gefühlsausdruck. Ach, so haben es
die großen Meister nicht verstanden, ich meine die größten. Was sehen wir
bei ihnen? Eine stolze Zeichnung, eine ruhige Wirkung, eine einfache Technik.
Die Formen, das Gepräge des beabsichtigten Charakters sind auserlesen in ihrer
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