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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

Freude in trüben Stunden, als Führer in vielen Kämpfen der Seele, ja sogar
als vortrefflichen Ratgeber in wissenschaftlichen Problemen. Daher ist uns
daran gelegen, daß sein Bild immer reiner und freier von den Schlacken, welche
die Zeitgenossen daran heften mochten, durch die historische Forschung hervor¬
trete. Wir können es wohl ertragen, wenn ihm hie und da in wissenschaft¬
lichen Fachstudien Irrtümer nachgewiesen werden -- es irrt der Mensch, so
lang er strebt; aber wir empfinden es schmerzlich, wenn ihm auf irgend einem
Gebiete, auf dem er ernstlich strebend uno forschend thätig war, der Mangel
bestimmter geistiger Fähigkeiten oder eine prinzipiell verkehrte Richtung vor¬
geworfen wird.

Vielleicht ist gerade diese Empfindung der Goetheverehrer und -Freunde
bei den oft gehörten Angriffen der Naturforscher auf dessen wissenschaftliche
Arbeiten ein mitwirkendes Motiv gewesen, um nach einander Virchow, Helm-
holtz und zuletzt Dubois-Reymond zu bestimmen, ihr Urteil über Goethes
Leistungen in der Naturwissenschaft abzugeben. Sie haben freilich die unbehag¬
liche Empfindung zum Teil nur gesteigert und sich bemüht, ihren eignen, ganz
andern prinzipiellen Standpunkt in ein möglichst günstiges Licht zu setzen. Helm-
holtz (s. dessen populär-wissenschaftlichen Vorträge, 1866) giebt zunächst die
bahnbrechenden Verdienste Goethes um die beschreibenden Naturwissenschaften
zu, besonders in der Botanik und in der vergleichenden Anatomie, meint aber,
in der physikalischen Wissenschaft der Optik sei es ihm nicht möglich geworden,
den richtigen Standpunkt zu erreichen. Er sucht sich diese sonderbare Thatsache
so zurechtzulegen: Goethe war ein Dichter, d. i. ein Künstler, dessen hervor¬
ragende Begabung darin bestand, Ideen, die er konzipirte, in schöner Form zu
gestalten. So stand er der Natur wie einem Kunstwerk gegenüber, welches er
als die sinnliche Erscheinung einer Idee betrachtete. Dieser Idee, diesem gei¬
stigen Gehalt der Naturerscheinung suchte er in seinen Gedanken sich zu nähern,
und dadurch konnte er in den beschreibenden Naturwissenschaften Gesetze der
Formenbildung entdecken, welche doch eigentlich, genau besehen, keine brauchbaren
Naturgesetze waren, denn er kümmerte sich dabei garnicht um den Mechanismus
der Materie. Dieser später oft wiederholte Vorwurf taucht hier, wie es scheint,
zum erstenmale auf. Der Goethische Ausspruch, daß man die verschiedenen
Formen der Blätter, Knospen und Blüten einer Pflanze als aus der Wieder¬
holung und Umbildung gleichartiger Gebilde hervorgegangen betrachten könne,
verwandelt sich in der für Helmholtz allein richtigen Sprache der mechanischen
Naturforscher in einen Satz wie etwa: "Die Blütentcile wie die Blätter sind
seitliche Anhänge der Pflanzeuachse," und um das zu sehen, brauchte freilich
kein Goethe zu kommen. Goethe, als einem Dichter, sagt Helmholtz, war es
nur um den schönen Schein zu thun, nicht um die wirkliche Erklärung der Er¬
scheinung aus mechanischen Ursachen. Darum konnte er auch nicht die New-
tonsche Farbentheorie begreifen, denn es kam ihm von vornherein völlig absurd


Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

Freude in trüben Stunden, als Führer in vielen Kämpfen der Seele, ja sogar
als vortrefflichen Ratgeber in wissenschaftlichen Problemen. Daher ist uns
daran gelegen, daß sein Bild immer reiner und freier von den Schlacken, welche
die Zeitgenossen daran heften mochten, durch die historische Forschung hervor¬
trete. Wir können es wohl ertragen, wenn ihm hie und da in wissenschaft¬
lichen Fachstudien Irrtümer nachgewiesen werden — es irrt der Mensch, so
lang er strebt; aber wir empfinden es schmerzlich, wenn ihm auf irgend einem
Gebiete, auf dem er ernstlich strebend uno forschend thätig war, der Mangel
bestimmter geistiger Fähigkeiten oder eine prinzipiell verkehrte Richtung vor¬
geworfen wird.

Vielleicht ist gerade diese Empfindung der Goetheverehrer und -Freunde
bei den oft gehörten Angriffen der Naturforscher auf dessen wissenschaftliche
Arbeiten ein mitwirkendes Motiv gewesen, um nach einander Virchow, Helm-
holtz und zuletzt Dubois-Reymond zu bestimmen, ihr Urteil über Goethes
Leistungen in der Naturwissenschaft abzugeben. Sie haben freilich die unbehag¬
liche Empfindung zum Teil nur gesteigert und sich bemüht, ihren eignen, ganz
andern prinzipiellen Standpunkt in ein möglichst günstiges Licht zu setzen. Helm-
holtz (s. dessen populär-wissenschaftlichen Vorträge, 1866) giebt zunächst die
bahnbrechenden Verdienste Goethes um die beschreibenden Naturwissenschaften
zu, besonders in der Botanik und in der vergleichenden Anatomie, meint aber,
in der physikalischen Wissenschaft der Optik sei es ihm nicht möglich geworden,
den richtigen Standpunkt zu erreichen. Er sucht sich diese sonderbare Thatsache
so zurechtzulegen: Goethe war ein Dichter, d. i. ein Künstler, dessen hervor¬
ragende Begabung darin bestand, Ideen, die er konzipirte, in schöner Form zu
gestalten. So stand er der Natur wie einem Kunstwerk gegenüber, welches er
als die sinnliche Erscheinung einer Idee betrachtete. Dieser Idee, diesem gei¬
stigen Gehalt der Naturerscheinung suchte er in seinen Gedanken sich zu nähern,
und dadurch konnte er in den beschreibenden Naturwissenschaften Gesetze der
Formenbildung entdecken, welche doch eigentlich, genau besehen, keine brauchbaren
Naturgesetze waren, denn er kümmerte sich dabei garnicht um den Mechanismus
der Materie. Dieser später oft wiederholte Vorwurf taucht hier, wie es scheint,
zum erstenmale auf. Der Goethische Ausspruch, daß man die verschiedenen
Formen der Blätter, Knospen und Blüten einer Pflanze als aus der Wieder¬
holung und Umbildung gleichartiger Gebilde hervorgegangen betrachten könne,
verwandelt sich in der für Helmholtz allein richtigen Sprache der mechanischen
Naturforscher in einen Satz wie etwa: „Die Blütentcile wie die Blätter sind
seitliche Anhänge der Pflanzeuachse," und um das zu sehen, brauchte freilich
kein Goethe zu kommen. Goethe, als einem Dichter, sagt Helmholtz, war es
nur um den schönen Schein zu thun, nicht um die wirkliche Erklärung der Er¬
scheinung aus mechanischen Ursachen. Darum konnte er auch nicht die New-
tonsche Farbentheorie begreifen, denn es kam ihm von vornherein völlig absurd


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[0628] Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft. Freude in trüben Stunden, als Führer in vielen Kämpfen der Seele, ja sogar als vortrefflichen Ratgeber in wissenschaftlichen Problemen. Daher ist uns daran gelegen, daß sein Bild immer reiner und freier von den Schlacken, welche die Zeitgenossen daran heften mochten, durch die historische Forschung hervor¬ trete. Wir können es wohl ertragen, wenn ihm hie und da in wissenschaft¬ lichen Fachstudien Irrtümer nachgewiesen werden — es irrt der Mensch, so lang er strebt; aber wir empfinden es schmerzlich, wenn ihm auf irgend einem Gebiete, auf dem er ernstlich strebend uno forschend thätig war, der Mangel bestimmter geistiger Fähigkeiten oder eine prinzipiell verkehrte Richtung vor¬ geworfen wird. Vielleicht ist gerade diese Empfindung der Goetheverehrer und -Freunde bei den oft gehörten Angriffen der Naturforscher auf dessen wissenschaftliche Arbeiten ein mitwirkendes Motiv gewesen, um nach einander Virchow, Helm- holtz und zuletzt Dubois-Reymond zu bestimmen, ihr Urteil über Goethes Leistungen in der Naturwissenschaft abzugeben. Sie haben freilich die unbehag¬ liche Empfindung zum Teil nur gesteigert und sich bemüht, ihren eignen, ganz andern prinzipiellen Standpunkt in ein möglichst günstiges Licht zu setzen. Helm- holtz (s. dessen populär-wissenschaftlichen Vorträge, 1866) giebt zunächst die bahnbrechenden Verdienste Goethes um die beschreibenden Naturwissenschaften zu, besonders in der Botanik und in der vergleichenden Anatomie, meint aber, in der physikalischen Wissenschaft der Optik sei es ihm nicht möglich geworden, den richtigen Standpunkt zu erreichen. Er sucht sich diese sonderbare Thatsache so zurechtzulegen: Goethe war ein Dichter, d. i. ein Künstler, dessen hervor¬ ragende Begabung darin bestand, Ideen, die er konzipirte, in schöner Form zu gestalten. So stand er der Natur wie einem Kunstwerk gegenüber, welches er als die sinnliche Erscheinung einer Idee betrachtete. Dieser Idee, diesem gei¬ stigen Gehalt der Naturerscheinung suchte er in seinen Gedanken sich zu nähern, und dadurch konnte er in den beschreibenden Naturwissenschaften Gesetze der Formenbildung entdecken, welche doch eigentlich, genau besehen, keine brauchbaren Naturgesetze waren, denn er kümmerte sich dabei garnicht um den Mechanismus der Materie. Dieser später oft wiederholte Vorwurf taucht hier, wie es scheint, zum erstenmale auf. Der Goethische Ausspruch, daß man die verschiedenen Formen der Blätter, Knospen und Blüten einer Pflanze als aus der Wieder¬ holung und Umbildung gleichartiger Gebilde hervorgegangen betrachten könne, verwandelt sich in der für Helmholtz allein richtigen Sprache der mechanischen Naturforscher in einen Satz wie etwa: „Die Blütentcile wie die Blätter sind seitliche Anhänge der Pflanzeuachse," und um das zu sehen, brauchte freilich kein Goethe zu kommen. Goethe, als einem Dichter, sagt Helmholtz, war es nur um den schönen Schein zu thun, nicht um die wirkliche Erklärung der Er¬ scheinung aus mechanischen Ursachen. Darum konnte er auch nicht die New- tonsche Farbentheorie begreifen, denn es kam ihm von vornherein völlig absurd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/628>, abgerufen am 19.05.2024.