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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Bloomfieldschen Memoiren.

mißhandelt haben würde, wenn Rechberg ihn nicht nach dein Wagen zurückgezerrt
hätte, als der Zug eben abfuhr.

Sie saßen jetzt in demselben Kupee mit einem polnischen Revolutionsagenten, der
einige Tage vorher eine wühlerische Rede vor dem auswärtigen Amte in Wien
gehalten hatte. Der Fürst hatte die Gewohnheit, einen Hut von eigentümlicher
Form zu tragen, und Graf Rechberg bat ihn dringend, denselben mit einer Mütze
zu vertauschen, aber er lehnte es bestimmt ab, indem er sagte, er wolle nicht wie
ein verrückter Engländer aussehen. Noch viel verdrießlicher als seine zerrissenen
und beschmutzten Kleider war ihm, daß er sich keine Cigarre anzünden konnte, da
seine Streichhölzer nicht brennen wollten. Sie hatten kein Geld und keine Billets
und befanden sich in größter Verlegenheit. Da fand Rechberg im nächsten Wagen
einen der Direktoren, der ein wohlgesinnter Mann war, und so wendete er sich
an ihn. Er sagte, es werde verhängnisvoll für sie sein, wenn sie nach Prag zu
fahren versuchten, da es nichts schlimmeres geben könne als die dortige politische
Stimmung, und der einzige Weg zu entkommen für sie werde der sein, daß man den
Zug irgendwo mitten im freien Felde anhalten ließe und daß die Flüchtlinge dann
so rasch als möglich ausstiegen und zurückblieben, bevor die andern Passagiere ihr
Entweichen gewahr würden; denn auf allen andern Bahnhöfen waren die Mit¬
reisenden aufgestiegen, hatten den Wagen des Fürsten umstellt, waren ihm mit
Schimpfreden der gemeinsten Art zu Leibe gegangen und hatten sogar sein Leben
bedroht.

Infolge dessen hielt der Zug wenige Meilen vor Prag plötzlich an, der Fürst,
die Fürstin und Graf Rechberg stiegen aus, und bevor die Mitreisenden ahnten,
was vorging, fuhr der Zug weiter. Der Boden war mit Schnee bedeckt, und es
war bitter kalt, indeß gelang es den Flüchtlingen, das nächste Dorf zu erreichen.
Von hier begaben sie sich mit Umgehung Prags nach Dresden. Hier war ihres
Bleibens auch uicht. Aber Forbes, der englische Gesandte, nahm sich ihrer an und
brachte sie nach Leipzig. Von da aus gelangten sie in Sicherheit nach Arnheim.
Hier aber begann, als sie beim Essen saßen, der Kellner eine sehr heftige Sprache
zu führen. Er sagte, es hieße, der berüchtigte Fürst Metternich werde erwartet,
er sollte es aber lieber bleiben lassen; denn nichts würde ihm, wenn er sich blicken
ließe, mehr Vergnügen machen, als ihn totzuschlagen. Die arme Fürstin war in
größter Unruhe und wollte sich unverzüglich davon machen, aber der Fürst ver¬
sicherte ihr, daß noch niemals jemand, der mit Mordgedanken großgethan, sie
ausgeführt habe, und nicht lange darauf erschienen die Stadtbehörden im Gasthofe
und wünschte" nach Fürst Metternichs Zimmer geführt zu werden, "vorauf der
Kellner bleich und zitternd hereinkam, um sie anzumelden. So lange die Herr¬
schaften dann in Arnheim verweilten, wartete er ihnen mit der größten Auf¬
merksamkeit und Hochachtung auf. Der Fürst und die Fürstin begaben sich von Holland
nach England, wo ihre Kinder sich ihnen wieder anschlössen, und so endete eine
der abenteuerlichsten und gefahrvollsten Fluchtgeschichten, von denen die Geschichte der
neuesten Zeit berichtet.




Die Bloomfieldschen Memoiren.

mißhandelt haben würde, wenn Rechberg ihn nicht nach dein Wagen zurückgezerrt
hätte, als der Zug eben abfuhr.

Sie saßen jetzt in demselben Kupee mit einem polnischen Revolutionsagenten, der
einige Tage vorher eine wühlerische Rede vor dem auswärtigen Amte in Wien
gehalten hatte. Der Fürst hatte die Gewohnheit, einen Hut von eigentümlicher
Form zu tragen, und Graf Rechberg bat ihn dringend, denselben mit einer Mütze
zu vertauschen, aber er lehnte es bestimmt ab, indem er sagte, er wolle nicht wie
ein verrückter Engländer aussehen. Noch viel verdrießlicher als seine zerrissenen
und beschmutzten Kleider war ihm, daß er sich keine Cigarre anzünden konnte, da
seine Streichhölzer nicht brennen wollten. Sie hatten kein Geld und keine Billets
und befanden sich in größter Verlegenheit. Da fand Rechberg im nächsten Wagen
einen der Direktoren, der ein wohlgesinnter Mann war, und so wendete er sich
an ihn. Er sagte, es werde verhängnisvoll für sie sein, wenn sie nach Prag zu
fahren versuchten, da es nichts schlimmeres geben könne als die dortige politische
Stimmung, und der einzige Weg zu entkommen für sie werde der sein, daß man den
Zug irgendwo mitten im freien Felde anhalten ließe und daß die Flüchtlinge dann
so rasch als möglich ausstiegen und zurückblieben, bevor die andern Passagiere ihr
Entweichen gewahr würden; denn auf allen andern Bahnhöfen waren die Mit¬
reisenden aufgestiegen, hatten den Wagen des Fürsten umstellt, waren ihm mit
Schimpfreden der gemeinsten Art zu Leibe gegangen und hatten sogar sein Leben
bedroht.

Infolge dessen hielt der Zug wenige Meilen vor Prag plötzlich an, der Fürst,
die Fürstin und Graf Rechberg stiegen aus, und bevor die Mitreisenden ahnten,
was vorging, fuhr der Zug weiter. Der Boden war mit Schnee bedeckt, und es
war bitter kalt, indeß gelang es den Flüchtlingen, das nächste Dorf zu erreichen.
Von hier begaben sie sich mit Umgehung Prags nach Dresden. Hier war ihres
Bleibens auch uicht. Aber Forbes, der englische Gesandte, nahm sich ihrer an und
brachte sie nach Leipzig. Von da aus gelangten sie in Sicherheit nach Arnheim.
Hier aber begann, als sie beim Essen saßen, der Kellner eine sehr heftige Sprache
zu führen. Er sagte, es hieße, der berüchtigte Fürst Metternich werde erwartet,
er sollte es aber lieber bleiben lassen; denn nichts würde ihm, wenn er sich blicken
ließe, mehr Vergnügen machen, als ihn totzuschlagen. Die arme Fürstin war in
größter Unruhe und wollte sich unverzüglich davon machen, aber der Fürst ver¬
sicherte ihr, daß noch niemals jemand, der mit Mordgedanken großgethan, sie
ausgeführt habe, und nicht lange darauf erschienen die Stadtbehörden im Gasthofe
und wünschte» nach Fürst Metternichs Zimmer geführt zu werden, »vorauf der
Kellner bleich und zitternd hereinkam, um sie anzumelden. So lange die Herr¬
schaften dann in Arnheim verweilten, wartete er ihnen mit der größten Auf¬
merksamkeit und Hochachtung auf. Der Fürst und die Fürstin begaben sich von Holland
nach England, wo ihre Kinder sich ihnen wieder anschlössen, und so endete eine
der abenteuerlichsten und gefahrvollsten Fluchtgeschichten, von denen die Geschichte der
neuesten Zeit berichtet.




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[0503] Die Bloomfieldschen Memoiren. mißhandelt haben würde, wenn Rechberg ihn nicht nach dein Wagen zurückgezerrt hätte, als der Zug eben abfuhr. Sie saßen jetzt in demselben Kupee mit einem polnischen Revolutionsagenten, der einige Tage vorher eine wühlerische Rede vor dem auswärtigen Amte in Wien gehalten hatte. Der Fürst hatte die Gewohnheit, einen Hut von eigentümlicher Form zu tragen, und Graf Rechberg bat ihn dringend, denselben mit einer Mütze zu vertauschen, aber er lehnte es bestimmt ab, indem er sagte, er wolle nicht wie ein verrückter Engländer aussehen. Noch viel verdrießlicher als seine zerrissenen und beschmutzten Kleider war ihm, daß er sich keine Cigarre anzünden konnte, da seine Streichhölzer nicht brennen wollten. Sie hatten kein Geld und keine Billets und befanden sich in größter Verlegenheit. Da fand Rechberg im nächsten Wagen einen der Direktoren, der ein wohlgesinnter Mann war, und so wendete er sich an ihn. Er sagte, es werde verhängnisvoll für sie sein, wenn sie nach Prag zu fahren versuchten, da es nichts schlimmeres geben könne als die dortige politische Stimmung, und der einzige Weg zu entkommen für sie werde der sein, daß man den Zug irgendwo mitten im freien Felde anhalten ließe und daß die Flüchtlinge dann so rasch als möglich ausstiegen und zurückblieben, bevor die andern Passagiere ihr Entweichen gewahr würden; denn auf allen andern Bahnhöfen waren die Mit¬ reisenden aufgestiegen, hatten den Wagen des Fürsten umstellt, waren ihm mit Schimpfreden der gemeinsten Art zu Leibe gegangen und hatten sogar sein Leben bedroht. Infolge dessen hielt der Zug wenige Meilen vor Prag plötzlich an, der Fürst, die Fürstin und Graf Rechberg stiegen aus, und bevor die Mitreisenden ahnten, was vorging, fuhr der Zug weiter. Der Boden war mit Schnee bedeckt, und es war bitter kalt, indeß gelang es den Flüchtlingen, das nächste Dorf zu erreichen. Von hier begaben sie sich mit Umgehung Prags nach Dresden. Hier war ihres Bleibens auch uicht. Aber Forbes, der englische Gesandte, nahm sich ihrer an und brachte sie nach Leipzig. Von da aus gelangten sie in Sicherheit nach Arnheim. Hier aber begann, als sie beim Essen saßen, der Kellner eine sehr heftige Sprache zu führen. Er sagte, es hieße, der berüchtigte Fürst Metternich werde erwartet, er sollte es aber lieber bleiben lassen; denn nichts würde ihm, wenn er sich blicken ließe, mehr Vergnügen machen, als ihn totzuschlagen. Die arme Fürstin war in größter Unruhe und wollte sich unverzüglich davon machen, aber der Fürst ver¬ sicherte ihr, daß noch niemals jemand, der mit Mordgedanken großgethan, sie ausgeführt habe, und nicht lange darauf erschienen die Stadtbehörden im Gasthofe und wünschte» nach Fürst Metternichs Zimmer geführt zu werden, »vorauf der Kellner bleich und zitternd hereinkam, um sie anzumelden. So lange die Herr¬ schaften dann in Arnheim verweilten, wartete er ihnen mit der größten Auf¬ merksamkeit und Hochachtung auf. Der Fürst und die Fürstin begaben sich von Holland nach England, wo ihre Kinder sich ihnen wieder anschlössen, und so endete eine der abenteuerlichsten und gefahrvollsten Fluchtgeschichten, von denen die Geschichte der neuesten Zeit berichtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/503>, abgerufen am 18.05.2024.