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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Fürstenversammlungen des September.

abgewogen und gedeutet, und am nächsten Morgen setzt ein tiefsinniger Leit¬
artikel das verehrliche und gläubige Publikum in Kenntnis, daß eine neue "Kom¬
bination" zustande gekommen oder eine alte umgestaltet worden sei. Alle Wochen
beinahe erfährt man von einer überraschenden Allianz, um tags nachher von
einem rücksichtslosen Kritiker, der als Eingeweihter auftritt, aufgeklärt zu werden,
daß dieselbe eine Unmöglichkeit ist, weil eine der betreffenden Parteien sich be¬
reits, sei es durch nicht formelles Übereinkommen, sei es durch einen förmlichen
Vertrag, anderweit gebunden hat, und zwar mit dem natürlichen Gegner der
Macht, mit der er sich verständigt haben sollte.

Der September hat die Welt der Zeitungsschreiber mit zwei schönen Ge¬
legenheiten beschenkt, diese Art von Divinationsgabe zu üben und zu kritisiren:
mit der Fürstenversammlung in Homburg und mit derjenigen in Kopenhagen,
wo auch der englische Premier erschien. Besonders in Paris hat man aus
diesen Zusammenkünften die wunderbarsten Schlüsse gezogen. Aber auch Wien
und Berlin leisteten darin ihr Teil. Da waren zu den Homburger Manövern
außer deutschen Fürsten auch die Könige von Spanien und Serbien und die
Kronprinzen von England und Portugal erschienen, und natürlich mußten ziemlich
alle diese Besuche beim Kaiser Wilhelm hohe politische Bedeutung haben. Diese
beim portugiesischen Prinzen herauszufinden, war schwierig. Dagegen lag sie
beim Könige von Spanien auf der Hemd. Spanien will wieder Großmacht
werden, wieder Geltung im Rate der Nationen erlangen, und es sieht den besten
Weg dazu in einer Anlehnung an Deutschland, dessen Kaiser den König Alfons
zu seinen Manövern eingeladen hat, selbstverständlich, um denselben zu einem
Beitritt zu der großen Allianz zu gewinnen, die Frankreichs Jsolirung zum
Zwecke hat. Der deutsche Gesandte in Madrid soll zum Range eines Bot¬
schafters aufrücken, der Staatssekretär im Berliner auswärtigen Amte war in
Homburg anwesend -- entschieden und unwiderlegbar Thatsachen, welche jene
Annahme unterstützen. Als ob man durch Anlehnung an eine andre Macht im
Handumdrehen eine Großmacht würde, als ob Spanien, das von Parteien unter¬
wühlte und geschwächte, das militärisch und finanziell schwache, eine besonders
wertvolle Verstärkung des deutsch-österreichisch-italienischen Friedensbündnisses
wäre, als ob die Rangerhöhung eines Diplomaten die Macht, bei der er beglaubigt
ist, ebenfalls eine Stufe höher stellte, als ob Graf Hatzfeld etwas ohne seinen
Chef, den Reichskanzler, raten oder thun könnte, und als ob der beabsichtigte
Besuch des Königs Alfons beim Präsidenten GrLvy und dessen Ministern, der
drei volle Tage dauern soll, dessen Besuch in Homburg nicht ungefähr auf¬
wöge! Wenden wir uns zu der Anwesenheit des Königs Milan bei den Hom¬
burger Manövern, so könnte dieselbe, mit den letzten Vorgängen in Bulgarien
in Verbindung gebracht, allerdings als bedeutungsvoller erscheinen. Bis vor
kurzem spielten russische Generale als Minister des dortigen Fürsten die eigent¬
lichen Herren im Lande, und dieses Verhältnis schien ein dauerndes werden zu


Die Fürstenversammlungen des September.

abgewogen und gedeutet, und am nächsten Morgen setzt ein tiefsinniger Leit¬
artikel das verehrliche und gläubige Publikum in Kenntnis, daß eine neue „Kom¬
bination" zustande gekommen oder eine alte umgestaltet worden sei. Alle Wochen
beinahe erfährt man von einer überraschenden Allianz, um tags nachher von
einem rücksichtslosen Kritiker, der als Eingeweihter auftritt, aufgeklärt zu werden,
daß dieselbe eine Unmöglichkeit ist, weil eine der betreffenden Parteien sich be¬
reits, sei es durch nicht formelles Übereinkommen, sei es durch einen förmlichen
Vertrag, anderweit gebunden hat, und zwar mit dem natürlichen Gegner der
Macht, mit der er sich verständigt haben sollte.

Der September hat die Welt der Zeitungsschreiber mit zwei schönen Ge¬
legenheiten beschenkt, diese Art von Divinationsgabe zu üben und zu kritisiren:
mit der Fürstenversammlung in Homburg und mit derjenigen in Kopenhagen,
wo auch der englische Premier erschien. Besonders in Paris hat man aus
diesen Zusammenkünften die wunderbarsten Schlüsse gezogen. Aber auch Wien
und Berlin leisteten darin ihr Teil. Da waren zu den Homburger Manövern
außer deutschen Fürsten auch die Könige von Spanien und Serbien und die
Kronprinzen von England und Portugal erschienen, und natürlich mußten ziemlich
alle diese Besuche beim Kaiser Wilhelm hohe politische Bedeutung haben. Diese
beim portugiesischen Prinzen herauszufinden, war schwierig. Dagegen lag sie
beim Könige von Spanien auf der Hemd. Spanien will wieder Großmacht
werden, wieder Geltung im Rate der Nationen erlangen, und es sieht den besten
Weg dazu in einer Anlehnung an Deutschland, dessen Kaiser den König Alfons
zu seinen Manövern eingeladen hat, selbstverständlich, um denselben zu einem
Beitritt zu der großen Allianz zu gewinnen, die Frankreichs Jsolirung zum
Zwecke hat. Der deutsche Gesandte in Madrid soll zum Range eines Bot¬
schafters aufrücken, der Staatssekretär im Berliner auswärtigen Amte war in
Homburg anwesend — entschieden und unwiderlegbar Thatsachen, welche jene
Annahme unterstützen. Als ob man durch Anlehnung an eine andre Macht im
Handumdrehen eine Großmacht würde, als ob Spanien, das von Parteien unter¬
wühlte und geschwächte, das militärisch und finanziell schwache, eine besonders
wertvolle Verstärkung des deutsch-österreichisch-italienischen Friedensbündnisses
wäre, als ob die Rangerhöhung eines Diplomaten die Macht, bei der er beglaubigt
ist, ebenfalls eine Stufe höher stellte, als ob Graf Hatzfeld etwas ohne seinen
Chef, den Reichskanzler, raten oder thun könnte, und als ob der beabsichtigte
Besuch des Königs Alfons beim Präsidenten GrLvy und dessen Ministern, der
drei volle Tage dauern soll, dessen Besuch in Homburg nicht ungefähr auf¬
wöge! Wenden wir uns zu der Anwesenheit des Königs Milan bei den Hom¬
burger Manövern, so könnte dieselbe, mit den letzten Vorgängen in Bulgarien
in Verbindung gebracht, allerdings als bedeutungsvoller erscheinen. Bis vor
kurzem spielten russische Generale als Minister des dortigen Fürsten die eigent¬
lichen Herren im Lande, und dieses Verhältnis schien ein dauerndes werden zu


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[0012] Die Fürstenversammlungen des September. abgewogen und gedeutet, und am nächsten Morgen setzt ein tiefsinniger Leit¬ artikel das verehrliche und gläubige Publikum in Kenntnis, daß eine neue „Kom¬ bination" zustande gekommen oder eine alte umgestaltet worden sei. Alle Wochen beinahe erfährt man von einer überraschenden Allianz, um tags nachher von einem rücksichtslosen Kritiker, der als Eingeweihter auftritt, aufgeklärt zu werden, daß dieselbe eine Unmöglichkeit ist, weil eine der betreffenden Parteien sich be¬ reits, sei es durch nicht formelles Übereinkommen, sei es durch einen förmlichen Vertrag, anderweit gebunden hat, und zwar mit dem natürlichen Gegner der Macht, mit der er sich verständigt haben sollte. Der September hat die Welt der Zeitungsschreiber mit zwei schönen Ge¬ legenheiten beschenkt, diese Art von Divinationsgabe zu üben und zu kritisiren: mit der Fürstenversammlung in Homburg und mit derjenigen in Kopenhagen, wo auch der englische Premier erschien. Besonders in Paris hat man aus diesen Zusammenkünften die wunderbarsten Schlüsse gezogen. Aber auch Wien und Berlin leisteten darin ihr Teil. Da waren zu den Homburger Manövern außer deutschen Fürsten auch die Könige von Spanien und Serbien und die Kronprinzen von England und Portugal erschienen, und natürlich mußten ziemlich alle diese Besuche beim Kaiser Wilhelm hohe politische Bedeutung haben. Diese beim portugiesischen Prinzen herauszufinden, war schwierig. Dagegen lag sie beim Könige von Spanien auf der Hemd. Spanien will wieder Großmacht werden, wieder Geltung im Rate der Nationen erlangen, und es sieht den besten Weg dazu in einer Anlehnung an Deutschland, dessen Kaiser den König Alfons zu seinen Manövern eingeladen hat, selbstverständlich, um denselben zu einem Beitritt zu der großen Allianz zu gewinnen, die Frankreichs Jsolirung zum Zwecke hat. Der deutsche Gesandte in Madrid soll zum Range eines Bot¬ schafters aufrücken, der Staatssekretär im Berliner auswärtigen Amte war in Homburg anwesend — entschieden und unwiderlegbar Thatsachen, welche jene Annahme unterstützen. Als ob man durch Anlehnung an eine andre Macht im Handumdrehen eine Großmacht würde, als ob Spanien, das von Parteien unter¬ wühlte und geschwächte, das militärisch und finanziell schwache, eine besonders wertvolle Verstärkung des deutsch-österreichisch-italienischen Friedensbündnisses wäre, als ob die Rangerhöhung eines Diplomaten die Macht, bei der er beglaubigt ist, ebenfalls eine Stufe höher stellte, als ob Graf Hatzfeld etwas ohne seinen Chef, den Reichskanzler, raten oder thun könnte, und als ob der beabsichtigte Besuch des Königs Alfons beim Präsidenten GrLvy und dessen Ministern, der drei volle Tage dauern soll, dessen Besuch in Homburg nicht ungefähr auf¬ wöge! Wenden wir uns zu der Anwesenheit des Königs Milan bei den Hom¬ burger Manövern, so könnte dieselbe, mit den letzten Vorgängen in Bulgarien in Verbindung gebracht, allerdings als bedeutungsvoller erscheinen. Bis vor kurzem spielten russische Generale als Minister des dortigen Fürsten die eigent¬ lichen Herren im Lande, und dieses Verhältnis schien ein dauerndes werden zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/12>, abgerufen am 20.05.2024.