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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Georg Waitz.

in Kiel, 1833 in Berlin als Ltucliosus M-is se lüstoris-s hatte immatrikuliren
lassen, besonders festhielt. Nur zeitweiliges Schwanken, dnrch Homeyers Ein¬
fluß herbeigeführt, läßt sich bemerken, das große unbebaute Feld des deutschen
Rechts lockte wohl zu eingehender hingebender Thätigkeit. Rankes Anregung machte
den Zweifeln ein Ende. Wir jüngern, die wir nur den gealterten Ranke kennen,
werden uns schwer ein Bild von dem anziehenden jugendlichen Lehrer machen
können. Das Faseinirende, das noch so unwiderstehlich zu dem Greise hinzieht,
wie muß es erst aus dem im kräftigsten Mannesalter wirkenden Ranke heraus-
gcblitzt haben! In seiner springenden, geistvollen Art eröffnete der Meister
einen damals ganz neuen Einblick in die Art und Weise der historischen Über¬
lieferung und Forschung. "Jeder Lehrer weiß, sagt er 1836, daß das letzte,
was er leistet, doch nur in einem indirekten Einflüsse besteht, bei dem ein glück¬
liches Naturell und eine eigentümliche wissenschaftliche Richtung den freiesten
Spielraum behalten." Und dann: "Ein Universitätslehrer wird sehr bald ge¬
wahr, daß er zwei verschiedne Klassen von Zuhörern vor sich hat: Solche,
die sich zu ihrer Bildung oder um ihrer künftigen Laufbahn willen die Wissen¬
schaften im allgemeinen anzueignen, sich darin zu befestigen suchen, und andre,
welche Neigung haben und Beruf in sich fühlen, an der Fortbildung der Wissen¬
schaft einmal selber thätigen Anteil zu nehmen. Die Vorlesungen nun können,
dünkt mich, sehr wohl für beide zugleich eingerichtet sein. Auch den ersten ist
es nützlich, von dem Apparat der Gelehrsamkeit, der erforschenden Thätigkeit
einen Begriff zu bekommen; für die zweiten ist es notwendig, die Totalität
ihrer Disziplin einmal zu überschauen, um sich nicht von vornherein in dem
Detail einzelner Untersuchungen zu verlieren. Beiden kann es nicht anders als
förderlich werden, sei es die folgerichtige Entwicklung des Gedankens oder die
innerlich zusammenhängende Darstellung der Thatsachen, die sich vor ihren
Augen vollziehen soll, aufmerksam zu begleiten. Jedoch reichen die Vorlesungen
nicht vollkommen aus. Namentlich für die zweite, soviel minder zahlreiche Klasse
ist noch eine nähere Einführung in die eigentlich gelehrte Seite, Anleitung zu
eigner Thätigkeit wünschenswürdig, wie man denn auch seit geraumer Zeit bald
in den Seminarien unter öffentlicher Autorität, bald aus persönlichem Antrieb
in freien Übungen hierauf Bedacht genommen hat."

Es war eine Zeit frohen Arbeitens und Schaffens. Aus dein Rankescheu
Seminar der dreißiger Jahre sind alle die Männer hervorgegangen, die noch
hente an der Spitze unsrer deutschen Geschichtschreibung stehen: Waitz, Giesebrecht,
Sybel. Und wie manchesmal mögen in jenen Tagen und bei jenen arbeits¬
vollen Zusammenkünften, nach Luthers schönem Ausdruck, die Geister aufeinander
geplatzt sein. Die folgenschwerste That, die damals im Rankeschen Seminar
unternommen wurde, war die gemeinsame Arbeit an den Jahrbüchern des
deutschen Reiches unter dem sächsischen Hause. Waitz lieferte die Geschichte
König Heinrichs I. Im Elternhause, wohin er sich den Winter 1834 -- 36


Georg Waitz.

in Kiel, 1833 in Berlin als Ltucliosus M-is se lüstoris-s hatte immatrikuliren
lassen, besonders festhielt. Nur zeitweiliges Schwanken, dnrch Homeyers Ein¬
fluß herbeigeführt, läßt sich bemerken, das große unbebaute Feld des deutschen
Rechts lockte wohl zu eingehender hingebender Thätigkeit. Rankes Anregung machte
den Zweifeln ein Ende. Wir jüngern, die wir nur den gealterten Ranke kennen,
werden uns schwer ein Bild von dem anziehenden jugendlichen Lehrer machen
können. Das Faseinirende, das noch so unwiderstehlich zu dem Greise hinzieht,
wie muß es erst aus dem im kräftigsten Mannesalter wirkenden Ranke heraus-
gcblitzt haben! In seiner springenden, geistvollen Art eröffnete der Meister
einen damals ganz neuen Einblick in die Art und Weise der historischen Über¬
lieferung und Forschung. „Jeder Lehrer weiß, sagt er 1836, daß das letzte,
was er leistet, doch nur in einem indirekten Einflüsse besteht, bei dem ein glück¬
liches Naturell und eine eigentümliche wissenschaftliche Richtung den freiesten
Spielraum behalten." Und dann: „Ein Universitätslehrer wird sehr bald ge¬
wahr, daß er zwei verschiedne Klassen von Zuhörern vor sich hat: Solche,
die sich zu ihrer Bildung oder um ihrer künftigen Laufbahn willen die Wissen¬
schaften im allgemeinen anzueignen, sich darin zu befestigen suchen, und andre,
welche Neigung haben und Beruf in sich fühlen, an der Fortbildung der Wissen¬
schaft einmal selber thätigen Anteil zu nehmen. Die Vorlesungen nun können,
dünkt mich, sehr wohl für beide zugleich eingerichtet sein. Auch den ersten ist
es nützlich, von dem Apparat der Gelehrsamkeit, der erforschenden Thätigkeit
einen Begriff zu bekommen; für die zweiten ist es notwendig, die Totalität
ihrer Disziplin einmal zu überschauen, um sich nicht von vornherein in dem
Detail einzelner Untersuchungen zu verlieren. Beiden kann es nicht anders als
förderlich werden, sei es die folgerichtige Entwicklung des Gedankens oder die
innerlich zusammenhängende Darstellung der Thatsachen, die sich vor ihren
Augen vollziehen soll, aufmerksam zu begleiten. Jedoch reichen die Vorlesungen
nicht vollkommen aus. Namentlich für die zweite, soviel minder zahlreiche Klasse
ist noch eine nähere Einführung in die eigentlich gelehrte Seite, Anleitung zu
eigner Thätigkeit wünschenswürdig, wie man denn auch seit geraumer Zeit bald
in den Seminarien unter öffentlicher Autorität, bald aus persönlichem Antrieb
in freien Übungen hierauf Bedacht genommen hat."

Es war eine Zeit frohen Arbeitens und Schaffens. Aus dein Rankescheu
Seminar der dreißiger Jahre sind alle die Männer hervorgegangen, die noch
hente an der Spitze unsrer deutschen Geschichtschreibung stehen: Waitz, Giesebrecht,
Sybel. Und wie manchesmal mögen in jenen Tagen und bei jenen arbeits¬
vollen Zusammenkünften, nach Luthers schönem Ausdruck, die Geister aufeinander
geplatzt sein. Die folgenschwerste That, die damals im Rankeschen Seminar
unternommen wurde, war die gemeinsame Arbeit an den Jahrbüchern des
deutschen Reiches unter dem sächsischen Hause. Waitz lieferte die Geschichte
König Heinrichs I. Im Elternhause, wohin er sich den Winter 1834 — 36


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[0129] Georg Waitz. in Kiel, 1833 in Berlin als Ltucliosus M-is se lüstoris-s hatte immatrikuliren lassen, besonders festhielt. Nur zeitweiliges Schwanken, dnrch Homeyers Ein¬ fluß herbeigeführt, läßt sich bemerken, das große unbebaute Feld des deutschen Rechts lockte wohl zu eingehender hingebender Thätigkeit. Rankes Anregung machte den Zweifeln ein Ende. Wir jüngern, die wir nur den gealterten Ranke kennen, werden uns schwer ein Bild von dem anziehenden jugendlichen Lehrer machen können. Das Faseinirende, das noch so unwiderstehlich zu dem Greise hinzieht, wie muß es erst aus dem im kräftigsten Mannesalter wirkenden Ranke heraus- gcblitzt haben! In seiner springenden, geistvollen Art eröffnete der Meister einen damals ganz neuen Einblick in die Art und Weise der historischen Über¬ lieferung und Forschung. „Jeder Lehrer weiß, sagt er 1836, daß das letzte, was er leistet, doch nur in einem indirekten Einflüsse besteht, bei dem ein glück¬ liches Naturell und eine eigentümliche wissenschaftliche Richtung den freiesten Spielraum behalten." Und dann: „Ein Universitätslehrer wird sehr bald ge¬ wahr, daß er zwei verschiedne Klassen von Zuhörern vor sich hat: Solche, die sich zu ihrer Bildung oder um ihrer künftigen Laufbahn willen die Wissen¬ schaften im allgemeinen anzueignen, sich darin zu befestigen suchen, und andre, welche Neigung haben und Beruf in sich fühlen, an der Fortbildung der Wissen¬ schaft einmal selber thätigen Anteil zu nehmen. Die Vorlesungen nun können, dünkt mich, sehr wohl für beide zugleich eingerichtet sein. Auch den ersten ist es nützlich, von dem Apparat der Gelehrsamkeit, der erforschenden Thätigkeit einen Begriff zu bekommen; für die zweiten ist es notwendig, die Totalität ihrer Disziplin einmal zu überschauen, um sich nicht von vornherein in dem Detail einzelner Untersuchungen zu verlieren. Beiden kann es nicht anders als förderlich werden, sei es die folgerichtige Entwicklung des Gedankens oder die innerlich zusammenhängende Darstellung der Thatsachen, die sich vor ihren Augen vollziehen soll, aufmerksam zu begleiten. Jedoch reichen die Vorlesungen nicht vollkommen aus. Namentlich für die zweite, soviel minder zahlreiche Klasse ist noch eine nähere Einführung in die eigentlich gelehrte Seite, Anleitung zu eigner Thätigkeit wünschenswürdig, wie man denn auch seit geraumer Zeit bald in den Seminarien unter öffentlicher Autorität, bald aus persönlichem Antrieb in freien Übungen hierauf Bedacht genommen hat." Es war eine Zeit frohen Arbeitens und Schaffens. Aus dein Rankescheu Seminar der dreißiger Jahre sind alle die Männer hervorgegangen, die noch hente an der Spitze unsrer deutschen Geschichtschreibung stehen: Waitz, Giesebrecht, Sybel. Und wie manchesmal mögen in jenen Tagen und bei jenen arbeits¬ vollen Zusammenkünften, nach Luthers schönem Ausdruck, die Geister aufeinander geplatzt sein. Die folgenschwerste That, die damals im Rankeschen Seminar unternommen wurde, war die gemeinsame Arbeit an den Jahrbüchern des deutschen Reiches unter dem sächsischen Hause. Waitz lieferte die Geschichte König Heinrichs I. Im Elternhause, wohin er sich den Winter 1834 — 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/129>, abgerufen am 21.05.2024.