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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Line deutsch-nationale Verslehre.

Zeit bis auf die Gegenwart ureigner Gesetze ohne Verquickung mit den aus
der antiken Metrik geschöpften Schulbcgriffen und abgelöst von einer fremdlän¬
dischen , immer wieder neue Verwirrung stiftenden Nomenklatur im Zusammen¬
hange dargestellt wurden. Alle Elemente dazu liegen schon bereit, und unsre
germanistische Wissenschaft hat diese Aufgabe für die ältere Zeit längst gelöst.
Aber auch für die Gegenwart und für den weiten Kreis der allgemein Ge¬
bildeten war es notwendig, einmal mit aller Schärfe und Bestimmtheit das
deutsche Versprincip zu entwickeln, da sich immer noch Lehrbücher deutscher
Verskunst finden, die in den hergebrachten Bahnen der aus der klassischen
Dichtkunst abgeleiteten Schulregelu einherwandeln.

Mit zwei dicken Bänden (denen noch ein dünnerer dritter mit praktischer
Anleitung zum Versemachen folgen soll*) rückt nun Herr Beyer gegen dies Un¬
wesen ins Feld. Der erste stärkere Band ist fast allein der Prosvdik und Rhythmik
gewidmet. Das ist etwas viel, und besorgt fragt man sich, ob die gute Sache,
die der Verfasser verfolgt, nicht unter der nun einmal vorhandenen Scheu des
großen Publikums, sich durch dicke Bücher durchzuarbeiten, leiden werde.

Bei gründlicher Durcharbeitung der gesamten Materie mußte man sich frei¬
lich auf eine etwas umfangreiche Darstellung gefaßt machen. Leider ist aber die
Hnuptursache dieses gewaltigen Umfanges eine große Breite und Weitschweifigkeit
des Verfassers, eine in blumigen Wendungen sich gefallende Redeweise, eine an
vielfachen Wiederholungen und wenig zur Sache gehörigen Exkurse" kränkende
Redseligkeit, die trotzdem oder vielmehr gerade deshalb der Eindringlichkeit er¬
mangelt. Leider müssen wir ferner hinzufügen, daß der Verfasser überhaupt uicht
die zu seiner Aufgabe nötige geistige Schulung mitbringt. Es fehlt ihm gleicher¬
maßen an Präzision des Ausdrucks wie des Gedankens. Fast ans jeder Seite
seines Werkes läßt sich dies mit Beispielen belegen. Hier eines für viele.

Im Kapitel "Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis zur Poesie"
heißt es, nachdem zunächst von der Musik und ihrer Verbindung mit der
Poesie im Gesavge die Rede gewesen ist: "Eine noch höhere, den Eindruck
vermehrende Aufgabe hat die Malerei, wenn sie sich mit der Poesie vermählt."
Man denkt zunächst, einigermaßen verwundert, an die Dekorationseffekte der
Meininger, oder an den Jllustrirten Goethe, oder gar an die auf Messen
und Märkten mit Unterstützung der "Malerei" vorgetragenen neuesten Mord¬
thaten. Aber nichts davon hat Herr Beyer im Sinne gehabt. Er meint die
sogenannte poetische Malerei, d. h. die anschauliche Beschreibung eines Gegen¬
standes oder Vorganges mit den Mittel" des sprachlich-poetischen Ausdrucks.
Es wäre eine Beleidigung für den gesunden Sinn unsrer Leser, wenn wir noch
ausführen wollten, daß in diesem Fall von einer Vermählung der Malerei
mit der Poesie und überhaupt von der Schwesterkunst garnicht die Rede sein



D. Red. ") Ist vor wenigen Wochen gleichfalls erschienen.
Line deutsch-nationale Verslehre.

Zeit bis auf die Gegenwart ureigner Gesetze ohne Verquickung mit den aus
der antiken Metrik geschöpften Schulbcgriffen und abgelöst von einer fremdlän¬
dischen , immer wieder neue Verwirrung stiftenden Nomenklatur im Zusammen¬
hange dargestellt wurden. Alle Elemente dazu liegen schon bereit, und unsre
germanistische Wissenschaft hat diese Aufgabe für die ältere Zeit längst gelöst.
Aber auch für die Gegenwart und für den weiten Kreis der allgemein Ge¬
bildeten war es notwendig, einmal mit aller Schärfe und Bestimmtheit das
deutsche Versprincip zu entwickeln, da sich immer noch Lehrbücher deutscher
Verskunst finden, die in den hergebrachten Bahnen der aus der klassischen
Dichtkunst abgeleiteten Schulregelu einherwandeln.

Mit zwei dicken Bänden (denen noch ein dünnerer dritter mit praktischer
Anleitung zum Versemachen folgen soll*) rückt nun Herr Beyer gegen dies Un¬
wesen ins Feld. Der erste stärkere Band ist fast allein der Prosvdik und Rhythmik
gewidmet. Das ist etwas viel, und besorgt fragt man sich, ob die gute Sache,
die der Verfasser verfolgt, nicht unter der nun einmal vorhandenen Scheu des
großen Publikums, sich durch dicke Bücher durchzuarbeiten, leiden werde.

Bei gründlicher Durcharbeitung der gesamten Materie mußte man sich frei¬
lich auf eine etwas umfangreiche Darstellung gefaßt machen. Leider ist aber die
Hnuptursache dieses gewaltigen Umfanges eine große Breite und Weitschweifigkeit
des Verfassers, eine in blumigen Wendungen sich gefallende Redeweise, eine an
vielfachen Wiederholungen und wenig zur Sache gehörigen Exkurse» kränkende
Redseligkeit, die trotzdem oder vielmehr gerade deshalb der Eindringlichkeit er¬
mangelt. Leider müssen wir ferner hinzufügen, daß der Verfasser überhaupt uicht
die zu seiner Aufgabe nötige geistige Schulung mitbringt. Es fehlt ihm gleicher¬
maßen an Präzision des Ausdrucks wie des Gedankens. Fast ans jeder Seite
seines Werkes läßt sich dies mit Beispielen belegen. Hier eines für viele.

Im Kapitel „Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis zur Poesie"
heißt es, nachdem zunächst von der Musik und ihrer Verbindung mit der
Poesie im Gesavge die Rede gewesen ist: „Eine noch höhere, den Eindruck
vermehrende Aufgabe hat die Malerei, wenn sie sich mit der Poesie vermählt."
Man denkt zunächst, einigermaßen verwundert, an die Dekorationseffekte der
Meininger, oder an den Jllustrirten Goethe, oder gar an die auf Messen
und Märkten mit Unterstützung der „Malerei" vorgetragenen neuesten Mord¬
thaten. Aber nichts davon hat Herr Beyer im Sinne gehabt. Er meint die
sogenannte poetische Malerei, d. h. die anschauliche Beschreibung eines Gegen¬
standes oder Vorganges mit den Mittel» des sprachlich-poetischen Ausdrucks.
Es wäre eine Beleidigung für den gesunden Sinn unsrer Leser, wenn wir noch
ausführen wollten, daß in diesem Fall von einer Vermählung der Malerei
mit der Poesie und überhaupt von der Schwesterkunst garnicht die Rede sein



D. Red. ») Ist vor wenigen Wochen gleichfalls erschienen.
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[0137] Line deutsch-nationale Verslehre. Zeit bis auf die Gegenwart ureigner Gesetze ohne Verquickung mit den aus der antiken Metrik geschöpften Schulbcgriffen und abgelöst von einer fremdlän¬ dischen , immer wieder neue Verwirrung stiftenden Nomenklatur im Zusammen¬ hange dargestellt wurden. Alle Elemente dazu liegen schon bereit, und unsre germanistische Wissenschaft hat diese Aufgabe für die ältere Zeit längst gelöst. Aber auch für die Gegenwart und für den weiten Kreis der allgemein Ge¬ bildeten war es notwendig, einmal mit aller Schärfe und Bestimmtheit das deutsche Versprincip zu entwickeln, da sich immer noch Lehrbücher deutscher Verskunst finden, die in den hergebrachten Bahnen der aus der klassischen Dichtkunst abgeleiteten Schulregelu einherwandeln. Mit zwei dicken Bänden (denen noch ein dünnerer dritter mit praktischer Anleitung zum Versemachen folgen soll*) rückt nun Herr Beyer gegen dies Un¬ wesen ins Feld. Der erste stärkere Band ist fast allein der Prosvdik und Rhythmik gewidmet. Das ist etwas viel, und besorgt fragt man sich, ob die gute Sache, die der Verfasser verfolgt, nicht unter der nun einmal vorhandenen Scheu des großen Publikums, sich durch dicke Bücher durchzuarbeiten, leiden werde. Bei gründlicher Durcharbeitung der gesamten Materie mußte man sich frei¬ lich auf eine etwas umfangreiche Darstellung gefaßt machen. Leider ist aber die Hnuptursache dieses gewaltigen Umfanges eine große Breite und Weitschweifigkeit des Verfassers, eine in blumigen Wendungen sich gefallende Redeweise, eine an vielfachen Wiederholungen und wenig zur Sache gehörigen Exkurse» kränkende Redseligkeit, die trotzdem oder vielmehr gerade deshalb der Eindringlichkeit er¬ mangelt. Leider müssen wir ferner hinzufügen, daß der Verfasser überhaupt uicht die zu seiner Aufgabe nötige geistige Schulung mitbringt. Es fehlt ihm gleicher¬ maßen an Präzision des Ausdrucks wie des Gedankens. Fast ans jeder Seite seines Werkes läßt sich dies mit Beispielen belegen. Hier eines für viele. Im Kapitel „Die Schwesterkünste der Poesie im Verhältnis zur Poesie" heißt es, nachdem zunächst von der Musik und ihrer Verbindung mit der Poesie im Gesavge die Rede gewesen ist: „Eine noch höhere, den Eindruck vermehrende Aufgabe hat die Malerei, wenn sie sich mit der Poesie vermählt." Man denkt zunächst, einigermaßen verwundert, an die Dekorationseffekte der Meininger, oder an den Jllustrirten Goethe, oder gar an die auf Messen und Märkten mit Unterstützung der „Malerei" vorgetragenen neuesten Mord¬ thaten. Aber nichts davon hat Herr Beyer im Sinne gehabt. Er meint die sogenannte poetische Malerei, d. h. die anschauliche Beschreibung eines Gegen¬ standes oder Vorganges mit den Mittel» des sprachlich-poetischen Ausdrucks. Es wäre eine Beleidigung für den gesunden Sinn unsrer Leser, wenn wir noch ausführen wollten, daß in diesem Fall von einer Vermählung der Malerei mit der Poesie und überhaupt von der Schwesterkunst garnicht die Rede sein D. Red. ») Ist vor wenigen Wochen gleichfalls erschienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/137>, abgerufen am 20.05.2024.