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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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lNoriz Carriere und seine Gedichte,

klang mcmnichfaltigster Sphären des Himmels und der Erde vernimmt, so treibt
ihn diese erhöhte harmonische Stimmung seines Gemüts zu einer auch äußerlich
einklangvollen, wohllantfreudigcn Darstellung, zur Gedankendichtung."

Daß der Ästhetiker und Philosoph Carriere jetzt "Gedankendichtnngen" ver¬
öffentlicht, konnte also nur den überraschen, der mit seinen Werken nicht vertraut
war. Vereint mit "Liebesliedern" bilden sie einen stattlichen Band/") Erschienen
ist er "unter dem Schilde des Namens" seiner frühvollendetcn Gattin Agnes,
der Tochter von Justus Liebig. Mit einer sittlich erhebenden Pietät, welche
der vor zwanzig Jahren verstorbenen Gattin ebenso sehr als dem Dichter zur
Ehre gereicht, hat er ihr Andenken heilig gehalten. Ihr und ihrem Andenken
"verdankt er die schönheitsfreudige Stimmung in seiner Ästhetik, in seinem
Kunstbuche." "Wie mir -- so schließt er das Vorwort -- die "Religiösen Reden und
Betrachtungen" (185V) die hingebende Teilnahme ihres Geistes gewannen, noch
bevor sie mir ihr Herz schenkte, so ist auch die "Sittliche Weltordnung" (1877)
im Glauben an das Ideal geschrieben, in welchem sie mir treu und leuchtend
zur Seite stand und steht."

Den "Freunden und Freundinnen" bringt Carriere seine Gabe dar. Und
Freunde hat er sich erworben durch seine Schriften im ganzen deutschen Reiche.
Es ist ein Wcchlsprnch, den Carriere oft wiederholt: "Die Idee erleuchtet und
erwärmt zugleich." Und die innere Wärme seines Gemütes, die mit dem Lichte
seines Geistes vereint ist, hat ihm in seltenem Maße die persönliche Liebe und
dankbare Teilnahme seiner Leser und Hörer eingetragen. "Ich habe als Schrift¬
steller wie als akademischer Lehrer stets mich ganz gegeben; ich habe mit den
Kräften des Gemüts und Geistes zugleich gearbeitet und neben Verkennung
und Enttäuschung auch die Freude gehabt, zu vernehmen, daß in meinen wissen¬
schaftlichen Büchern nicht tote Lettern, sondern ein lebendiger Mensch den Lesern
entgegentrete. Solchen Lesern und Gönnern glaubte ich diese Herzensergießungen
nicht vorenthalten zu sollen. Sie werden finden, daß ich vieles dichterisch
angeschaut, bevor ich es philosophisch dargelegt." Solche Freunde -- und ihrer>
sind viele -- werden diese Gabe freudig und dankbar annehmen. Es ist immer
erquickend, in ein edles Herz, einen reichen Geist einen tieferen Blick werfen zu
dürfen. Dieser Einblick gewährt in diesem Falle nicht bloß einen ästhetischen
und ethischen Genuß, sondern er bietet auch ein philosophisches Interesse; denn,
da wir "Gedankendichtungen" vor uns haben, so dürfen wir erwarten, die
theoretischen Grundideen Carrieres hier in dichterischer Form anzutreffen.

Carrieres philosophisches Bestreben ist dadurch gekennzeichnet, daß er zwischen
den extremen Gegensätzen der Zeit eine harmonische Mitte einzunehmen strebt:
"Realismus" und "Idealismus" gelten ihm nur als die verschiedenen einseitigen



*) Agnes. Liebeslieder und Gedankeudichtungen von Moriz Carriere. Leipzig,
F. A. Brockhaus, 1833.
lNoriz Carriere und seine Gedichte,

klang mcmnichfaltigster Sphären des Himmels und der Erde vernimmt, so treibt
ihn diese erhöhte harmonische Stimmung seines Gemüts zu einer auch äußerlich
einklangvollen, wohllantfreudigcn Darstellung, zur Gedankendichtung."

Daß der Ästhetiker und Philosoph Carriere jetzt „Gedankendichtnngen" ver¬
öffentlicht, konnte also nur den überraschen, der mit seinen Werken nicht vertraut
war. Vereint mit „Liebesliedern" bilden sie einen stattlichen Band/") Erschienen
ist er „unter dem Schilde des Namens" seiner frühvollendetcn Gattin Agnes,
der Tochter von Justus Liebig. Mit einer sittlich erhebenden Pietät, welche
der vor zwanzig Jahren verstorbenen Gattin ebenso sehr als dem Dichter zur
Ehre gereicht, hat er ihr Andenken heilig gehalten. Ihr und ihrem Andenken
„verdankt er die schönheitsfreudige Stimmung in seiner Ästhetik, in seinem
Kunstbuche." „Wie mir — so schließt er das Vorwort — die »Religiösen Reden und
Betrachtungen« (185V) die hingebende Teilnahme ihres Geistes gewannen, noch
bevor sie mir ihr Herz schenkte, so ist auch die „Sittliche Weltordnung" (1877)
im Glauben an das Ideal geschrieben, in welchem sie mir treu und leuchtend
zur Seite stand und steht."

Den „Freunden und Freundinnen" bringt Carriere seine Gabe dar. Und
Freunde hat er sich erworben durch seine Schriften im ganzen deutschen Reiche.
Es ist ein Wcchlsprnch, den Carriere oft wiederholt: „Die Idee erleuchtet und
erwärmt zugleich." Und die innere Wärme seines Gemütes, die mit dem Lichte
seines Geistes vereint ist, hat ihm in seltenem Maße die persönliche Liebe und
dankbare Teilnahme seiner Leser und Hörer eingetragen. „Ich habe als Schrift¬
steller wie als akademischer Lehrer stets mich ganz gegeben; ich habe mit den
Kräften des Gemüts und Geistes zugleich gearbeitet und neben Verkennung
und Enttäuschung auch die Freude gehabt, zu vernehmen, daß in meinen wissen¬
schaftlichen Büchern nicht tote Lettern, sondern ein lebendiger Mensch den Lesern
entgegentrete. Solchen Lesern und Gönnern glaubte ich diese Herzensergießungen
nicht vorenthalten zu sollen. Sie werden finden, daß ich vieles dichterisch
angeschaut, bevor ich es philosophisch dargelegt." Solche Freunde — und ihrer>
sind viele — werden diese Gabe freudig und dankbar annehmen. Es ist immer
erquickend, in ein edles Herz, einen reichen Geist einen tieferen Blick werfen zu
dürfen. Dieser Einblick gewährt in diesem Falle nicht bloß einen ästhetischen
und ethischen Genuß, sondern er bietet auch ein philosophisches Interesse; denn,
da wir „Gedankendichtungen" vor uns haben, so dürfen wir erwarten, die
theoretischen Grundideen Carrieres hier in dichterischer Form anzutreffen.

Carrieres philosophisches Bestreben ist dadurch gekennzeichnet, daß er zwischen
den extremen Gegensätzen der Zeit eine harmonische Mitte einzunehmen strebt:
„Realismus" und „Idealismus" gelten ihm nur als die verschiedenen einseitigen



*) Agnes. Liebeslieder und Gedankeudichtungen von Moriz Carriere. Leipzig,
F. A. Brockhaus, 1833.
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[0364] lNoriz Carriere und seine Gedichte, klang mcmnichfaltigster Sphären des Himmels und der Erde vernimmt, so treibt ihn diese erhöhte harmonische Stimmung seines Gemüts zu einer auch äußerlich einklangvollen, wohllantfreudigcn Darstellung, zur Gedankendichtung." Daß der Ästhetiker und Philosoph Carriere jetzt „Gedankendichtnngen" ver¬ öffentlicht, konnte also nur den überraschen, der mit seinen Werken nicht vertraut war. Vereint mit „Liebesliedern" bilden sie einen stattlichen Band/") Erschienen ist er „unter dem Schilde des Namens" seiner frühvollendetcn Gattin Agnes, der Tochter von Justus Liebig. Mit einer sittlich erhebenden Pietät, welche der vor zwanzig Jahren verstorbenen Gattin ebenso sehr als dem Dichter zur Ehre gereicht, hat er ihr Andenken heilig gehalten. Ihr und ihrem Andenken „verdankt er die schönheitsfreudige Stimmung in seiner Ästhetik, in seinem Kunstbuche." „Wie mir — so schließt er das Vorwort — die »Religiösen Reden und Betrachtungen« (185V) die hingebende Teilnahme ihres Geistes gewannen, noch bevor sie mir ihr Herz schenkte, so ist auch die „Sittliche Weltordnung" (1877) im Glauben an das Ideal geschrieben, in welchem sie mir treu und leuchtend zur Seite stand und steht." Den „Freunden und Freundinnen" bringt Carriere seine Gabe dar. Und Freunde hat er sich erworben durch seine Schriften im ganzen deutschen Reiche. Es ist ein Wcchlsprnch, den Carriere oft wiederholt: „Die Idee erleuchtet und erwärmt zugleich." Und die innere Wärme seines Gemütes, die mit dem Lichte seines Geistes vereint ist, hat ihm in seltenem Maße die persönliche Liebe und dankbare Teilnahme seiner Leser und Hörer eingetragen. „Ich habe als Schrift¬ steller wie als akademischer Lehrer stets mich ganz gegeben; ich habe mit den Kräften des Gemüts und Geistes zugleich gearbeitet und neben Verkennung und Enttäuschung auch die Freude gehabt, zu vernehmen, daß in meinen wissen¬ schaftlichen Büchern nicht tote Lettern, sondern ein lebendiger Mensch den Lesern entgegentrete. Solchen Lesern und Gönnern glaubte ich diese Herzensergießungen nicht vorenthalten zu sollen. Sie werden finden, daß ich vieles dichterisch angeschaut, bevor ich es philosophisch dargelegt." Solche Freunde — und ihrer> sind viele — werden diese Gabe freudig und dankbar annehmen. Es ist immer erquickend, in ein edles Herz, einen reichen Geist einen tieferen Blick werfen zu dürfen. Dieser Einblick gewährt in diesem Falle nicht bloß einen ästhetischen und ethischen Genuß, sondern er bietet auch ein philosophisches Interesse; denn, da wir „Gedankendichtungen" vor uns haben, so dürfen wir erwarten, die theoretischen Grundideen Carrieres hier in dichterischer Form anzutreffen. Carrieres philosophisches Bestreben ist dadurch gekennzeichnet, daß er zwischen den extremen Gegensätzen der Zeit eine harmonische Mitte einzunehmen strebt: „Realismus" und „Idealismus" gelten ihm nur als die verschiedenen einseitigen *) Agnes. Liebeslieder und Gedankeudichtungen von Moriz Carriere. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1833.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/364>, abgerufen am 22.05.2024.