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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

Tag abwärts führt, wenn es Abend werden will und jede Stunde in öder
Stille zum Bewußtsein bringt, daß das Leben verloren sei? Wir sprechen wie
Merlin frevelnd das Wort, das uns an die Dornenhecke bindet, und doch
wäre es vielleicht besser, mit den Tapfern durch die fernste Wüste zu ziehen
und, wenn es sein muß, im Kampf zu Grunde zu gehen!

Unwillkürlich war Friedrichs erregtes Denken ein leidenschaftlich lautes
Selbstgespräch geworden. Er fuhr jedoch erschrocken aus seinen Träumen auf,
als sich eine leichte Hand auf seine Schulter legte und eine wohlklingende
Stimme sagte: Sie irren, mein junger Freund! Es kann uns nichts Besseres
geschehen, als daß wir im stillsten Weltwinkel eine Menschenseele finden, die uns
von dem uralten Fluch der Einsamkeit, von dem Gefühl erlöst, allein zu sein.
Es scheint, daß Sie so glücklich sind, in Ihrer jungen Landsmännin eine solche
Seele gefunden zu haben. Aus den Angen Ihrer Geliebten glänzt ein Strahl,
der nicht mit der Jugend erlischt, der im Abwärtsgehen Heller und goldner in
Ihr Leben fallen wird. Lassen Sie nichts in der Welt und nichts in Ihrem
eignen Herzen zwischen sich und diese selige Gewißheit treten. Ob sie nun lang
oder kurz währe,- sie bleibt das Beste, was uns Sterblichen gegönnt ist, und
wenn wir sie rein in uns erhalten, wird sie uns in der letzten Stunde nicht
verlassen.

Es war Signor Felice Constantini, der so zu Doktor Carstens sprach.
Friedrich hatte sich zu ihm gewandt, und sah einen Ausdruck tiefer Teilnahme
in den Zügen des alten Herrn. Die milde Ruhe seines Gastfreundes ließ gar
keine Betroffenheit über die plötzliche ernste Ansprache bei dem jungen Gelehrten
aufkommen, Signor Felice fuhr, auch ohne eine Erwiederung seines Gastes
abzuwarten, ruhig fort:

Sie bedürfen keiner Erklärung, ich weiß nur zu wohl, wie solche Stim¬
mungen Herr über uns werden. Und ich spräche nicht zu Ihnen, wenn nicht
Ihr Märchen, welches Sie vorhin den Landsleuten erzählt und welchem ich, ich
darf nicht sagen wider Willen, aber doch ganz willenlos gelauscht habe, da ich
mit meiner Lektüre dieser Laube zu nahe gerückt war, mich aufs tiefste ergriffei?
und mancherlei in mir aufgeregt hätte, was nicht vergessen, nur begraben war.
Als ich Sie vorhin erzählen hörte, Signor Federigo, beschlich mich ein wunder¬
sames Gefühl, als trügen Sie meine Geschichte vor, und Merlin sei n"r eine
Verkleidung für mich. Und ich wußte dennoch, daß niemand auf Torcello und
in Venedig Ihnen vertraut haben könnte, was zum guten Teile nur in mir
lebt, hörte auch bald aus Ihrer Erzählung heraus, daß dieselbe in der That
eine uralte Sage sei. Aber Ihre Sage -- wie ich sie verstehe -- hat Leben,
Merlins Geschick erneut sich beständig, nur milder, freundlicher, mein junger
Freund! Es ist nicht immer Viviane die Flatterhafte, die uns ein Merlinschicksal
bereitet -- ich habe es selbst erfahren!

(Fortsetzung folgt.)


Der neue Merlin.

Tag abwärts führt, wenn es Abend werden will und jede Stunde in öder
Stille zum Bewußtsein bringt, daß das Leben verloren sei? Wir sprechen wie
Merlin frevelnd das Wort, das uns an die Dornenhecke bindet, und doch
wäre es vielleicht besser, mit den Tapfern durch die fernste Wüste zu ziehen
und, wenn es sein muß, im Kampf zu Grunde zu gehen!

Unwillkürlich war Friedrichs erregtes Denken ein leidenschaftlich lautes
Selbstgespräch geworden. Er fuhr jedoch erschrocken aus seinen Träumen auf,
als sich eine leichte Hand auf seine Schulter legte und eine wohlklingende
Stimme sagte: Sie irren, mein junger Freund! Es kann uns nichts Besseres
geschehen, als daß wir im stillsten Weltwinkel eine Menschenseele finden, die uns
von dem uralten Fluch der Einsamkeit, von dem Gefühl erlöst, allein zu sein.
Es scheint, daß Sie so glücklich sind, in Ihrer jungen Landsmännin eine solche
Seele gefunden zu haben. Aus den Angen Ihrer Geliebten glänzt ein Strahl,
der nicht mit der Jugend erlischt, der im Abwärtsgehen Heller und goldner in
Ihr Leben fallen wird. Lassen Sie nichts in der Welt und nichts in Ihrem
eignen Herzen zwischen sich und diese selige Gewißheit treten. Ob sie nun lang
oder kurz währe,- sie bleibt das Beste, was uns Sterblichen gegönnt ist, und
wenn wir sie rein in uns erhalten, wird sie uns in der letzten Stunde nicht
verlassen.

Es war Signor Felice Constantini, der so zu Doktor Carstens sprach.
Friedrich hatte sich zu ihm gewandt, und sah einen Ausdruck tiefer Teilnahme
in den Zügen des alten Herrn. Die milde Ruhe seines Gastfreundes ließ gar
keine Betroffenheit über die plötzliche ernste Ansprache bei dem jungen Gelehrten
aufkommen, Signor Felice fuhr, auch ohne eine Erwiederung seines Gastes
abzuwarten, ruhig fort:

Sie bedürfen keiner Erklärung, ich weiß nur zu wohl, wie solche Stim¬
mungen Herr über uns werden. Und ich spräche nicht zu Ihnen, wenn nicht
Ihr Märchen, welches Sie vorhin den Landsleuten erzählt und welchem ich, ich
darf nicht sagen wider Willen, aber doch ganz willenlos gelauscht habe, da ich
mit meiner Lektüre dieser Laube zu nahe gerückt war, mich aufs tiefste ergriffei?
und mancherlei in mir aufgeregt hätte, was nicht vergessen, nur begraben war.
Als ich Sie vorhin erzählen hörte, Signor Federigo, beschlich mich ein wunder¬
sames Gefühl, als trügen Sie meine Geschichte vor, und Merlin sei n«r eine
Verkleidung für mich. Und ich wußte dennoch, daß niemand auf Torcello und
in Venedig Ihnen vertraut haben könnte, was zum guten Teile nur in mir
lebt, hörte auch bald aus Ihrer Erzählung heraus, daß dieselbe in der That
eine uralte Sage sei. Aber Ihre Sage — wie ich sie verstehe — hat Leben,
Merlins Geschick erneut sich beständig, nur milder, freundlicher, mein junger
Freund! Es ist nicht immer Viviane die Flatterhafte, die uns ein Merlinschicksal
bereitet — ich habe es selbst erfahren!

(Fortsetzung folgt.)


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[0589] Der neue Merlin. Tag abwärts führt, wenn es Abend werden will und jede Stunde in öder Stille zum Bewußtsein bringt, daß das Leben verloren sei? Wir sprechen wie Merlin frevelnd das Wort, das uns an die Dornenhecke bindet, und doch wäre es vielleicht besser, mit den Tapfern durch die fernste Wüste zu ziehen und, wenn es sein muß, im Kampf zu Grunde zu gehen! Unwillkürlich war Friedrichs erregtes Denken ein leidenschaftlich lautes Selbstgespräch geworden. Er fuhr jedoch erschrocken aus seinen Träumen auf, als sich eine leichte Hand auf seine Schulter legte und eine wohlklingende Stimme sagte: Sie irren, mein junger Freund! Es kann uns nichts Besseres geschehen, als daß wir im stillsten Weltwinkel eine Menschenseele finden, die uns von dem uralten Fluch der Einsamkeit, von dem Gefühl erlöst, allein zu sein. Es scheint, daß Sie so glücklich sind, in Ihrer jungen Landsmännin eine solche Seele gefunden zu haben. Aus den Angen Ihrer Geliebten glänzt ein Strahl, der nicht mit der Jugend erlischt, der im Abwärtsgehen Heller und goldner in Ihr Leben fallen wird. Lassen Sie nichts in der Welt und nichts in Ihrem eignen Herzen zwischen sich und diese selige Gewißheit treten. Ob sie nun lang oder kurz währe,- sie bleibt das Beste, was uns Sterblichen gegönnt ist, und wenn wir sie rein in uns erhalten, wird sie uns in der letzten Stunde nicht verlassen. Es war Signor Felice Constantini, der so zu Doktor Carstens sprach. Friedrich hatte sich zu ihm gewandt, und sah einen Ausdruck tiefer Teilnahme in den Zügen des alten Herrn. Die milde Ruhe seines Gastfreundes ließ gar keine Betroffenheit über die plötzliche ernste Ansprache bei dem jungen Gelehrten aufkommen, Signor Felice fuhr, auch ohne eine Erwiederung seines Gastes abzuwarten, ruhig fort: Sie bedürfen keiner Erklärung, ich weiß nur zu wohl, wie solche Stim¬ mungen Herr über uns werden. Und ich spräche nicht zu Ihnen, wenn nicht Ihr Märchen, welches Sie vorhin den Landsleuten erzählt und welchem ich, ich darf nicht sagen wider Willen, aber doch ganz willenlos gelauscht habe, da ich mit meiner Lektüre dieser Laube zu nahe gerückt war, mich aufs tiefste ergriffei? und mancherlei in mir aufgeregt hätte, was nicht vergessen, nur begraben war. Als ich Sie vorhin erzählen hörte, Signor Federigo, beschlich mich ein wunder¬ sames Gefühl, als trügen Sie meine Geschichte vor, und Merlin sei n«r eine Verkleidung für mich. Und ich wußte dennoch, daß niemand auf Torcello und in Venedig Ihnen vertraut haben könnte, was zum guten Teile nur in mir lebt, hörte auch bald aus Ihrer Erzählung heraus, daß dieselbe in der That eine uralte Sage sei. Aber Ihre Sage — wie ich sie verstehe — hat Leben, Merlins Geschick erneut sich beständig, nur milder, freundlicher, mein junger Freund! Es ist nicht immer Viviane die Flatterhafte, die uns ein Merlinschicksal bereitet — ich habe es selbst erfahren! (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/589>, abgerufen am 20.05.2024.