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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das neue Akticngesetz,

Verein für Sozialpolitik (Eisenach), der Juristentag, der Landwirtschaftsrat 7c. --
sie alle stimmten ein in den Ruf nach Reform. Die Reichsregierung allein ließ
sich nicht irre machen; sie hat mit außerordentlicher Gründlichkeit die Arbeit
begonnen und während einer Reihe von Jahren unter Benutzung eines reich¬
haltigen Materials -- die Motive geben davon Zeugnis --, sowie nach An¬
hörung bewährter Sachverständigen das Werk soweit gefördert, daß es im Sep¬
tember vorigen Jahres dem Bundesrate vorgelegt werden konnte. Gleichzeitig
wurde, um der Kritik den freiesten Spielraum zu gewähren, der Entwurf ver¬
öffentlicht.

Da begannen die nächstbcteiligten Kreise, d. h. die Börse und deren publi¬
zistischer Anhang, ein wahres Stnrmlaufen gegen das Gesetzprojekt. Die Ten¬
denz desselben konnte nnr eine sein: an Stelle der schrankenlosen Willkür zur
Ausbeutung des Publikums eine scharfe Verantwortlichkeit streng abgegrenzter
Pflichten zu setzen. Natürlich ist das für die Börse peinlich; denn bequemer ist
es, ohne Verantwortlichkeit zu gründen, ohne Scheu vor Ansprüchen der Aktio¬
näre den Aufsichtsrat zu spielen und hohe Tantiemen einzustreichen. Allein so
offen trat selbstverständlich die Anfeindung nicht hervor; es wurde der Sache
ein schönes Mäntelchen umgehängt, indem der Ausschuß des Deutschen Handels¬
tages einen Aufruf an sämtliche Handelskammern ergehen ließ und sie zur Be¬
antwortung bestimmt vorgelegter Fragen aufforderte. Diese Fragen ließen die
Absicht des Fragenden nicht schwer erkennen; sie waren fo gestellt, daß die
Antwort bereits angedeutet war und eine für den Entwurf sehr ungünstige sein
mußte. Waren aber trotz dieser Deutlichkeit noch Zweifel möglich, so wurden
diese völlig beseitigt durch die gleichzeitig mit jenen Fragen in die Welt ge¬
schickte Broschüre des Geheimen Kommerzienrath Delbrück, der zwar als Privat¬
mann auftrat, aber doch gleichzeitig der Vorsitzende jenes Ausschusses war,
welcher den Handelskammern jene Fragen vorgelegt hatte. Die Folge blieb nicht
aus, es ging ein Schrei der Entrüstung durch das Reich; die Handelskammern
beantworteten zum großen Teile die Fragen nach dein Wunsche des Ausschusses.
Wir wollen dabei durchaus uicht überall den guten Glauben der Handelskam¬
mern in Frage ziehen; sie waren eben schon dnrch den Ausschuß und die Bro¬
schüre in ihren Überzeugungen befangen gemacht. Aus allen Ecken ertönte es
von einem Mißtrauen der Neichsregierung gegen deu Handelsstand, von einem
Übelwollen gegen die kaufmännischen Interessen, welches alle diejenigen dem
Reichskanzler vorwerfen, welche Börse und Handel für gleichbedeutend erachten.
Natürlich verfehlten weder die dissentirenden Handelskammern noch der Ausschuß,
ihre abfällige Meinung in die Oppositioiispresse und namentlich in die Börsen¬
blätter zu bringen, und wie man weiß, gehören zu letztern nicht bloß diejenigen,
welche sich als solche bezeichnen. Wie unparteiisch man dabei verfuhr, ergiebt
sich daraus, daß man eben nur die ungünstigen Berichte veröffentlichte und alles
wegließ, was sonst an dem Entwurf zu loben war. Um aber den Schein der


Das neue Akticngesetz,

Verein für Sozialpolitik (Eisenach), der Juristentag, der Landwirtschaftsrat 7c. —
sie alle stimmten ein in den Ruf nach Reform. Die Reichsregierung allein ließ
sich nicht irre machen; sie hat mit außerordentlicher Gründlichkeit die Arbeit
begonnen und während einer Reihe von Jahren unter Benutzung eines reich¬
haltigen Materials — die Motive geben davon Zeugnis —, sowie nach An¬
hörung bewährter Sachverständigen das Werk soweit gefördert, daß es im Sep¬
tember vorigen Jahres dem Bundesrate vorgelegt werden konnte. Gleichzeitig
wurde, um der Kritik den freiesten Spielraum zu gewähren, der Entwurf ver¬
öffentlicht.

Da begannen die nächstbcteiligten Kreise, d. h. die Börse und deren publi¬
zistischer Anhang, ein wahres Stnrmlaufen gegen das Gesetzprojekt. Die Ten¬
denz desselben konnte nnr eine sein: an Stelle der schrankenlosen Willkür zur
Ausbeutung des Publikums eine scharfe Verantwortlichkeit streng abgegrenzter
Pflichten zu setzen. Natürlich ist das für die Börse peinlich; denn bequemer ist
es, ohne Verantwortlichkeit zu gründen, ohne Scheu vor Ansprüchen der Aktio¬
näre den Aufsichtsrat zu spielen und hohe Tantiemen einzustreichen. Allein so
offen trat selbstverständlich die Anfeindung nicht hervor; es wurde der Sache
ein schönes Mäntelchen umgehängt, indem der Ausschuß des Deutschen Handels¬
tages einen Aufruf an sämtliche Handelskammern ergehen ließ und sie zur Be¬
antwortung bestimmt vorgelegter Fragen aufforderte. Diese Fragen ließen die
Absicht des Fragenden nicht schwer erkennen; sie waren fo gestellt, daß die
Antwort bereits angedeutet war und eine für den Entwurf sehr ungünstige sein
mußte. Waren aber trotz dieser Deutlichkeit noch Zweifel möglich, so wurden
diese völlig beseitigt durch die gleichzeitig mit jenen Fragen in die Welt ge¬
schickte Broschüre des Geheimen Kommerzienrath Delbrück, der zwar als Privat¬
mann auftrat, aber doch gleichzeitig der Vorsitzende jenes Ausschusses war,
welcher den Handelskammern jene Fragen vorgelegt hatte. Die Folge blieb nicht
aus, es ging ein Schrei der Entrüstung durch das Reich; die Handelskammern
beantworteten zum großen Teile die Fragen nach dein Wunsche des Ausschusses.
Wir wollen dabei durchaus uicht überall den guten Glauben der Handelskam¬
mern in Frage ziehen; sie waren eben schon dnrch den Ausschuß und die Bro¬
schüre in ihren Überzeugungen befangen gemacht. Aus allen Ecken ertönte es
von einem Mißtrauen der Neichsregierung gegen deu Handelsstand, von einem
Übelwollen gegen die kaufmännischen Interessen, welches alle diejenigen dem
Reichskanzler vorwerfen, welche Börse und Handel für gleichbedeutend erachten.
Natürlich verfehlten weder die dissentirenden Handelskammern noch der Ausschuß,
ihre abfällige Meinung in die Oppositioiispresse und namentlich in die Börsen¬
blätter zu bringen, und wie man weiß, gehören zu letztern nicht bloß diejenigen,
welche sich als solche bezeichnen. Wie unparteiisch man dabei verfuhr, ergiebt
sich daraus, daß man eben nur die ungünstigen Berichte veröffentlichte und alles
wegließ, was sonst an dem Entwurf zu loben war. Um aber den Schein der


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[0114] Das neue Akticngesetz, Verein für Sozialpolitik (Eisenach), der Juristentag, der Landwirtschaftsrat 7c. — sie alle stimmten ein in den Ruf nach Reform. Die Reichsregierung allein ließ sich nicht irre machen; sie hat mit außerordentlicher Gründlichkeit die Arbeit begonnen und während einer Reihe von Jahren unter Benutzung eines reich¬ haltigen Materials — die Motive geben davon Zeugnis —, sowie nach An¬ hörung bewährter Sachverständigen das Werk soweit gefördert, daß es im Sep¬ tember vorigen Jahres dem Bundesrate vorgelegt werden konnte. Gleichzeitig wurde, um der Kritik den freiesten Spielraum zu gewähren, der Entwurf ver¬ öffentlicht. Da begannen die nächstbcteiligten Kreise, d. h. die Börse und deren publi¬ zistischer Anhang, ein wahres Stnrmlaufen gegen das Gesetzprojekt. Die Ten¬ denz desselben konnte nnr eine sein: an Stelle der schrankenlosen Willkür zur Ausbeutung des Publikums eine scharfe Verantwortlichkeit streng abgegrenzter Pflichten zu setzen. Natürlich ist das für die Börse peinlich; denn bequemer ist es, ohne Verantwortlichkeit zu gründen, ohne Scheu vor Ansprüchen der Aktio¬ näre den Aufsichtsrat zu spielen und hohe Tantiemen einzustreichen. Allein so offen trat selbstverständlich die Anfeindung nicht hervor; es wurde der Sache ein schönes Mäntelchen umgehängt, indem der Ausschuß des Deutschen Handels¬ tages einen Aufruf an sämtliche Handelskammern ergehen ließ und sie zur Be¬ antwortung bestimmt vorgelegter Fragen aufforderte. Diese Fragen ließen die Absicht des Fragenden nicht schwer erkennen; sie waren fo gestellt, daß die Antwort bereits angedeutet war und eine für den Entwurf sehr ungünstige sein mußte. Waren aber trotz dieser Deutlichkeit noch Zweifel möglich, so wurden diese völlig beseitigt durch die gleichzeitig mit jenen Fragen in die Welt ge¬ schickte Broschüre des Geheimen Kommerzienrath Delbrück, der zwar als Privat¬ mann auftrat, aber doch gleichzeitig der Vorsitzende jenes Ausschusses war, welcher den Handelskammern jene Fragen vorgelegt hatte. Die Folge blieb nicht aus, es ging ein Schrei der Entrüstung durch das Reich; die Handelskammern beantworteten zum großen Teile die Fragen nach dein Wunsche des Ausschusses. Wir wollen dabei durchaus uicht überall den guten Glauben der Handelskam¬ mern in Frage ziehen; sie waren eben schon dnrch den Ausschuß und die Bro¬ schüre in ihren Überzeugungen befangen gemacht. Aus allen Ecken ertönte es von einem Mißtrauen der Neichsregierung gegen deu Handelsstand, von einem Übelwollen gegen die kaufmännischen Interessen, welches alle diejenigen dem Reichskanzler vorwerfen, welche Börse und Handel für gleichbedeutend erachten. Natürlich verfehlten weder die dissentirenden Handelskammern noch der Ausschuß, ihre abfällige Meinung in die Oppositioiispresse und namentlich in die Börsen¬ blätter zu bringen, und wie man weiß, gehören zu letztern nicht bloß diejenigen, welche sich als solche bezeichnen. Wie unparteiisch man dabei verfuhr, ergiebt sich daraus, daß man eben nur die ungünstigen Berichte veröffentlichte und alles wegließ, was sonst an dem Entwurf zu loben war. Um aber den Schein der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/114>, abgerufen am 15.06.2024.