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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Lrden.

mir selbst: Mutter, sagte sie, ich werde nie wieder einen Fuß dorthin setzen,
nie, nie; dort ist es, wo ich jenen Mann kennen gelernt habe. Und ich mußte
ihr Recht geben.

Ja, unterbrach sie Gcgia, indem sie Guidos Mutter liebevoll anblickte,
aber jetzt handelte es sich darum, die Fran Rina zu besuchen, von ihr Nach¬
richt zu erhalten, und wohin, o heilige Jungfrau, würde ich nicht darum
gehen ?

In diesem Augenblicke kamen auf der Höhe, wo sich unsre Personen be¬
fanden, zwei Spaziergänger an, und das war niemand anders als der kleine
Baron von Stagnorcma und der junge Graf von Valgrande. Niemand aus
der Gruppe hatte sie gesehen oder kommen hören, am allerwenigsten Gegia,
hinter deren Rücken sie erschienen waren. Als die beiden eleganten Herrchen
vorübergingen, grüßten sie höflich und wandten sich mit einem Blicke der Be¬
wunderung nach Rina um.

Gcgia wurde leichenblaß, erstickte nur mit Mühe einen Schrei und stützte
sich auf die Mutter, um nicht zu Boden zu sinken.

Was ist dir? Was giebts? fragte die Mutter ganz erschreckt. O, meine
Gegia, wird dir unwohl?

Ja -- nein. Laß uns weggehen, laß uns nach Hause gehen!

Aber was war es denn? fragten Rina und Adele, indem sie liebevoll die
Aermste drängten, sich zu erklären.

Paul durchschaute die Wahrheit.

Ihr kennt die beiden Herren, welche soeben vorbeigingen?

Ich? O, wer sagt das? Ich nicht, ich kenne sie nicht.

Den Grafen von Valgrande?

O! Still doch! Nennen Sie mir nicht diesen Namen!

Nun begriff auch die Mutter alles.

Ha! Ist dies der Verruchte?

Und sie machte eine Bewegung, um sich hinter ihm herzustürzen. Man
hielt sie zurück, indem man sie auf den peinlichen Zustand ihrer Tochter verwies.

Die Alte erhob gegen die beiden Elegants, welche ruhig ihres Weges gingen,
drohend die Faust und schleuderte hinter ihnen ihren Fluch: Ich habe dich schon
tausendmal verflucht, du Mörder meiner Tochter! Könnten doch alle Verwün¬
schungen der ganzen Welt auf dein Haupt herabstürzen! Ich fluche dir noch¬
mals, möge dir unser Herrgott auf ewig sein Mitleid versagen!




10.

Der Graf von Valgrande hatte keine Ahnung davon, daß er die Veran¬
lassung zu der eben erzählten Scene gegeben hatte, er hatte keinen Blick auf
Gegia geworfen und würde sie in ihrem leidenden Aussehen schwerlich wieder¬
erkannt haben.

Das Erlebnis mit der Gegia war für den jungen Wüstling nichts weiter
als ein gewöhnliches Abenteuer gewesen, wie er deren schon mehrere in dem
Kalender seines müßiggängerischen Lebens zu verzeichnen hatte.

Er war drei Jahre vorher zum erstenmale in unserm Badeorte erschienen,
hatte unter der dort versammelten Gesellschaft auch nicht eine einzige, des Um¬
ganges werte vornehme Schönheit gefunden und sich außerordentlich gelangweilt.
Da begegnete er ganz zufällig bei einem Ausfluge in das Gebirge einem von


Die Lngel auf Lrden.

mir selbst: Mutter, sagte sie, ich werde nie wieder einen Fuß dorthin setzen,
nie, nie; dort ist es, wo ich jenen Mann kennen gelernt habe. Und ich mußte
ihr Recht geben.

Ja, unterbrach sie Gcgia, indem sie Guidos Mutter liebevoll anblickte,
aber jetzt handelte es sich darum, die Fran Rina zu besuchen, von ihr Nach¬
richt zu erhalten, und wohin, o heilige Jungfrau, würde ich nicht darum
gehen ?

In diesem Augenblicke kamen auf der Höhe, wo sich unsre Personen be¬
fanden, zwei Spaziergänger an, und das war niemand anders als der kleine
Baron von Stagnorcma und der junge Graf von Valgrande. Niemand aus
der Gruppe hatte sie gesehen oder kommen hören, am allerwenigsten Gegia,
hinter deren Rücken sie erschienen waren. Als die beiden eleganten Herrchen
vorübergingen, grüßten sie höflich und wandten sich mit einem Blicke der Be¬
wunderung nach Rina um.

Gcgia wurde leichenblaß, erstickte nur mit Mühe einen Schrei und stützte
sich auf die Mutter, um nicht zu Boden zu sinken.

Was ist dir? Was giebts? fragte die Mutter ganz erschreckt. O, meine
Gegia, wird dir unwohl?

Ja — nein. Laß uns weggehen, laß uns nach Hause gehen!

Aber was war es denn? fragten Rina und Adele, indem sie liebevoll die
Aermste drängten, sich zu erklären.

Paul durchschaute die Wahrheit.

Ihr kennt die beiden Herren, welche soeben vorbeigingen?

Ich? O, wer sagt das? Ich nicht, ich kenne sie nicht.

Den Grafen von Valgrande?

O! Still doch! Nennen Sie mir nicht diesen Namen!

Nun begriff auch die Mutter alles.

Ha! Ist dies der Verruchte?

Und sie machte eine Bewegung, um sich hinter ihm herzustürzen. Man
hielt sie zurück, indem man sie auf den peinlichen Zustand ihrer Tochter verwies.

Die Alte erhob gegen die beiden Elegants, welche ruhig ihres Weges gingen,
drohend die Faust und schleuderte hinter ihnen ihren Fluch: Ich habe dich schon
tausendmal verflucht, du Mörder meiner Tochter! Könnten doch alle Verwün¬
schungen der ganzen Welt auf dein Haupt herabstürzen! Ich fluche dir noch¬
mals, möge dir unser Herrgott auf ewig sein Mitleid versagen!




10.

Der Graf von Valgrande hatte keine Ahnung davon, daß er die Veran¬
lassung zu der eben erzählten Scene gegeben hatte, er hatte keinen Blick auf
Gegia geworfen und würde sie in ihrem leidenden Aussehen schwerlich wieder¬
erkannt haben.

Das Erlebnis mit der Gegia war für den jungen Wüstling nichts weiter
als ein gewöhnliches Abenteuer gewesen, wie er deren schon mehrere in dem
Kalender seines müßiggängerischen Lebens zu verzeichnen hatte.

Er war drei Jahre vorher zum erstenmale in unserm Badeorte erschienen,
hatte unter der dort versammelten Gesellschaft auch nicht eine einzige, des Um¬
ganges werte vornehme Schönheit gefunden und sich außerordentlich gelangweilt.
Da begegnete er ganz zufällig bei einem Ausfluge in das Gebirge einem von


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[0246] Die Lngel auf Lrden. mir selbst: Mutter, sagte sie, ich werde nie wieder einen Fuß dorthin setzen, nie, nie; dort ist es, wo ich jenen Mann kennen gelernt habe. Und ich mußte ihr Recht geben. Ja, unterbrach sie Gcgia, indem sie Guidos Mutter liebevoll anblickte, aber jetzt handelte es sich darum, die Fran Rina zu besuchen, von ihr Nach¬ richt zu erhalten, und wohin, o heilige Jungfrau, würde ich nicht darum gehen ? In diesem Augenblicke kamen auf der Höhe, wo sich unsre Personen be¬ fanden, zwei Spaziergänger an, und das war niemand anders als der kleine Baron von Stagnorcma und der junge Graf von Valgrande. Niemand aus der Gruppe hatte sie gesehen oder kommen hören, am allerwenigsten Gegia, hinter deren Rücken sie erschienen waren. Als die beiden eleganten Herrchen vorübergingen, grüßten sie höflich und wandten sich mit einem Blicke der Be¬ wunderung nach Rina um. Gcgia wurde leichenblaß, erstickte nur mit Mühe einen Schrei und stützte sich auf die Mutter, um nicht zu Boden zu sinken. Was ist dir? Was giebts? fragte die Mutter ganz erschreckt. O, meine Gegia, wird dir unwohl? Ja — nein. Laß uns weggehen, laß uns nach Hause gehen! Aber was war es denn? fragten Rina und Adele, indem sie liebevoll die Aermste drängten, sich zu erklären. Paul durchschaute die Wahrheit. Ihr kennt die beiden Herren, welche soeben vorbeigingen? Ich? O, wer sagt das? Ich nicht, ich kenne sie nicht. Den Grafen von Valgrande? O! Still doch! Nennen Sie mir nicht diesen Namen! Nun begriff auch die Mutter alles. Ha! Ist dies der Verruchte? Und sie machte eine Bewegung, um sich hinter ihm herzustürzen. Man hielt sie zurück, indem man sie auf den peinlichen Zustand ihrer Tochter verwies. Die Alte erhob gegen die beiden Elegants, welche ruhig ihres Weges gingen, drohend die Faust und schleuderte hinter ihnen ihren Fluch: Ich habe dich schon tausendmal verflucht, du Mörder meiner Tochter! Könnten doch alle Verwün¬ schungen der ganzen Welt auf dein Haupt herabstürzen! Ich fluche dir noch¬ mals, möge dir unser Herrgott auf ewig sein Mitleid versagen! 10. Der Graf von Valgrande hatte keine Ahnung davon, daß er die Veran¬ lassung zu der eben erzählten Scene gegeben hatte, er hatte keinen Blick auf Gegia geworfen und würde sie in ihrem leidenden Aussehen schwerlich wieder¬ erkannt haben. Das Erlebnis mit der Gegia war für den jungen Wüstling nichts weiter als ein gewöhnliches Abenteuer gewesen, wie er deren schon mehrere in dem Kalender seines müßiggängerischen Lebens zu verzeichnen hatte. Er war drei Jahre vorher zum erstenmale in unserm Badeorte erschienen, hatte unter der dort versammelten Gesellschaft auch nicht eine einzige, des Um¬ ganges werte vornehme Schönheit gefunden und sich außerordentlich gelangweilt. Da begegnete er ganz zufällig bei einem Ausfluge in das Gebirge einem von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/246>, abgerufen am 16.06.2024.