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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Line Wanderung durch Schwaben.

Und Ulmer Geld
Regiert die Welt

heutzutage vollständig seine Bedeutung verloren hat. Von Ukas erstem Maler,
Hans Schülein, ist in der Stadt selbst kein Werk erhalten, denn der in der
Sakristei des Münsters bewahrte Gottvater mit den: toten Christus im Schoße
kann höchstens als ein Schulbild gelten. Dagegen lernen wir die beiden andern
Ulmer Meister, Zcitblom und Schaffner, in mehreren Arbeiten kennen. Was
Ulm an Gemälden besitzt, ist im Münster vereinigt. Von Zeitblom befinden
sich in der Sakristei sechs Bilder, welche die heilige Ursula mit ihren Jung-
frauen, Johannes, Jakobus und Bartholomäus, die Verkündigung, die Himmel¬
fahrt und Petrus am Ölberge darstellen -- von verschiednen Maßen und ohne
Zweifel die trnnrigcn Überreste der vielen Altäre, die während der Religions¬
kriege im Münster verbrannten. Bei weitem besser als Zeitblom ist Schaffner
vertreten. Von ihm rührt der Hochaltar des Münsters her, welcher zeigt, wie
rasch die Malerei mit dem Beginne des sechzehnten Jahrhunderts das eigentlich
kirchliche Gepräge abstreifte. Der Inhalt ist zwar kirchlich, aber ganz in das
zeitgenössische Leben übertragen. Der rechte Flügel stellt die Familie des Zebe-
däus, der linke die des Alphäus dar. Die Kinder siud besonders beachtenswert.
Auf dem rechten Flügel wird das eine von der Mutter gehalten und greift
nach einer von dem Vater ihm dargebotenen Birne, das andre möchte auch gern
die Birne haben, kann aber ihr nicht beikommen, weil es durch ein Täfelchen
in Anspruch genommen ist, auf welchem alphabetisch geordnete Worte wie Abel,
Adam zu lesen sind. Auf dem linken Flügel liegt das erste kleinste Kind an
der Mutter Brust, das zweite läßt einen Vogel am Faden fliegen, das dritte
reitet auf einem Steckenpferd, das vierte hält ein ABC-Täfelchen gegen den
Vater hinauf mit einem Gesicht und einer Bewegung der Hände, welche die
Beschäftigung mit diesen Anfangsgründen der Weisheit vorläufig noch abzu¬
lehnen scheint. Es sind die liebenswürdigsten schwäbischen Familienszenen, und
die Köpfe der Alten sind selbstverständlich Porträts. Der Einfluß der Renaissance
ist an den Säulen und Möbeln unverkennbar. Ein zweites vorzügliches Werk
Schaffners ist in der Bessererschen Kapelle das Bildnis des Eitel Besserer, das
in der ganzen Anordnung an Dürers Holzschuherbild erinnert.

Noch besser als in Ulm läßt sich jedoch die Ulmer Malerschule in Blau-
beuren studiren. Die doppelten Außenflügel des Hochaltars enthalten, wie
schon erwähnt, Malereien, und zwar hochbedeutende von Bartholomäus Zeitblom.
Die Außenflügel des geschlossenen Altars schildern in vier großen Feldern die
Leidensgeschichte Christi. Werden diese geöffnet, so erscheinen sechzehn große
Kompositionen aus dem Leben Johannes des Täufers. Ein andres tüchtiges
Werk Zeitbloms befindet sich in der einige Minuten vom Kloster entfernten
Stadtkirche: ebenfalls ein Flügelaltar, der im Jahre 1605 von dem Ulmer
Bürger Martin Neubronner in die Kirche gestiftet wurde. Doch gehören nur


Line Wanderung durch Schwaben.

Und Ulmer Geld
Regiert die Welt

heutzutage vollständig seine Bedeutung verloren hat. Von Ukas erstem Maler,
Hans Schülein, ist in der Stadt selbst kein Werk erhalten, denn der in der
Sakristei des Münsters bewahrte Gottvater mit den: toten Christus im Schoße
kann höchstens als ein Schulbild gelten. Dagegen lernen wir die beiden andern
Ulmer Meister, Zcitblom und Schaffner, in mehreren Arbeiten kennen. Was
Ulm an Gemälden besitzt, ist im Münster vereinigt. Von Zeitblom befinden
sich in der Sakristei sechs Bilder, welche die heilige Ursula mit ihren Jung-
frauen, Johannes, Jakobus und Bartholomäus, die Verkündigung, die Himmel¬
fahrt und Petrus am Ölberge darstellen — von verschiednen Maßen und ohne
Zweifel die trnnrigcn Überreste der vielen Altäre, die während der Religions¬
kriege im Münster verbrannten. Bei weitem besser als Zeitblom ist Schaffner
vertreten. Von ihm rührt der Hochaltar des Münsters her, welcher zeigt, wie
rasch die Malerei mit dem Beginne des sechzehnten Jahrhunderts das eigentlich
kirchliche Gepräge abstreifte. Der Inhalt ist zwar kirchlich, aber ganz in das
zeitgenössische Leben übertragen. Der rechte Flügel stellt die Familie des Zebe-
däus, der linke die des Alphäus dar. Die Kinder siud besonders beachtenswert.
Auf dem rechten Flügel wird das eine von der Mutter gehalten und greift
nach einer von dem Vater ihm dargebotenen Birne, das andre möchte auch gern
die Birne haben, kann aber ihr nicht beikommen, weil es durch ein Täfelchen
in Anspruch genommen ist, auf welchem alphabetisch geordnete Worte wie Abel,
Adam zu lesen sind. Auf dem linken Flügel liegt das erste kleinste Kind an
der Mutter Brust, das zweite läßt einen Vogel am Faden fliegen, das dritte
reitet auf einem Steckenpferd, das vierte hält ein ABC-Täfelchen gegen den
Vater hinauf mit einem Gesicht und einer Bewegung der Hände, welche die
Beschäftigung mit diesen Anfangsgründen der Weisheit vorläufig noch abzu¬
lehnen scheint. Es sind die liebenswürdigsten schwäbischen Familienszenen, und
die Köpfe der Alten sind selbstverständlich Porträts. Der Einfluß der Renaissance
ist an den Säulen und Möbeln unverkennbar. Ein zweites vorzügliches Werk
Schaffners ist in der Bessererschen Kapelle das Bildnis des Eitel Besserer, das
in der ganzen Anordnung an Dürers Holzschuherbild erinnert.

Noch besser als in Ulm läßt sich jedoch die Ulmer Malerschule in Blau-
beuren studiren. Die doppelten Außenflügel des Hochaltars enthalten, wie
schon erwähnt, Malereien, und zwar hochbedeutende von Bartholomäus Zeitblom.
Die Außenflügel des geschlossenen Altars schildern in vier großen Feldern die
Leidensgeschichte Christi. Werden diese geöffnet, so erscheinen sechzehn große
Kompositionen aus dem Leben Johannes des Täufers. Ein andres tüchtiges
Werk Zeitbloms befindet sich in der einige Minuten vom Kloster entfernten
Stadtkirche: ebenfalls ein Flügelaltar, der im Jahre 1605 von dem Ulmer
Bürger Martin Neubronner in die Kirche gestiftet wurde. Doch gehören nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/29>, abgerufen am 22.05.2024.