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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Eine Wanderung durch Schwaben.

entschließt, im Hintergrunde eine weite bergige Landschaft anzubringen. Er ist
jedenfalls einer der bedeutendsten Meister der Zeit gewesen; hoffentlich gelingt
es noch, näheres über ihn festzustellen.

Gleichzeitig mit der Ulmer Schule blühten zwei unabhängige Malerschulen
in Nördlingen und Augsburg.

Die Stadt Nördlingen hat ihr mittelalterliches Gepräge noch jetzt ziemlich
vollständig bewahrt. Außer Rothenburg an der Tauber giebt es kaum eine
Stadt, in der sich das Alte so rein erhalten hätte wie dort. In drei mäßig
großen Sälen des Rathauses sind die Hauptwerke der Meister Herlin und
Schäufelein aufgestellt. Von Friedrich Herlin, dessen Werke ganz von einem
flandrischen Hauche durchweht sind und in überraschender Weise an Roger
van der Weyden erinnern, sind fünfundzwanzig Bilder erhalten, die aus den
verschleimen Kirchen nach dem Rathause geschafft wurden. Aus dem Jahre
1462 stammen die Flügelbilder des Fuchshartschen Hochaltars, welche Szenen
aus dem Leben Christi von seiner Geburt bis zum jüngsten Gerichte vorführen.
1468 malte der Künstler ein figurenreiches Eecehomobild, worin namentlich die
Gestalt des vor Pilatus stehenden Christus Beachtung verdient. Zwanzig Jahre
später, 1488, entstand das große Triptychon, das der Maler selbst für sich
und seine Familie stiftete: in der Mitte Maria mit dem Kinde, links Lukas,
der Schutzherr der Maler, rechts Margaretha, von denen jener den Vater
Herlin mit seinen vier Söhnen, diese die Mutter mit ihren vier Töchtern der
Madonna empfiehlt. Alle diese Bilder machen fast mehr einen niederländischen
als einen deutschen Eindruck und zeigen dieselbe scharfe, eckige Bewegung, dieselbe
knittrige Gewandung wie diejenigen Rogers, wenn sich auch Herlin in dem
letzten Bilde mehr zu einer freien, selbständigen Kompositionsweise emporschwang.

Beinahe noch vollständiger als Herlin ist Schäufelein ini Nördlinger Rat¬
hause vertreten. Alle Gemälde aus der Blütezeit des Künstlers finden sich
hier vereinigt. In der Bundesstube, wo früher die Sitzungen des schwäbischen
Bundes abgehalten wurden, prangt ein vortreffliches Temperabild, die Geschichte
der Judith und des Holofernes, aus dem Jahre 1515. Die ganze Anordnung
hat noch etwas Mittelalterliches. Auf einunddemselben Hintergrunde werden
die verschiedensten Szenen aus dem Leben der Judith dargestellt. Oben rechts
kommt sie mit ihren Mägden herbei, in der Mitte des Vordergrundes steht
sie flehend vor Holofernes, links hält sie das abgeschlagene Haupt desselben
in der Hand, oben wütet der Kampf zwischen den Amalekitern und Jsraeliten.
Aber welche Lieblichkeit ist über das Ganze ausgegossen! Von hervorragender
Schönheit ist die jungfräuliche Gestalt der Judith mit ihrem goldbrokatencn
Kleide, ihrem blauen Mantel und ihrer weißen Haube. Reizend sind die übrigen
Frauengestalten und die idyllisch einsam daliegenden Häuser der Landschaft; selbst
die Gefechte der Landsknechte sind mit großer Lebendigkeit behandelt. Ferner finden
wir hier von Schäufelein eine ganze Reihe von Epitaphien, die von verschiedenen


Eine Wanderung durch Schwaben.

entschließt, im Hintergrunde eine weite bergige Landschaft anzubringen. Er ist
jedenfalls einer der bedeutendsten Meister der Zeit gewesen; hoffentlich gelingt
es noch, näheres über ihn festzustellen.

Gleichzeitig mit der Ulmer Schule blühten zwei unabhängige Malerschulen
in Nördlingen und Augsburg.

Die Stadt Nördlingen hat ihr mittelalterliches Gepräge noch jetzt ziemlich
vollständig bewahrt. Außer Rothenburg an der Tauber giebt es kaum eine
Stadt, in der sich das Alte so rein erhalten hätte wie dort. In drei mäßig
großen Sälen des Rathauses sind die Hauptwerke der Meister Herlin und
Schäufelein aufgestellt. Von Friedrich Herlin, dessen Werke ganz von einem
flandrischen Hauche durchweht sind und in überraschender Weise an Roger
van der Weyden erinnern, sind fünfundzwanzig Bilder erhalten, die aus den
verschleimen Kirchen nach dem Rathause geschafft wurden. Aus dem Jahre
1462 stammen die Flügelbilder des Fuchshartschen Hochaltars, welche Szenen
aus dem Leben Christi von seiner Geburt bis zum jüngsten Gerichte vorführen.
1468 malte der Künstler ein figurenreiches Eecehomobild, worin namentlich die
Gestalt des vor Pilatus stehenden Christus Beachtung verdient. Zwanzig Jahre
später, 1488, entstand das große Triptychon, das der Maler selbst für sich
und seine Familie stiftete: in der Mitte Maria mit dem Kinde, links Lukas,
der Schutzherr der Maler, rechts Margaretha, von denen jener den Vater
Herlin mit seinen vier Söhnen, diese die Mutter mit ihren vier Töchtern der
Madonna empfiehlt. Alle diese Bilder machen fast mehr einen niederländischen
als einen deutschen Eindruck und zeigen dieselbe scharfe, eckige Bewegung, dieselbe
knittrige Gewandung wie diejenigen Rogers, wenn sich auch Herlin in dem
letzten Bilde mehr zu einer freien, selbständigen Kompositionsweise emporschwang.

Beinahe noch vollständiger als Herlin ist Schäufelein ini Nördlinger Rat¬
hause vertreten. Alle Gemälde aus der Blütezeit des Künstlers finden sich
hier vereinigt. In der Bundesstube, wo früher die Sitzungen des schwäbischen
Bundes abgehalten wurden, prangt ein vortreffliches Temperabild, die Geschichte
der Judith und des Holofernes, aus dem Jahre 1515. Die ganze Anordnung
hat noch etwas Mittelalterliches. Auf einunddemselben Hintergrunde werden
die verschiedensten Szenen aus dem Leben der Judith dargestellt. Oben rechts
kommt sie mit ihren Mägden herbei, in der Mitte des Vordergrundes steht
sie flehend vor Holofernes, links hält sie das abgeschlagene Haupt desselben
in der Hand, oben wütet der Kampf zwischen den Amalekitern und Jsraeliten.
Aber welche Lieblichkeit ist über das Ganze ausgegossen! Von hervorragender
Schönheit ist die jungfräuliche Gestalt der Judith mit ihrem goldbrokatencn
Kleide, ihrem blauen Mantel und ihrer weißen Haube. Reizend sind die übrigen
Frauengestalten und die idyllisch einsam daliegenden Häuser der Landschaft; selbst
die Gefechte der Landsknechte sind mit großer Lebendigkeit behandelt. Ferner finden
wir hier von Schäufelein eine ganze Reihe von Epitaphien, die von verschiedenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/31>, abgerufen am 22.05.2024.