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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Musikalische Genüsse.

Sachsenlaud unternahm, ein mitfahrender Professor mich darauf aufmerksam
machte, wie auch in unscheinbaren Dingen der eingeborne natürliche Kunstsinn
sich dort äußere. "Geben Sie acht, wie auf den Bahnhöfen hier und wie in
Baden und in der Schweiz die Glockenzeichen gegeben werden; Sie werden einen auf¬
fallenden Unterschied finden. Hier wissen die niedersten Beamten bei den Glocken-
schlägcn genau den Takt zu halten, dort wird nur ein mechanisches Signal ge¬
geben." Ich habe oft Gelegenheit gehabt, mich von der Richtigkeit dieser
Beobachtung zu überzeugen. Ich selbst aber, der ich weder blase noch streiche,
weder hämmere noch zupfe, sondern mich mit der bescheidnen Stellung eines
ersten Bassisten im Gesangverein meines Wohnortes begnüge, bin nichtsdesto¬
weniger ein leidenschaftlicher Musikfreund, habe nie versäumt, musikalische Auf¬
führungen jeder Art zu besuchen, habe viel gelesen und in mancher Herren
Ländern gar manches Schöne und Unvergeßliche gehört, sodaß ich glaube, ein
bescheidnes Urteil abgeben zu dürfen, das, wenn es auch vielleicht aus Laien¬
munde und von einem der Sache fernerstehenden gewagt sein mag, doch den so
oft von Parteistandpunkten diktirten fachmännischer Urteilen gegenüber eine ge¬
wisse Berechtigung haben dürfte.

Als ich am 23. Mai gegen Abend in Weimar angelangt staunend die
neue, prächtige Straße, die sich heute vom Bahnhof zur Stadt hinzieht, durch¬
schritten und den stolzen Museumsbau mir wenigstens von außen angesehen
hatte, war ich beim Eintritt in das alte Weimar etwas überrascht, von einer
Festvorbereitung soviel wie nichts zu sehen. Einige Herren und Damen, die
mir begegneten, hatten die linke Busenseite mit Schleifchen verziert, wodurch sie
als Vereinsmitglieder gekennzeichnet wurden, spärliche Flaggen wehten von einigen
öffentlichen Gebäuden, eine für eine Kunststadt, die auch eine Malerschule besitzt,
unsäglich primitive Ehrenpforte war vor dem Hause errichtet, das, wie ich später
hörte, deu Festgcisteu als geselliges Versammlungslokal diente. Sonst sahen
Straßen und Bewohner recht alltäglich und nüchtern aus.

Regeres Leben entwickelte sich jedoch vor dem Beginn der Vorstellung in
der Nähe des Theaters. Es gab da manchen berühmten Mann zu schauen,
man hörte viele Namen nennen, welche in der Kunstwelt einen ehrenvollen Platz
einnehmen. Sängerinnen und Klavierspielerinnen, greise und angehende, bürger¬
lich schlicht und genial ausschauende Meister und Maestrini tauschten Gruß und
Rede.

Fünfundzwanzig Versammlungen hat nun der einst unter der Ägide Seiner
Hoheit des Fürsten Konstantin von Hohenzollern-Hechingen ins Leben getretene
"Allgemeine Tonkünstlervcrein" hinter sich. Unter den Städten, die ihn bisher
gastlich aufgenommen, erscheint Leipzig (viermal), Weimar (dreimal), Altenburg
und Magdeburg (je zweimal), Karlsruhe, Dessau, Meiningen, Kassel, Halle,
Hannover, Erfurt, Wiesbaden, Baden-Baden, Zürich (je einmal). Außerdem
veranstaltete der Leipziger Zweigverein seit 1864 in achtzehn Jahren 56 Kor-


Musikalische Genüsse.

Sachsenlaud unternahm, ein mitfahrender Professor mich darauf aufmerksam
machte, wie auch in unscheinbaren Dingen der eingeborne natürliche Kunstsinn
sich dort äußere. „Geben Sie acht, wie auf den Bahnhöfen hier und wie in
Baden und in der Schweiz die Glockenzeichen gegeben werden; Sie werden einen auf¬
fallenden Unterschied finden. Hier wissen die niedersten Beamten bei den Glocken-
schlägcn genau den Takt zu halten, dort wird nur ein mechanisches Signal ge¬
geben." Ich habe oft Gelegenheit gehabt, mich von der Richtigkeit dieser
Beobachtung zu überzeugen. Ich selbst aber, der ich weder blase noch streiche,
weder hämmere noch zupfe, sondern mich mit der bescheidnen Stellung eines
ersten Bassisten im Gesangverein meines Wohnortes begnüge, bin nichtsdesto¬
weniger ein leidenschaftlicher Musikfreund, habe nie versäumt, musikalische Auf¬
führungen jeder Art zu besuchen, habe viel gelesen und in mancher Herren
Ländern gar manches Schöne und Unvergeßliche gehört, sodaß ich glaube, ein
bescheidnes Urteil abgeben zu dürfen, das, wenn es auch vielleicht aus Laien¬
munde und von einem der Sache fernerstehenden gewagt sein mag, doch den so
oft von Parteistandpunkten diktirten fachmännischer Urteilen gegenüber eine ge¬
wisse Berechtigung haben dürfte.

Als ich am 23. Mai gegen Abend in Weimar angelangt staunend die
neue, prächtige Straße, die sich heute vom Bahnhof zur Stadt hinzieht, durch¬
schritten und den stolzen Museumsbau mir wenigstens von außen angesehen
hatte, war ich beim Eintritt in das alte Weimar etwas überrascht, von einer
Festvorbereitung soviel wie nichts zu sehen. Einige Herren und Damen, die
mir begegneten, hatten die linke Busenseite mit Schleifchen verziert, wodurch sie
als Vereinsmitglieder gekennzeichnet wurden, spärliche Flaggen wehten von einigen
öffentlichen Gebäuden, eine für eine Kunststadt, die auch eine Malerschule besitzt,
unsäglich primitive Ehrenpforte war vor dem Hause errichtet, das, wie ich später
hörte, deu Festgcisteu als geselliges Versammlungslokal diente. Sonst sahen
Straßen und Bewohner recht alltäglich und nüchtern aus.

Regeres Leben entwickelte sich jedoch vor dem Beginn der Vorstellung in
der Nähe des Theaters. Es gab da manchen berühmten Mann zu schauen,
man hörte viele Namen nennen, welche in der Kunstwelt einen ehrenvollen Platz
einnehmen. Sängerinnen und Klavierspielerinnen, greise und angehende, bürger¬
lich schlicht und genial ausschauende Meister und Maestrini tauschten Gruß und
Rede.

Fünfundzwanzig Versammlungen hat nun der einst unter der Ägide Seiner
Hoheit des Fürsten Konstantin von Hohenzollern-Hechingen ins Leben getretene
„Allgemeine Tonkünstlervcrein" hinter sich. Unter den Städten, die ihn bisher
gastlich aufgenommen, erscheint Leipzig (viermal), Weimar (dreimal), Altenburg
und Magdeburg (je zweimal), Karlsruhe, Dessau, Meiningen, Kassel, Halle,
Hannover, Erfurt, Wiesbaden, Baden-Baden, Zürich (je einmal). Außerdem
veranstaltete der Leipziger Zweigverein seit 1864 in achtzehn Jahren 56 Kor-


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[0037] Musikalische Genüsse. Sachsenlaud unternahm, ein mitfahrender Professor mich darauf aufmerksam machte, wie auch in unscheinbaren Dingen der eingeborne natürliche Kunstsinn sich dort äußere. „Geben Sie acht, wie auf den Bahnhöfen hier und wie in Baden und in der Schweiz die Glockenzeichen gegeben werden; Sie werden einen auf¬ fallenden Unterschied finden. Hier wissen die niedersten Beamten bei den Glocken- schlägcn genau den Takt zu halten, dort wird nur ein mechanisches Signal ge¬ geben." Ich habe oft Gelegenheit gehabt, mich von der Richtigkeit dieser Beobachtung zu überzeugen. Ich selbst aber, der ich weder blase noch streiche, weder hämmere noch zupfe, sondern mich mit der bescheidnen Stellung eines ersten Bassisten im Gesangverein meines Wohnortes begnüge, bin nichtsdesto¬ weniger ein leidenschaftlicher Musikfreund, habe nie versäumt, musikalische Auf¬ führungen jeder Art zu besuchen, habe viel gelesen und in mancher Herren Ländern gar manches Schöne und Unvergeßliche gehört, sodaß ich glaube, ein bescheidnes Urteil abgeben zu dürfen, das, wenn es auch vielleicht aus Laien¬ munde und von einem der Sache fernerstehenden gewagt sein mag, doch den so oft von Parteistandpunkten diktirten fachmännischer Urteilen gegenüber eine ge¬ wisse Berechtigung haben dürfte. Als ich am 23. Mai gegen Abend in Weimar angelangt staunend die neue, prächtige Straße, die sich heute vom Bahnhof zur Stadt hinzieht, durch¬ schritten und den stolzen Museumsbau mir wenigstens von außen angesehen hatte, war ich beim Eintritt in das alte Weimar etwas überrascht, von einer Festvorbereitung soviel wie nichts zu sehen. Einige Herren und Damen, die mir begegneten, hatten die linke Busenseite mit Schleifchen verziert, wodurch sie als Vereinsmitglieder gekennzeichnet wurden, spärliche Flaggen wehten von einigen öffentlichen Gebäuden, eine für eine Kunststadt, die auch eine Malerschule besitzt, unsäglich primitive Ehrenpforte war vor dem Hause errichtet, das, wie ich später hörte, deu Festgcisteu als geselliges Versammlungslokal diente. Sonst sahen Straßen und Bewohner recht alltäglich und nüchtern aus. Regeres Leben entwickelte sich jedoch vor dem Beginn der Vorstellung in der Nähe des Theaters. Es gab da manchen berühmten Mann zu schauen, man hörte viele Namen nennen, welche in der Kunstwelt einen ehrenvollen Platz einnehmen. Sängerinnen und Klavierspielerinnen, greise und angehende, bürger¬ lich schlicht und genial ausschauende Meister und Maestrini tauschten Gruß und Rede. Fünfundzwanzig Versammlungen hat nun der einst unter der Ägide Seiner Hoheit des Fürsten Konstantin von Hohenzollern-Hechingen ins Leben getretene „Allgemeine Tonkünstlervcrein" hinter sich. Unter den Städten, die ihn bisher gastlich aufgenommen, erscheint Leipzig (viermal), Weimar (dreimal), Altenburg und Magdeburg (je zweimal), Karlsruhe, Dessau, Meiningen, Kassel, Halle, Hannover, Erfurt, Wiesbaden, Baden-Baden, Zürich (je einmal). Außerdem veranstaltete der Leipziger Zweigverein seit 1864 in achtzehn Jahren 56 Kor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/37>, abgerufen am 15.05.2024.