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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Musikalische Genüsse.

hochherziger und edler Gesinnung gegeben, welche die Verehrung, die ihm nller-
wn'res entgegengebracht wird, völlig berechtigt erscheinen läßt. Diese Verehrung
streift auf Seiten der Damen, welche ihn stützend, umarmend und ihm huldigend,
ihn stets wie lästige Mückenschwärme umgeben, allerdings an Vergötterung.
Der vielbewunderte Meister ist auch der geliebteste. Nun, Liszt ist der Nestor
unsrer musikalische" Künstler, er ist immer noch wirkend, lehrend, anregend,
fördernd, bei festlichen Gelegenheiten wie der in Rede stehenden der erste in den
Proben, der letzte bei heitern Gelagen. Gönnen wir ihm also von Herzen den
Weihrauch, den dankbare und euthusiasmirte Schüler und Bewunderer ihm zollen,
und all die künstlerischen Ehren und materiellen Genüsse, zu denen ihn seine
außerordentliche körperliche Rüstigkeit noch befähigt. Seine Anwesenheit wird
jedem Musikfeste eine höhere Weihe und einen größern Glanz verleihen.

Aber diesem Manne, der in so eminenten Maße die Gabe besitzt, jeden
Komponisten vollendet zu interpretiren und mit einem flüchtigen Worte jedes
Werk treffend zu charakterisiren, ist es versagt, seine eignen Schöpfungen zu
beurteilen, d. h. sich selbst ein strenger Kritiker zu sein. Er verliert sich in
ihnen in eine maßlose, ihre Wirkung schwer schädigende Breite und hat, abgesehen
von ihrem durch harmonische Effekte und brillante Jnstrumentation nicht zu
ersetzenden Mangel an Ideen, nicht die Gabe, seine Gedanken logisch zu entwickeln.
Unübertrefflich in kleine", engbegrcnzten Klavicrpiecen, die wie Geistesblitze den Hörer
berühren, verfällt er in ermüdende Phraseologie, wenn er sich größere Aufgaben
stellt. Es ist ja begreiflich und der für den trefflichen Altmeister gehegten Pietät
völlig entsprechend, wenn bei jedem Feste des "Allgemeinen" deutschen Musik-
Vereins eines seiner bedeutendere" Werke zur Aufführung gebracht wird; ob
es aber gerechtfertigt und im Interesse des Lisztschen Renommees und des
Vereins selber ist, ihn so sehr in den Vordergrund zu stellen, wie es jetzt wieder in
Weimar geschah, muß doch sehr angezweifelt werden. Zwei große Chorwerke,
ein großes Jnstrumentalstück (überraschenderweise sogar zweimal zu Gehör
gebracht), drei umfangreiche Klavierwerke, eine für Harfe arrangirte Klavierpiece,
ein Sololied und dann in der Nachfeier der Musikschule nochmals eine der
symphonischen Dichtungen ("Die Ideale"), im ganzen also acht Werke desselben
Tonsetzers, das ist doch zuviel des Guten. In dieser Beziehung möchte auch
Liszt das Stoßgebetlein seufzen: "Herr, bewahre mich vor meinen Freunden!"
Sie haben ihm z. B. dadurch, daß sie eine Wiederholung des "Salve Pvlonia"
veranlaßten, wirklich keinen Freundschaftsdienst erwiesen.

Es ist nicht zu bestreikn, daß das nach steter Abwechslung schmachtende
und an dankbaren Novitäten so arme deutsche Theater in der szenischen Be¬
handlung der Elisabethslegeude ein seinen Wünschen entsprechendes Werk gewonnen
hat, d. h. wenn daran noch gewisse Kürzungen vorgenommen werden. Auf mich
hat es von den Brettern herab besser gewirkt als im Konzertsaal. Aber dort
wie hier beeinträchtigen die entsetzlichen Längen der Komposition in hohem


Musikalische Genüsse.

hochherziger und edler Gesinnung gegeben, welche die Verehrung, die ihm nller-
wn'res entgegengebracht wird, völlig berechtigt erscheinen läßt. Diese Verehrung
streift auf Seiten der Damen, welche ihn stützend, umarmend und ihm huldigend,
ihn stets wie lästige Mückenschwärme umgeben, allerdings an Vergötterung.
Der vielbewunderte Meister ist auch der geliebteste. Nun, Liszt ist der Nestor
unsrer musikalische» Künstler, er ist immer noch wirkend, lehrend, anregend,
fördernd, bei festlichen Gelegenheiten wie der in Rede stehenden der erste in den
Proben, der letzte bei heitern Gelagen. Gönnen wir ihm also von Herzen den
Weihrauch, den dankbare und euthusiasmirte Schüler und Bewunderer ihm zollen,
und all die künstlerischen Ehren und materiellen Genüsse, zu denen ihn seine
außerordentliche körperliche Rüstigkeit noch befähigt. Seine Anwesenheit wird
jedem Musikfeste eine höhere Weihe und einen größern Glanz verleihen.

Aber diesem Manne, der in so eminenten Maße die Gabe besitzt, jeden
Komponisten vollendet zu interpretiren und mit einem flüchtigen Worte jedes
Werk treffend zu charakterisiren, ist es versagt, seine eignen Schöpfungen zu
beurteilen, d. h. sich selbst ein strenger Kritiker zu sein. Er verliert sich in
ihnen in eine maßlose, ihre Wirkung schwer schädigende Breite und hat, abgesehen
von ihrem durch harmonische Effekte und brillante Jnstrumentation nicht zu
ersetzenden Mangel an Ideen, nicht die Gabe, seine Gedanken logisch zu entwickeln.
Unübertrefflich in kleine», engbegrcnzten Klavicrpiecen, die wie Geistesblitze den Hörer
berühren, verfällt er in ermüdende Phraseologie, wenn er sich größere Aufgaben
stellt. Es ist ja begreiflich und der für den trefflichen Altmeister gehegten Pietät
völlig entsprechend, wenn bei jedem Feste des „Allgemeinen" deutschen Musik-
Vereins eines seiner bedeutendere» Werke zur Aufführung gebracht wird; ob
es aber gerechtfertigt und im Interesse des Lisztschen Renommees und des
Vereins selber ist, ihn so sehr in den Vordergrund zu stellen, wie es jetzt wieder in
Weimar geschah, muß doch sehr angezweifelt werden. Zwei große Chorwerke,
ein großes Jnstrumentalstück (überraschenderweise sogar zweimal zu Gehör
gebracht), drei umfangreiche Klavierwerke, eine für Harfe arrangirte Klavierpiece,
ein Sololied und dann in der Nachfeier der Musikschule nochmals eine der
symphonischen Dichtungen („Die Ideale"), im ganzen also acht Werke desselben
Tonsetzers, das ist doch zuviel des Guten. In dieser Beziehung möchte auch
Liszt das Stoßgebetlein seufzen: „Herr, bewahre mich vor meinen Freunden!"
Sie haben ihm z. B. dadurch, daß sie eine Wiederholung des „Salve Pvlonia"
veranlaßten, wirklich keinen Freundschaftsdienst erwiesen.

Es ist nicht zu bestreikn, daß das nach steter Abwechslung schmachtende
und an dankbaren Novitäten so arme deutsche Theater in der szenischen Be¬
handlung der Elisabethslegeude ein seinen Wünschen entsprechendes Werk gewonnen
hat, d. h. wenn daran noch gewisse Kürzungen vorgenommen werden. Auf mich
hat es von den Brettern herab besser gewirkt als im Konzertsaal. Aber dort
wie hier beeinträchtigen die entsetzlichen Längen der Komposition in hohem


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[0039] Musikalische Genüsse. hochherziger und edler Gesinnung gegeben, welche die Verehrung, die ihm nller- wn'res entgegengebracht wird, völlig berechtigt erscheinen läßt. Diese Verehrung streift auf Seiten der Damen, welche ihn stützend, umarmend und ihm huldigend, ihn stets wie lästige Mückenschwärme umgeben, allerdings an Vergötterung. Der vielbewunderte Meister ist auch der geliebteste. Nun, Liszt ist der Nestor unsrer musikalische» Künstler, er ist immer noch wirkend, lehrend, anregend, fördernd, bei festlichen Gelegenheiten wie der in Rede stehenden der erste in den Proben, der letzte bei heitern Gelagen. Gönnen wir ihm also von Herzen den Weihrauch, den dankbare und euthusiasmirte Schüler und Bewunderer ihm zollen, und all die künstlerischen Ehren und materiellen Genüsse, zu denen ihn seine außerordentliche körperliche Rüstigkeit noch befähigt. Seine Anwesenheit wird jedem Musikfeste eine höhere Weihe und einen größern Glanz verleihen. Aber diesem Manne, der in so eminenten Maße die Gabe besitzt, jeden Komponisten vollendet zu interpretiren und mit einem flüchtigen Worte jedes Werk treffend zu charakterisiren, ist es versagt, seine eignen Schöpfungen zu beurteilen, d. h. sich selbst ein strenger Kritiker zu sein. Er verliert sich in ihnen in eine maßlose, ihre Wirkung schwer schädigende Breite und hat, abgesehen von ihrem durch harmonische Effekte und brillante Jnstrumentation nicht zu ersetzenden Mangel an Ideen, nicht die Gabe, seine Gedanken logisch zu entwickeln. Unübertrefflich in kleine», engbegrcnzten Klavicrpiecen, die wie Geistesblitze den Hörer berühren, verfällt er in ermüdende Phraseologie, wenn er sich größere Aufgaben stellt. Es ist ja begreiflich und der für den trefflichen Altmeister gehegten Pietät völlig entsprechend, wenn bei jedem Feste des „Allgemeinen" deutschen Musik- Vereins eines seiner bedeutendere» Werke zur Aufführung gebracht wird; ob es aber gerechtfertigt und im Interesse des Lisztschen Renommees und des Vereins selber ist, ihn so sehr in den Vordergrund zu stellen, wie es jetzt wieder in Weimar geschah, muß doch sehr angezweifelt werden. Zwei große Chorwerke, ein großes Jnstrumentalstück (überraschenderweise sogar zweimal zu Gehör gebracht), drei umfangreiche Klavierwerke, eine für Harfe arrangirte Klavierpiece, ein Sololied und dann in der Nachfeier der Musikschule nochmals eine der symphonischen Dichtungen („Die Ideale"), im ganzen also acht Werke desselben Tonsetzers, das ist doch zuviel des Guten. In dieser Beziehung möchte auch Liszt das Stoßgebetlein seufzen: „Herr, bewahre mich vor meinen Freunden!" Sie haben ihm z. B. dadurch, daß sie eine Wiederholung des „Salve Pvlonia" veranlaßten, wirklich keinen Freundschaftsdienst erwiesen. Es ist nicht zu bestreikn, daß das nach steter Abwechslung schmachtende und an dankbaren Novitäten so arme deutsche Theater in der szenischen Be¬ handlung der Elisabethslegeude ein seinen Wünschen entsprechendes Werk gewonnen hat, d. h. wenn daran noch gewisse Kürzungen vorgenommen werden. Auf mich hat es von den Brettern herab besser gewirkt als im Konzertsaal. Aber dort wie hier beeinträchtigen die entsetzlichen Längen der Komposition in hohem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/39>, abgerufen am 22.05.2024.