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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Der Aufruhr im Sudan.

In Erwartung der weitern Entwicklung der Dinge lohnt es sich Wohl,
einmal einen Rückblick auf den bisherigen Verlauf der Angelegenheit zu werfen.

Der Ländcrkomplex, welchen man bisher den ägyptischen Sudan nennt,
grenzt im Norden an den nubischen Teil Oberägyptens -- der nördlich von
Wady Halfn gelegene Teil Nubiens zählt politisch zu Oberägypten -- und reicht
im Süden bis gegen den Äquator; im Westen bildet Wadai, im Osten das
Rote Meer die Grenze. Die Bevölkerung besteht im Norden aus muhameda-
nischen Nomaden verschiednen Stammes, im Süden aus -- meist heidnischen --
Negern.

Mehemed Ali hatte bereits 1819 begonnen, seinen ägyptischen Besitz nach
Süden hin auszudehnen. Zunächst galt es den dem Kairiner Blutbade ent-
gangenen Mameluken, welche sich nach Dongola geflüchtet hatte". Nachdem
diese auf Darfur zurückgegangen waren, nahm Mehemed Alis Sohn Ismail
Pascha Nubien in Besitz, bekriegte nnter allerlei Vorwänden die südlich sitzenden
Stämme, okknpirte Sennaar und drang bis zu dem Golddistrikt Fazoglo vor.
Auf der Heimkehr fand Ismail bei Schendy durch die erbitterten Besiegten einen
elenden Tod. Sein Schwager, der berüchtigte Defterdar Mehemed Bey, welcher
inzwischen Kordofan erobert hatte, rächte ihn dnrch Massenschlächtercien und
schlug den in den neu eroberten Ländern ausgebrochenen Aufruhr blutig nieder.
Den eroberten Ländern wurden nach und nach immer mehr Steuern an Sklaven,
Pferden, Gold u. s. w. abgepreßt. Churchid Pascha versuchte als General-
gouvemeur des Sudan (seit 1866) einige Ordnung in die Verwaltung zu bringen,
unter seinen Nachfolgern, von denen nur Arakel Bey -- ein Bruder Nubar
Paschas -- eine ehrenwerte Ausnahme bildete, kehrte die Mißwirtschaft wieder.
Für die ägyptische Regierung war der Besitz des Sudan keine Einnahmequelle,
das dortige Budget hatte vielmehr in den letzten Jahren ein stehendes Defizit
von mehr als zwei Millionen Mark, im Jahre 1883 sogar von sechs Millionen.
Nur die Beamten bereicherten sich; man behauptet, daß von den Steuern, Zöllen
und sonstigen Einnahmen mindestens fünfzig Prozent in ihre Taschen flössen.

Die Pforte hatte im Jahre 1841 die Rechte des Vizekönigs von Ägypten
auf Sennaar, Kordofan u. s. w. definitiv anerkannt. Der Vizekönig Said Pascha
dachte daran, den kostspieligen Besitz aufzugeben, nachdem er 1866 den Sudan
persönlich besucht hatte; er stand aber von seinem Vorhaben ab, da die Sehens
und Notabeln ihm vorstellt en, daß die Folge davon Anarchie sein würde. Im Jahre
1866 trat die Pforte die Küste des Roten Meeres mit Suakin und Massawa
an Ägypten ab. Durch Munzinger wurde 1869 das abyssinische Territorium
Keren (semble) canellirt. Abyssinien erkannte diese Besitzergreifung nicht an,
Munzinger, welcher auch das südlich von Massawa gelegene Gebiet für Ägypten
nehmen wollte, wurde ermordet, es kam (1876) zum offenen Kriege zwischen
Ägypten und Abyssinien, und der Grenzstreit dauerte bis in die neueste Zeit.
Der Chcdive Ismail Pascha eroberte 1874 unter Mitwirkung des berüchtigten


Grenzboten IV. 1884. 2
Der Aufruhr im Sudan.

In Erwartung der weitern Entwicklung der Dinge lohnt es sich Wohl,
einmal einen Rückblick auf den bisherigen Verlauf der Angelegenheit zu werfen.

Der Ländcrkomplex, welchen man bisher den ägyptischen Sudan nennt,
grenzt im Norden an den nubischen Teil Oberägyptens — der nördlich von
Wady Halfn gelegene Teil Nubiens zählt politisch zu Oberägypten — und reicht
im Süden bis gegen den Äquator; im Westen bildet Wadai, im Osten das
Rote Meer die Grenze. Die Bevölkerung besteht im Norden aus muhameda-
nischen Nomaden verschiednen Stammes, im Süden aus — meist heidnischen —
Negern.

Mehemed Ali hatte bereits 1819 begonnen, seinen ägyptischen Besitz nach
Süden hin auszudehnen. Zunächst galt es den dem Kairiner Blutbade ent-
gangenen Mameluken, welche sich nach Dongola geflüchtet hatte». Nachdem
diese auf Darfur zurückgegangen waren, nahm Mehemed Alis Sohn Ismail
Pascha Nubien in Besitz, bekriegte nnter allerlei Vorwänden die südlich sitzenden
Stämme, okknpirte Sennaar und drang bis zu dem Golddistrikt Fazoglo vor.
Auf der Heimkehr fand Ismail bei Schendy durch die erbitterten Besiegten einen
elenden Tod. Sein Schwager, der berüchtigte Defterdar Mehemed Bey, welcher
inzwischen Kordofan erobert hatte, rächte ihn dnrch Massenschlächtercien und
schlug den in den neu eroberten Ländern ausgebrochenen Aufruhr blutig nieder.
Den eroberten Ländern wurden nach und nach immer mehr Steuern an Sklaven,
Pferden, Gold u. s. w. abgepreßt. Churchid Pascha versuchte als General-
gouvemeur des Sudan (seit 1866) einige Ordnung in die Verwaltung zu bringen,
unter seinen Nachfolgern, von denen nur Arakel Bey — ein Bruder Nubar
Paschas — eine ehrenwerte Ausnahme bildete, kehrte die Mißwirtschaft wieder.
Für die ägyptische Regierung war der Besitz des Sudan keine Einnahmequelle,
das dortige Budget hatte vielmehr in den letzten Jahren ein stehendes Defizit
von mehr als zwei Millionen Mark, im Jahre 1883 sogar von sechs Millionen.
Nur die Beamten bereicherten sich; man behauptet, daß von den Steuern, Zöllen
und sonstigen Einnahmen mindestens fünfzig Prozent in ihre Taschen flössen.

Die Pforte hatte im Jahre 1841 die Rechte des Vizekönigs von Ägypten
auf Sennaar, Kordofan u. s. w. definitiv anerkannt. Der Vizekönig Said Pascha
dachte daran, den kostspieligen Besitz aufzugeben, nachdem er 1866 den Sudan
persönlich besucht hatte; er stand aber von seinem Vorhaben ab, da die Sehens
und Notabeln ihm vorstellt en, daß die Folge davon Anarchie sein würde. Im Jahre
1866 trat die Pforte die Küste des Roten Meeres mit Suakin und Massawa
an Ägypten ab. Durch Munzinger wurde 1869 das abyssinische Territorium
Keren (semble) canellirt. Abyssinien erkannte diese Besitzergreifung nicht an,
Munzinger, welcher auch das südlich von Massawa gelegene Gebiet für Ägypten
nehmen wollte, wurde ermordet, es kam (1876) zum offenen Kriege zwischen
Ägypten und Abyssinien, und der Grenzstreit dauerte bis in die neueste Zeit.
Der Chcdive Ismail Pascha eroberte 1874 unter Mitwirkung des berüchtigten


Grenzboten IV. 1884. 2
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[0017] Der Aufruhr im Sudan. In Erwartung der weitern Entwicklung der Dinge lohnt es sich Wohl, einmal einen Rückblick auf den bisherigen Verlauf der Angelegenheit zu werfen. Der Ländcrkomplex, welchen man bisher den ägyptischen Sudan nennt, grenzt im Norden an den nubischen Teil Oberägyptens — der nördlich von Wady Halfn gelegene Teil Nubiens zählt politisch zu Oberägypten — und reicht im Süden bis gegen den Äquator; im Westen bildet Wadai, im Osten das Rote Meer die Grenze. Die Bevölkerung besteht im Norden aus muhameda- nischen Nomaden verschiednen Stammes, im Süden aus — meist heidnischen — Negern. Mehemed Ali hatte bereits 1819 begonnen, seinen ägyptischen Besitz nach Süden hin auszudehnen. Zunächst galt es den dem Kairiner Blutbade ent- gangenen Mameluken, welche sich nach Dongola geflüchtet hatte». Nachdem diese auf Darfur zurückgegangen waren, nahm Mehemed Alis Sohn Ismail Pascha Nubien in Besitz, bekriegte nnter allerlei Vorwänden die südlich sitzenden Stämme, okknpirte Sennaar und drang bis zu dem Golddistrikt Fazoglo vor. Auf der Heimkehr fand Ismail bei Schendy durch die erbitterten Besiegten einen elenden Tod. Sein Schwager, der berüchtigte Defterdar Mehemed Bey, welcher inzwischen Kordofan erobert hatte, rächte ihn dnrch Massenschlächtercien und schlug den in den neu eroberten Ländern ausgebrochenen Aufruhr blutig nieder. Den eroberten Ländern wurden nach und nach immer mehr Steuern an Sklaven, Pferden, Gold u. s. w. abgepreßt. Churchid Pascha versuchte als General- gouvemeur des Sudan (seit 1866) einige Ordnung in die Verwaltung zu bringen, unter seinen Nachfolgern, von denen nur Arakel Bey — ein Bruder Nubar Paschas — eine ehrenwerte Ausnahme bildete, kehrte die Mißwirtschaft wieder. Für die ägyptische Regierung war der Besitz des Sudan keine Einnahmequelle, das dortige Budget hatte vielmehr in den letzten Jahren ein stehendes Defizit von mehr als zwei Millionen Mark, im Jahre 1883 sogar von sechs Millionen. Nur die Beamten bereicherten sich; man behauptet, daß von den Steuern, Zöllen und sonstigen Einnahmen mindestens fünfzig Prozent in ihre Taschen flössen. Die Pforte hatte im Jahre 1841 die Rechte des Vizekönigs von Ägypten auf Sennaar, Kordofan u. s. w. definitiv anerkannt. Der Vizekönig Said Pascha dachte daran, den kostspieligen Besitz aufzugeben, nachdem er 1866 den Sudan persönlich besucht hatte; er stand aber von seinem Vorhaben ab, da die Sehens und Notabeln ihm vorstellt en, daß die Folge davon Anarchie sein würde. Im Jahre 1866 trat die Pforte die Küste des Roten Meeres mit Suakin und Massawa an Ägypten ab. Durch Munzinger wurde 1869 das abyssinische Territorium Keren (semble) canellirt. Abyssinien erkannte diese Besitzergreifung nicht an, Munzinger, welcher auch das südlich von Massawa gelegene Gebiet für Ägypten nehmen wollte, wurde ermordet, es kam (1876) zum offenen Kriege zwischen Ägypten und Abyssinien, und der Grenzstreit dauerte bis in die neueste Zeit. Der Chcdive Ismail Pascha eroberte 1874 unter Mitwirkung des berüchtigten Grenzboten IV. 1884. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/17>, abgerufen am 19.05.2024.