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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Braunschweiger Frage.

fachen, sicher aber nicht in den daran geknüpften Vermutungen richtig, wenn
ein Wiener Korrespondent seinem (englischen) Blatte schreibt: "Ich habe Ursache,
zu glauben, daß im Sommer 1883 gewisse Verwandte des Herzogs einen letzten
Versuch machten, ihn zu bewegen, sich der deutschen Regierung zu unterwerfen,
und daß, wenn er dies gethan hätte, mehr als ein regierender Souverän sich
für ihn in Berlin verwendet haben würde. Bei dieser Gelegenheit bekam er
von nahen Verwandten eine sehr deutliche Sprache zu hören. Aber er wankte
nicht einen Augenblick in der Haltung, die er seit dem Tode seines Vaters
beobachtet hat. Hätte er sich vernünftig zureden lassen, so würde die deutsche
Regierung vermutlich bereit gewesen sein, eine Versöhnung herbeizuführen." Das
würde 1866 auf den Vater gepaßt haben, etwa bis zur Schlacht bei König-
grätz; wir schreiben aber 1384 und haben es mit dem Sohne und seinen auf
Verrat sinnenden und Gelegenheit zu solchem herbeiwünschenden Anhängern zu
thun, und jenen auf deu braunschweigischen Thron lassen, hieße deren Spiel
spielen, hieße einen der Hauptsteine im Gewölbe des deutschen Reiches lockern
und einen Keil in die Fuge treiben. Wir wissen noch recht gut, was der
Augustenburger "Hof" in Kiel von 1864 bis 1866 geleistet hat, und das war
doch nur ein Phantasie- und Advokatenherzog, während man es im jetzigen
Falle mit einem echten Souverän und noch dazu mit einem solchen zu thun
haben würde, der sich, gleichviel, was er versprochen haben möchte, eine größere
Vergangenheit wenigstens zurückwünschen und Vorbereitungen zu deren Zurück-
führung nicht mißbilligen, ja -- wir sind allesamt Menschen -- unter der
Hand fördern würde. Hannover aber kann nun und nimmermehr wieder ein
selbständiges Land, nun und nimmermehr der Dynastie zurückgegeben werden,
der es 1866 im gerechtesten Kriege abgenommen worden ist. Hätte Georg der
Fünfte damals nicht so hartnäckigen Stolz entwickelt, nicht so fest auf Österreichs
und seiner Verbündeten Sieg und auf Belohnung der letzteren auf Kosten
Preußens gehofft, hätte er infolge dessen nicht noch in letzter Stunde den ihm
von Berlin her angebotenen Bündnisvertrag zurückgewiesen, so würde Bismarck
nicht wohl imstande gewesen sein, das festgeschlossene und gediegene norddeutsche
Reich zu begründen, das sich aus den blutigen Wogen des deutschen Krieges
erhob und das jetzt den Kern und das Wesen des gesamten deutschen Reiches
bildet. Wie stark auch gebunden und verpflichtet durch die Bestimmungen der
neuen Bundesverfassung, würden die welfischen Könige und Minister doch als
sehr merkbares Gegengewicht gegenüber dem Vorwiegen Preußens gewirkt haben,
denn die Hannoveraner sind wesentlich aus demselben Stoffe wie ihre Nachbarn
in der Provinz Sachsen, wie die Märker und die Pommern, in denen die
Hauptkraft der preußischen Monarchie liegt, und sie besitzen kaum weniger
Selbstgefühl. Im Jahre 1866 war das einzige Treffen, in welchem die
Preußen sich nicht des sofortigen Sieges freuen konnten, das von Langensalza.
Auch in andern Beziehungen wäre das "Welfenreich" im neuen dentschen Bunde


Die Braunschweiger Frage.

fachen, sicher aber nicht in den daran geknüpften Vermutungen richtig, wenn
ein Wiener Korrespondent seinem (englischen) Blatte schreibt: „Ich habe Ursache,
zu glauben, daß im Sommer 1883 gewisse Verwandte des Herzogs einen letzten
Versuch machten, ihn zu bewegen, sich der deutschen Regierung zu unterwerfen,
und daß, wenn er dies gethan hätte, mehr als ein regierender Souverän sich
für ihn in Berlin verwendet haben würde. Bei dieser Gelegenheit bekam er
von nahen Verwandten eine sehr deutliche Sprache zu hören. Aber er wankte
nicht einen Augenblick in der Haltung, die er seit dem Tode seines Vaters
beobachtet hat. Hätte er sich vernünftig zureden lassen, so würde die deutsche
Regierung vermutlich bereit gewesen sein, eine Versöhnung herbeizuführen." Das
würde 1866 auf den Vater gepaßt haben, etwa bis zur Schlacht bei König-
grätz; wir schreiben aber 1384 und haben es mit dem Sohne und seinen auf
Verrat sinnenden und Gelegenheit zu solchem herbeiwünschenden Anhängern zu
thun, und jenen auf deu braunschweigischen Thron lassen, hieße deren Spiel
spielen, hieße einen der Hauptsteine im Gewölbe des deutschen Reiches lockern
und einen Keil in die Fuge treiben. Wir wissen noch recht gut, was der
Augustenburger „Hof" in Kiel von 1864 bis 1866 geleistet hat, und das war
doch nur ein Phantasie- und Advokatenherzog, während man es im jetzigen
Falle mit einem echten Souverän und noch dazu mit einem solchen zu thun
haben würde, der sich, gleichviel, was er versprochen haben möchte, eine größere
Vergangenheit wenigstens zurückwünschen und Vorbereitungen zu deren Zurück-
führung nicht mißbilligen, ja — wir sind allesamt Menschen — unter der
Hand fördern würde. Hannover aber kann nun und nimmermehr wieder ein
selbständiges Land, nun und nimmermehr der Dynastie zurückgegeben werden,
der es 1866 im gerechtesten Kriege abgenommen worden ist. Hätte Georg der
Fünfte damals nicht so hartnäckigen Stolz entwickelt, nicht so fest auf Österreichs
und seiner Verbündeten Sieg und auf Belohnung der letzteren auf Kosten
Preußens gehofft, hätte er infolge dessen nicht noch in letzter Stunde den ihm
von Berlin her angebotenen Bündnisvertrag zurückgewiesen, so würde Bismarck
nicht wohl imstande gewesen sein, das festgeschlossene und gediegene norddeutsche
Reich zu begründen, das sich aus den blutigen Wogen des deutschen Krieges
erhob und das jetzt den Kern und das Wesen des gesamten deutschen Reiches
bildet. Wie stark auch gebunden und verpflichtet durch die Bestimmungen der
neuen Bundesverfassung, würden die welfischen Könige und Minister doch als
sehr merkbares Gegengewicht gegenüber dem Vorwiegen Preußens gewirkt haben,
denn die Hannoveraner sind wesentlich aus demselben Stoffe wie ihre Nachbarn
in der Provinz Sachsen, wie die Märker und die Pommern, in denen die
Hauptkraft der preußischen Monarchie liegt, und sie besitzen kaum weniger
Selbstgefühl. Im Jahre 1866 war das einzige Treffen, in welchem die
Preußen sich nicht des sofortigen Sieges freuen konnten, das von Langensalza.
Auch in andern Beziehungen wäre das „Welfenreich" im neuen dentschen Bunde


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[0306] Die Braunschweiger Frage. fachen, sicher aber nicht in den daran geknüpften Vermutungen richtig, wenn ein Wiener Korrespondent seinem (englischen) Blatte schreibt: „Ich habe Ursache, zu glauben, daß im Sommer 1883 gewisse Verwandte des Herzogs einen letzten Versuch machten, ihn zu bewegen, sich der deutschen Regierung zu unterwerfen, und daß, wenn er dies gethan hätte, mehr als ein regierender Souverän sich für ihn in Berlin verwendet haben würde. Bei dieser Gelegenheit bekam er von nahen Verwandten eine sehr deutliche Sprache zu hören. Aber er wankte nicht einen Augenblick in der Haltung, die er seit dem Tode seines Vaters beobachtet hat. Hätte er sich vernünftig zureden lassen, so würde die deutsche Regierung vermutlich bereit gewesen sein, eine Versöhnung herbeizuführen." Das würde 1866 auf den Vater gepaßt haben, etwa bis zur Schlacht bei König- grätz; wir schreiben aber 1384 und haben es mit dem Sohne und seinen auf Verrat sinnenden und Gelegenheit zu solchem herbeiwünschenden Anhängern zu thun, und jenen auf deu braunschweigischen Thron lassen, hieße deren Spiel spielen, hieße einen der Hauptsteine im Gewölbe des deutschen Reiches lockern und einen Keil in die Fuge treiben. Wir wissen noch recht gut, was der Augustenburger „Hof" in Kiel von 1864 bis 1866 geleistet hat, und das war doch nur ein Phantasie- und Advokatenherzog, während man es im jetzigen Falle mit einem echten Souverän und noch dazu mit einem solchen zu thun haben würde, der sich, gleichviel, was er versprochen haben möchte, eine größere Vergangenheit wenigstens zurückwünschen und Vorbereitungen zu deren Zurück- führung nicht mißbilligen, ja — wir sind allesamt Menschen — unter der Hand fördern würde. Hannover aber kann nun und nimmermehr wieder ein selbständiges Land, nun und nimmermehr der Dynastie zurückgegeben werden, der es 1866 im gerechtesten Kriege abgenommen worden ist. Hätte Georg der Fünfte damals nicht so hartnäckigen Stolz entwickelt, nicht so fest auf Österreichs und seiner Verbündeten Sieg und auf Belohnung der letzteren auf Kosten Preußens gehofft, hätte er infolge dessen nicht noch in letzter Stunde den ihm von Berlin her angebotenen Bündnisvertrag zurückgewiesen, so würde Bismarck nicht wohl imstande gewesen sein, das festgeschlossene und gediegene norddeutsche Reich zu begründen, das sich aus den blutigen Wogen des deutschen Krieges erhob und das jetzt den Kern und das Wesen des gesamten deutschen Reiches bildet. Wie stark auch gebunden und verpflichtet durch die Bestimmungen der neuen Bundesverfassung, würden die welfischen Könige und Minister doch als sehr merkbares Gegengewicht gegenüber dem Vorwiegen Preußens gewirkt haben, denn die Hannoveraner sind wesentlich aus demselben Stoffe wie ihre Nachbarn in der Provinz Sachsen, wie die Märker und die Pommern, in denen die Hauptkraft der preußischen Monarchie liegt, und sie besitzen kaum weniger Selbstgefühl. Im Jahre 1866 war das einzige Treffen, in welchem die Preußen sich nicht des sofortigen Sieges freuen konnten, das von Langensalza. Auch in andern Beziehungen wäre das „Welfenreich" im neuen dentschen Bunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/306>, abgerufen am 19.05.2024.