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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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<Lin Lehrbuch der Demagogie,

Verfasser werde über unsern lebhaften Beifall keine sonderliche Genugthuung
empfinden. Denn er, Raoul Frary, ist durch und durch Franzose, auch in
seinem Verhältnis zu Deutschland. Wenn er seinen Landsleuten die herbsten
Wahrheiten sagt, ihnen gelegentlich ihre Nachbarn, nämlich die Engländer, als
Muster aufstellend, den Idealen und den Götzen der sogenannten öffentlichen
Meinung mit schonungsloser Kritik zu Leibe geht, so beseelt ihn unverkennbar
auch der Wunsch, sein Vaterland wieder so gekräftigt zu sehen, daß es das
Werk des "Herrn von Bismarck" zunichte machen könnte. Das kann uns
natürlich nicht abhalten, sein Buch*) sür ein ganz ausgezeichnetes zu erklären
und demselben die weiteste Verbreitung auch in Deutschland zu wünschen. Nicht
wenige werden es entrüstet wegwerfen, ihre Getreuen vor der verderblichen
Lektüre warnen oder ihnen womöglich die Existenz des Buches verheimlichen
wollen, wie sie das mit Taines vriZiuss as ig. ^rauos ooutömxors.ins, mit
Buchers "Parlamentarismus" und andern ihren Geschäftsbetrieb bedrohenden
Werken versucht haben. Indessen hat ja das Ansehen der freisinnigen Gro߬
inquisitoren, dank ihrer Verblendung und Selbstüberhebung, einen so kräftigen
Stoß erhalten, daß man heute schon mit größerer Zuversicht darauf rechnen
darf, der liberale Bürger werde es wagen, eine auf den Index gesetzte Schrift
in die Hand zu nehmen. An der Heilsanren Wirkung ist dann kaum zu zweifeln.
Die politischen Schwächen und Laster, welche Frary an den Franzosen rügt,
haben wir ja zum größten Teil von ihnen angenommen, wir waren stolz darauf,
uns den Giftstoff einzuimpfen, wie wir andre Pariser Moden nachäffen. Und
mehr Eindruck, als alle Predigten gegen die Einführung fremder Unsitten, muß
das offene Schuldbekenntnis derer machen, welche sich bisher als die Erlöser
der geknechteten Menschheit gerirten. Eins ist dabei freilich tief beschämend!
Der Franzose, mag er noch so befangen, von Parteileidenschaft verblendet, von
Phrasen berauscht sein, bleibt immer national gesinnt. Was wir mit dem Namen
Chauvinismus brandmarken oder lächerlich macheu, hat eine sehr ehrenwerte und
ernste Kehrseite. Stellen wir uns vor, der letzte Krieg hätte den Ausgang ge¬
nommen, welchen die Franzosen erwarteten, der Rhein wäre ein französischer
Fluß geworden: ist es denkbar, daß ein französisches Oppositionsblatt die Stirn
haben würde, die Unterstützung der Deutschgesinnten gegen die Anhänger der
Regierung zu befürworten? Würde ein Franzose sich jemals soweit erniedrigen,
ein nationales Unternehmen zu bespötteln zu gunsten ausländischer Konkurrenz?
Wie lange würde wohl ein Blatt noch erscheinen können, welches in seiner Einfalt
jammerte: "Die Pariser Wahlen werden im Auslande einen schlechten Eindruck
machen"? Frary erkennt wiederholt ausdrücklich an, daß auch die gefährlichsten
Schreier in dem guten Glauben handeln, dem Vaterlande zu nützen; dürfen wir



*) Handbuch des Demagogen von RaoulFrary. Aus dem Französischen über¬
setzt von Bruno Oßmann, Hannover, Helwmgsche Verlagsbuchhandlung, 1384.
<Lin Lehrbuch der Demagogie,

Verfasser werde über unsern lebhaften Beifall keine sonderliche Genugthuung
empfinden. Denn er, Raoul Frary, ist durch und durch Franzose, auch in
seinem Verhältnis zu Deutschland. Wenn er seinen Landsleuten die herbsten
Wahrheiten sagt, ihnen gelegentlich ihre Nachbarn, nämlich die Engländer, als
Muster aufstellend, den Idealen und den Götzen der sogenannten öffentlichen
Meinung mit schonungsloser Kritik zu Leibe geht, so beseelt ihn unverkennbar
auch der Wunsch, sein Vaterland wieder so gekräftigt zu sehen, daß es das
Werk des „Herrn von Bismarck" zunichte machen könnte. Das kann uns
natürlich nicht abhalten, sein Buch*) sür ein ganz ausgezeichnetes zu erklären
und demselben die weiteste Verbreitung auch in Deutschland zu wünschen. Nicht
wenige werden es entrüstet wegwerfen, ihre Getreuen vor der verderblichen
Lektüre warnen oder ihnen womöglich die Existenz des Buches verheimlichen
wollen, wie sie das mit Taines vriZiuss as ig. ^rauos ooutömxors.ins, mit
Buchers „Parlamentarismus" und andern ihren Geschäftsbetrieb bedrohenden
Werken versucht haben. Indessen hat ja das Ansehen der freisinnigen Gro߬
inquisitoren, dank ihrer Verblendung und Selbstüberhebung, einen so kräftigen
Stoß erhalten, daß man heute schon mit größerer Zuversicht darauf rechnen
darf, der liberale Bürger werde es wagen, eine auf den Index gesetzte Schrift
in die Hand zu nehmen. An der Heilsanren Wirkung ist dann kaum zu zweifeln.
Die politischen Schwächen und Laster, welche Frary an den Franzosen rügt,
haben wir ja zum größten Teil von ihnen angenommen, wir waren stolz darauf,
uns den Giftstoff einzuimpfen, wie wir andre Pariser Moden nachäffen. Und
mehr Eindruck, als alle Predigten gegen die Einführung fremder Unsitten, muß
das offene Schuldbekenntnis derer machen, welche sich bisher als die Erlöser
der geknechteten Menschheit gerirten. Eins ist dabei freilich tief beschämend!
Der Franzose, mag er noch so befangen, von Parteileidenschaft verblendet, von
Phrasen berauscht sein, bleibt immer national gesinnt. Was wir mit dem Namen
Chauvinismus brandmarken oder lächerlich macheu, hat eine sehr ehrenwerte und
ernste Kehrseite. Stellen wir uns vor, der letzte Krieg hätte den Ausgang ge¬
nommen, welchen die Franzosen erwarteten, der Rhein wäre ein französischer
Fluß geworden: ist es denkbar, daß ein französisches Oppositionsblatt die Stirn
haben würde, die Unterstützung der Deutschgesinnten gegen die Anhänger der
Regierung zu befürworten? Würde ein Franzose sich jemals soweit erniedrigen,
ein nationales Unternehmen zu bespötteln zu gunsten ausländischer Konkurrenz?
Wie lange würde wohl ein Blatt noch erscheinen können, welches in seiner Einfalt
jammerte: „Die Pariser Wahlen werden im Auslande einen schlechten Eindruck
machen"? Frary erkennt wiederholt ausdrücklich an, daß auch die gefährlichsten
Schreier in dem guten Glauben handeln, dem Vaterlande zu nützen; dürfen wir



*) Handbuch des Demagogen von RaoulFrary. Aus dem Französischen über¬
setzt von Bruno Oßmann, Hannover, Helwmgsche Verlagsbuchhandlung, 1384.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/402>, abgerufen am 28.05.2024.