Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Pfisters Mühle.

in den Augen standen, und daß ich, dieselben hinterschluckend, versprach, alles
ganz genau auszurichten, weiß ich heute noch sehr genau. Ich habe in der
Erinnerung ein Flimmern vor dem Gesicht, das ich vielleicht auch auf einen
eben niederrauschenden Regenschauer jenes Apriltages schieben könnte. Durch
dieses Flimmern sah ich, wie Fräulein Albertine ihr Tuch fröstelnd zusammen-
und über ihr Haupt zog und rasch, doch unsichern Fußes, zu dem verwahr¬
losten Anbauerhause zurückeilte zu dem kümmerlichen Dach, unter welchem Doktor
Felix Lippoldes wirklich nur noch von dem Mitleiden und nicht mehr von
der Anerkennung der Welt lebte oder vegetirte.

Und trotzdem, daß ich damals noch ein recht junger Mensch und sehr dumm
und unerfahren in den meisten, und zwar innerlichsten Angelegenheiten des Le¬
bens war, fühlte ich doch in aller Verblusterung durch, weshalb ich gerade
dem Doktor A. A. Asche in Berlin diese mir eben von dem Fräulein aufgetra¬
gene Bestellung ausrichten sollte. Gegen Vater Pfisters hilfreiche Hand hatte
Albertine Lippoldes nimmer mit ihren zwei hilflosen tapfern Händen eine ab¬
wehrende Bewegung gemacht.

Ich sah das Fräulein vor meiner Abfahrt zur Universität nicht wieder,
aber wohl den Papa Lippoldes. Diesen traf ich noch einmal in der Stadt,
doch will ich nicht genauer beschreiben, in welchen Zuständen. Auf dem Haus¬
flur des blauen Bockes unter den Marktleuten, Ausspanngästen und städtischen
Kutschern und Straßenvagabunden fand ich ihn vor dem Schnapsschcmk. Da
hängte er sich an mich, redete mit schwerer, stammelnder Zunge auf mich ein
und gab mir seinerseits seine Grüße an seinen liebsten Freund, seinen einzigen
Freund Asche, seinen besten Freund Adam, seinen letzten Trost und seine letzte,
einzige, wahre Stütze in dieser "Lausewelt" mit. Am andern Tage ging ich
mit beiden Bestellungen aus Pfisters melancholischer Mühle in die so lachende,
sonnige, aller Wunder und Hoffnungen volle Welt weiter hinein und nach Berlin.

Jott sei Dank, da sind wir denn endlich! seufzte Emmy mit echtesten
Berliner Accent, und erinnerte mich dadurch aufs hübscheste und vergnüglichste,
daß ich nicht ohne Erfolg auf die Suche nach Abenteuern, Wundern und ver¬
zauberten Prinzessinnen von meines Vaters Hause ausgezogen sei. Ob sie
aber mit ihrem Ausruf ihre Vaterstadt Berlin oder unsern Mühlgarten meinte,
kann ich nicht sagen. Jedenfalls waren wir wieder unter den schattigen, grün
und treu aufhaltenden Kastanien und unter den stillen Tischen und Bänken des
letztern angelangt. Das Kind aber war nicht auf einer der Bänke niedergesunken;
es hatte sich, mit dem Taschentuch sich Kühlung zuwehend, auf einem der
Schubkarren, die man behufs der demnächst beginnenden Erdarbeiten unter den
unschuldigen, lieben, vertraunngsvollen Bäumen zusammengefahren hatte, Hin¬
finken lassen.




Pfisters Mühle.

in den Augen standen, und daß ich, dieselben hinterschluckend, versprach, alles
ganz genau auszurichten, weiß ich heute noch sehr genau. Ich habe in der
Erinnerung ein Flimmern vor dem Gesicht, das ich vielleicht auch auf einen
eben niederrauschenden Regenschauer jenes Apriltages schieben könnte. Durch
dieses Flimmern sah ich, wie Fräulein Albertine ihr Tuch fröstelnd zusammen-
und über ihr Haupt zog und rasch, doch unsichern Fußes, zu dem verwahr¬
losten Anbauerhause zurückeilte zu dem kümmerlichen Dach, unter welchem Doktor
Felix Lippoldes wirklich nur noch von dem Mitleiden und nicht mehr von
der Anerkennung der Welt lebte oder vegetirte.

Und trotzdem, daß ich damals noch ein recht junger Mensch und sehr dumm
und unerfahren in den meisten, und zwar innerlichsten Angelegenheiten des Le¬
bens war, fühlte ich doch in aller Verblusterung durch, weshalb ich gerade
dem Doktor A. A. Asche in Berlin diese mir eben von dem Fräulein aufgetra¬
gene Bestellung ausrichten sollte. Gegen Vater Pfisters hilfreiche Hand hatte
Albertine Lippoldes nimmer mit ihren zwei hilflosen tapfern Händen eine ab¬
wehrende Bewegung gemacht.

Ich sah das Fräulein vor meiner Abfahrt zur Universität nicht wieder,
aber wohl den Papa Lippoldes. Diesen traf ich noch einmal in der Stadt,
doch will ich nicht genauer beschreiben, in welchen Zuständen. Auf dem Haus¬
flur des blauen Bockes unter den Marktleuten, Ausspanngästen und städtischen
Kutschern und Straßenvagabunden fand ich ihn vor dem Schnapsschcmk. Da
hängte er sich an mich, redete mit schwerer, stammelnder Zunge auf mich ein
und gab mir seinerseits seine Grüße an seinen liebsten Freund, seinen einzigen
Freund Asche, seinen besten Freund Adam, seinen letzten Trost und seine letzte,
einzige, wahre Stütze in dieser „Lausewelt" mit. Am andern Tage ging ich
mit beiden Bestellungen aus Pfisters melancholischer Mühle in die so lachende,
sonnige, aller Wunder und Hoffnungen volle Welt weiter hinein und nach Berlin.

Jott sei Dank, da sind wir denn endlich! seufzte Emmy mit echtesten
Berliner Accent, und erinnerte mich dadurch aufs hübscheste und vergnüglichste,
daß ich nicht ohne Erfolg auf die Suche nach Abenteuern, Wundern und ver¬
zauberten Prinzessinnen von meines Vaters Hause ausgezogen sei. Ob sie
aber mit ihrem Ausruf ihre Vaterstadt Berlin oder unsern Mühlgarten meinte,
kann ich nicht sagen. Jedenfalls waren wir wieder unter den schattigen, grün
und treu aufhaltenden Kastanien und unter den stillen Tischen und Bänken des
letztern angelangt. Das Kind aber war nicht auf einer der Bänke niedergesunken;
es hatte sich, mit dem Taschentuch sich Kühlung zuwehend, auf einem der
Schubkarren, die man behufs der demnächst beginnenden Erdarbeiten unter den
unschuldigen, lieben, vertraunngsvollen Bäumen zusammengefahren hatte, Hin¬
finken lassen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157408"/>
            <fw type="header" place="top"> Pfisters Mühle.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1667" prev="#ID_1666"> in den Augen standen, und daß ich, dieselben hinterschluckend, versprach, alles<lb/>
ganz genau auszurichten, weiß ich heute noch sehr genau. Ich habe in der<lb/>
Erinnerung ein Flimmern vor dem Gesicht, das ich vielleicht auch auf einen<lb/>
eben niederrauschenden Regenschauer jenes Apriltages schieben könnte. Durch<lb/>
dieses Flimmern sah ich, wie Fräulein Albertine ihr Tuch fröstelnd zusammen-<lb/>
und über ihr Haupt zog und rasch, doch unsichern Fußes, zu dem verwahr¬<lb/>
losten Anbauerhause zurückeilte zu dem kümmerlichen Dach, unter welchem Doktor<lb/>
Felix Lippoldes wirklich nur noch von dem Mitleiden und nicht mehr von<lb/>
der Anerkennung der Welt lebte oder vegetirte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1668"> Und trotzdem, daß ich damals noch ein recht junger Mensch und sehr dumm<lb/>
und unerfahren in den meisten, und zwar innerlichsten Angelegenheiten des Le¬<lb/>
bens war, fühlte ich doch in aller Verblusterung durch, weshalb ich gerade<lb/>
dem Doktor A. A. Asche in Berlin diese mir eben von dem Fräulein aufgetra¬<lb/>
gene Bestellung ausrichten sollte. Gegen Vater Pfisters hilfreiche Hand hatte<lb/>
Albertine Lippoldes nimmer mit ihren zwei hilflosen tapfern Händen eine ab¬<lb/>
wehrende Bewegung gemacht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1669"> Ich sah das Fräulein vor meiner Abfahrt zur Universität nicht wieder,<lb/>
aber wohl den Papa Lippoldes. Diesen traf ich noch einmal in der Stadt,<lb/>
doch will ich nicht genauer beschreiben, in welchen Zuständen. Auf dem Haus¬<lb/>
flur des blauen Bockes unter den Marktleuten, Ausspanngästen und städtischen<lb/>
Kutschern und Straßenvagabunden fand ich ihn vor dem Schnapsschcmk. Da<lb/>
hängte er sich an mich, redete mit schwerer, stammelnder Zunge auf mich ein<lb/>
und gab mir seinerseits seine Grüße an seinen liebsten Freund, seinen einzigen<lb/>
Freund Asche, seinen besten Freund Adam, seinen letzten Trost und seine letzte,<lb/>
einzige, wahre Stütze in dieser &#x201E;Lausewelt" mit. Am andern Tage ging ich<lb/>
mit beiden Bestellungen aus Pfisters melancholischer Mühle in die so lachende,<lb/>
sonnige, aller Wunder und Hoffnungen volle Welt weiter hinein und nach Berlin.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1670"> Jott sei Dank, da sind wir denn endlich! seufzte Emmy mit echtesten<lb/>
Berliner Accent, und erinnerte mich dadurch aufs hübscheste und vergnüglichste,<lb/>
daß ich nicht ohne Erfolg auf die Suche nach Abenteuern, Wundern und ver¬<lb/>
zauberten Prinzessinnen von meines Vaters Hause ausgezogen sei. Ob sie<lb/>
aber mit ihrem Ausruf ihre Vaterstadt Berlin oder unsern Mühlgarten meinte,<lb/>
kann ich nicht sagen. Jedenfalls waren wir wieder unter den schattigen, grün<lb/>
und treu aufhaltenden Kastanien und unter den stillen Tischen und Bänken des<lb/>
letztern angelangt. Das Kind aber war nicht auf einer der Bänke niedergesunken;<lb/>
es hatte sich, mit dem Taschentuch sich Kühlung zuwehend, auf einem der<lb/>
Schubkarren, die man behufs der demnächst beginnenden Erdarbeiten unter den<lb/>
unschuldigen, lieben, vertraunngsvollen Bäumen zusammengefahren hatte, Hin¬<lb/>
finken lassen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] Pfisters Mühle. in den Augen standen, und daß ich, dieselben hinterschluckend, versprach, alles ganz genau auszurichten, weiß ich heute noch sehr genau. Ich habe in der Erinnerung ein Flimmern vor dem Gesicht, das ich vielleicht auch auf einen eben niederrauschenden Regenschauer jenes Apriltages schieben könnte. Durch dieses Flimmern sah ich, wie Fräulein Albertine ihr Tuch fröstelnd zusammen- und über ihr Haupt zog und rasch, doch unsichern Fußes, zu dem verwahr¬ losten Anbauerhause zurückeilte zu dem kümmerlichen Dach, unter welchem Doktor Felix Lippoldes wirklich nur noch von dem Mitleiden und nicht mehr von der Anerkennung der Welt lebte oder vegetirte. Und trotzdem, daß ich damals noch ein recht junger Mensch und sehr dumm und unerfahren in den meisten, und zwar innerlichsten Angelegenheiten des Le¬ bens war, fühlte ich doch in aller Verblusterung durch, weshalb ich gerade dem Doktor A. A. Asche in Berlin diese mir eben von dem Fräulein aufgetra¬ gene Bestellung ausrichten sollte. Gegen Vater Pfisters hilfreiche Hand hatte Albertine Lippoldes nimmer mit ihren zwei hilflosen tapfern Händen eine ab¬ wehrende Bewegung gemacht. Ich sah das Fräulein vor meiner Abfahrt zur Universität nicht wieder, aber wohl den Papa Lippoldes. Diesen traf ich noch einmal in der Stadt, doch will ich nicht genauer beschreiben, in welchen Zuständen. Auf dem Haus¬ flur des blauen Bockes unter den Marktleuten, Ausspanngästen und städtischen Kutschern und Straßenvagabunden fand ich ihn vor dem Schnapsschcmk. Da hängte er sich an mich, redete mit schwerer, stammelnder Zunge auf mich ein und gab mir seinerseits seine Grüße an seinen liebsten Freund, seinen einzigen Freund Asche, seinen besten Freund Adam, seinen letzten Trost und seine letzte, einzige, wahre Stütze in dieser „Lausewelt" mit. Am andern Tage ging ich mit beiden Bestellungen aus Pfisters melancholischer Mühle in die so lachende, sonnige, aller Wunder und Hoffnungen volle Welt weiter hinein und nach Berlin. Jott sei Dank, da sind wir denn endlich! seufzte Emmy mit echtesten Berliner Accent, und erinnerte mich dadurch aufs hübscheste und vergnüglichste, daß ich nicht ohne Erfolg auf die Suche nach Abenteuern, Wundern und ver¬ zauberten Prinzessinnen von meines Vaters Hause ausgezogen sei. Ob sie aber mit ihrem Ausruf ihre Vaterstadt Berlin oder unsern Mühlgarten meinte, kann ich nicht sagen. Jedenfalls waren wir wieder unter den schattigen, grün und treu aufhaltenden Kastanien und unter den stillen Tischen und Bänken des letztern angelangt. Das Kind aber war nicht auf einer der Bänke niedergesunken; es hatte sich, mit dem Taschentuch sich Kühlung zuwehend, auf einem der Schubkarren, die man behufs der demnächst beginnenden Erdarbeiten unter den unschuldigen, lieben, vertraunngsvollen Bäumen zusammengefahren hatte, Hin¬ finken lassen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/483>, abgerufen am 19.05.2024.