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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Zur Diätenfrage.

Wenn auch ein Teil unsers Volkes an diesem Wesen Gefallen haben mag, so
fühlt man doch im allgemeinen durch, daß dies nicht die rechte Art sei, öffentliche
Geschäfte zu betreiben. Wir stimmen Herrn von Stauffenberg ganz bei, wenn
er in seiner jüngsten Rede sagte, daß die gedeihliche Entwicklung des Reiches
nicht allein auf dem Ansehen der Fürsten, sondern zugleich auf dem Ausehen
des deutschen Parlamentes beruhe. Aber wie kann wohl in unserm Volke das
Ansehen dieses Parlamentes bewahrt bleiben, wenn alltäglich dessen Mitglieder
sich gegenseitig so schlecht macheu wie möglich? Diese persönliche Gehässigkeit
wirkt aber auch auf die Sache selbst. Niemand kann sich des Eindruckes er¬
wehren, daß hervorragende Mitglieder, ja ganze Parteien in ihren Reden und
Abstimmungen mehr durch Parteitaktik, als durch das Interesse der Sache sich
bestimmen lassen. Nach dem kurzen Aufschwung patriotischer Begeisterung, der
den Kriegen von 1866 und 1870 gefolgt war, ist die deutsche Nation wieder
in ihren alten Parteihader verfallen, der die Früchte ihrer Einigung ihr zu
rauben droht. In diesem Parteihader nützen die besten Kräfte sich ab. Neue
hervorragende Männer sind im Laufe der letzten Jahre aus diesen parlamen¬
tarischen Kämpfen kaum hervorgegangen. Aber auch die alten sind nicht dieselben
geblieben. Männer wie Stauffenberg, Nickert, Bamberger sind andre geworden,
sei es, daß sie wirklich einer inneren Umwandlung unterlegen, oder daß sie nur
eine andre Seite ihres Wesens, die man früher nicht ahnte, heraus¬
gekehrt haben.

Diese Zerfahrenheit der Vertreter der Nation spiegelt sich auch in dieser
selbst ab. Die jüngsten Wahlen gaben ein trauriges Bild davon. Wie anders
waren die Wahlen noch vor zehn Jahren. Es gab Wahlkreise genug, welche
ihren Vertreter wählten, weil sie ihn längst als vertrauenswürdiger Mann
kannten, ohne von ihm zu verlangen, daß er erst versicherte, er werde sich auch
gut betragen. Auch war die Sucht der Parteien, sich gegenseitig die Wahlkreise
abzujagen, uoch nicht entfernt so entwickelt wie jetzt. Heute giebt es kaum eine
Wahl, welche nicht mit so und soviel Wahlreden erkauft werden müßte. Von
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zieht der Kandidat, überall händeschüttelnd
und seine Rede ableiernd. Und wo heute der eine geredet hat, redet morgen
der andre und übermorgen der dritte. Wie geht es in diesen Wahlversamm¬
lungen her! Glücklich, wenn sich die Anfechtung des Kandidaten auf einige in
in rohem Tone vorgebrachte Interpellationen beschränkt und nicht die Wut der
Gegenparteien in lauten Skandal ausbricht. Früher ließ jeder Kandidat sich ge¬
nügen, seine eignen Grundsätze und Anschauungen zu entwickeln, und überließ
die Vergleichung derselben mit denen seiner Gegner den Zuhörern. Jetzt wird
aber auch der Gegner hereingezogen und möglichst heruntergerissen. Kein Mittel
der Verführungskunst bleibt unversucht. Dieses gegenseitige Schlechtmachen
beherrscht dann auch die ganze Wahlkampagne, welche gleichzeitig in der Presse
sich abspielt. Zu alledem kam dann noch am Schlüsse der Wahlen vielerorten


Grenzboten IV. 1834. S3
Zur Diätenfrage.

Wenn auch ein Teil unsers Volkes an diesem Wesen Gefallen haben mag, so
fühlt man doch im allgemeinen durch, daß dies nicht die rechte Art sei, öffentliche
Geschäfte zu betreiben. Wir stimmen Herrn von Stauffenberg ganz bei, wenn
er in seiner jüngsten Rede sagte, daß die gedeihliche Entwicklung des Reiches
nicht allein auf dem Ansehen der Fürsten, sondern zugleich auf dem Ausehen
des deutschen Parlamentes beruhe. Aber wie kann wohl in unserm Volke das
Ansehen dieses Parlamentes bewahrt bleiben, wenn alltäglich dessen Mitglieder
sich gegenseitig so schlecht macheu wie möglich? Diese persönliche Gehässigkeit
wirkt aber auch auf die Sache selbst. Niemand kann sich des Eindruckes er¬
wehren, daß hervorragende Mitglieder, ja ganze Parteien in ihren Reden und
Abstimmungen mehr durch Parteitaktik, als durch das Interesse der Sache sich
bestimmen lassen. Nach dem kurzen Aufschwung patriotischer Begeisterung, der
den Kriegen von 1866 und 1870 gefolgt war, ist die deutsche Nation wieder
in ihren alten Parteihader verfallen, der die Früchte ihrer Einigung ihr zu
rauben droht. In diesem Parteihader nützen die besten Kräfte sich ab. Neue
hervorragende Männer sind im Laufe der letzten Jahre aus diesen parlamen¬
tarischen Kämpfen kaum hervorgegangen. Aber auch die alten sind nicht dieselben
geblieben. Männer wie Stauffenberg, Nickert, Bamberger sind andre geworden,
sei es, daß sie wirklich einer inneren Umwandlung unterlegen, oder daß sie nur
eine andre Seite ihres Wesens, die man früher nicht ahnte, heraus¬
gekehrt haben.

Diese Zerfahrenheit der Vertreter der Nation spiegelt sich auch in dieser
selbst ab. Die jüngsten Wahlen gaben ein trauriges Bild davon. Wie anders
waren die Wahlen noch vor zehn Jahren. Es gab Wahlkreise genug, welche
ihren Vertreter wählten, weil sie ihn längst als vertrauenswürdiger Mann
kannten, ohne von ihm zu verlangen, daß er erst versicherte, er werde sich auch
gut betragen. Auch war die Sucht der Parteien, sich gegenseitig die Wahlkreise
abzujagen, uoch nicht entfernt so entwickelt wie jetzt. Heute giebt es kaum eine
Wahl, welche nicht mit so und soviel Wahlreden erkauft werden müßte. Von
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zieht der Kandidat, überall händeschüttelnd
und seine Rede ableiernd. Und wo heute der eine geredet hat, redet morgen
der andre und übermorgen der dritte. Wie geht es in diesen Wahlversamm¬
lungen her! Glücklich, wenn sich die Anfechtung des Kandidaten auf einige in
in rohem Tone vorgebrachte Interpellationen beschränkt und nicht die Wut der
Gegenparteien in lauten Skandal ausbricht. Früher ließ jeder Kandidat sich ge¬
nügen, seine eignen Grundsätze und Anschauungen zu entwickeln, und überließ
die Vergleichung derselben mit denen seiner Gegner den Zuhörern. Jetzt wird
aber auch der Gegner hereingezogen und möglichst heruntergerissen. Kein Mittel
der Verführungskunst bleibt unversucht. Dieses gegenseitige Schlechtmachen
beherrscht dann auch die ganze Wahlkampagne, welche gleichzeitig in der Presse
sich abspielt. Zu alledem kam dann noch am Schlüsse der Wahlen vielerorten


Grenzboten IV. 1834. S3
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[0505] Zur Diätenfrage. Wenn auch ein Teil unsers Volkes an diesem Wesen Gefallen haben mag, so fühlt man doch im allgemeinen durch, daß dies nicht die rechte Art sei, öffentliche Geschäfte zu betreiben. Wir stimmen Herrn von Stauffenberg ganz bei, wenn er in seiner jüngsten Rede sagte, daß die gedeihliche Entwicklung des Reiches nicht allein auf dem Ansehen der Fürsten, sondern zugleich auf dem Ausehen des deutschen Parlamentes beruhe. Aber wie kann wohl in unserm Volke das Ansehen dieses Parlamentes bewahrt bleiben, wenn alltäglich dessen Mitglieder sich gegenseitig so schlecht macheu wie möglich? Diese persönliche Gehässigkeit wirkt aber auch auf die Sache selbst. Niemand kann sich des Eindruckes er¬ wehren, daß hervorragende Mitglieder, ja ganze Parteien in ihren Reden und Abstimmungen mehr durch Parteitaktik, als durch das Interesse der Sache sich bestimmen lassen. Nach dem kurzen Aufschwung patriotischer Begeisterung, der den Kriegen von 1866 und 1870 gefolgt war, ist die deutsche Nation wieder in ihren alten Parteihader verfallen, der die Früchte ihrer Einigung ihr zu rauben droht. In diesem Parteihader nützen die besten Kräfte sich ab. Neue hervorragende Männer sind im Laufe der letzten Jahre aus diesen parlamen¬ tarischen Kämpfen kaum hervorgegangen. Aber auch die alten sind nicht dieselben geblieben. Männer wie Stauffenberg, Nickert, Bamberger sind andre geworden, sei es, daß sie wirklich einer inneren Umwandlung unterlegen, oder daß sie nur eine andre Seite ihres Wesens, die man früher nicht ahnte, heraus¬ gekehrt haben. Diese Zerfahrenheit der Vertreter der Nation spiegelt sich auch in dieser selbst ab. Die jüngsten Wahlen gaben ein trauriges Bild davon. Wie anders waren die Wahlen noch vor zehn Jahren. Es gab Wahlkreise genug, welche ihren Vertreter wählten, weil sie ihn längst als vertrauenswürdiger Mann kannten, ohne von ihm zu verlangen, daß er erst versicherte, er werde sich auch gut betragen. Auch war die Sucht der Parteien, sich gegenseitig die Wahlkreise abzujagen, uoch nicht entfernt so entwickelt wie jetzt. Heute giebt es kaum eine Wahl, welche nicht mit so und soviel Wahlreden erkauft werden müßte. Von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zieht der Kandidat, überall händeschüttelnd und seine Rede ableiernd. Und wo heute der eine geredet hat, redet morgen der andre und übermorgen der dritte. Wie geht es in diesen Wahlversamm¬ lungen her! Glücklich, wenn sich die Anfechtung des Kandidaten auf einige in in rohem Tone vorgebrachte Interpellationen beschränkt und nicht die Wut der Gegenparteien in lauten Skandal ausbricht. Früher ließ jeder Kandidat sich ge¬ nügen, seine eignen Grundsätze und Anschauungen zu entwickeln, und überließ die Vergleichung derselben mit denen seiner Gegner den Zuhörern. Jetzt wird aber auch der Gegner hereingezogen und möglichst heruntergerissen. Kein Mittel der Verführungskunst bleibt unversucht. Dieses gegenseitige Schlechtmachen beherrscht dann auch die ganze Wahlkampagne, welche gleichzeitig in der Presse sich abspielt. Zu alledem kam dann noch am Schlüsse der Wahlen vielerorten Grenzboten IV. 1834. S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/505>, abgerufen am 19.05.2024.