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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

Ich bin eine Wirklichkeit, eine wirkliche wahrhaftige Wirklichkeit, und ich
fange auch nicht bloß Frösche, sondern Kinder; und weise Frauen und nicht
bloß gelehrte, sondern auch kluge Männer wollen nicht bloß nach der Tradition,
sondern auch aus eigner Erfahrung als ganz gewiß wissen --

Du, höre mal, närrischer Dummrian, meinte meine neunzehnjährige, blonde
Matrone, mich jetzt ihrerseits wieder unterbrechend, aber dabei doch noch ein
wenig mehr sich cmnestelnd, mit den Kindergeschichten und Märchen und was
deine überweisen Frauen und naseweisen Männer aus der Erfahrung und der
Naturgeschichte und der eignen Tradition wissen wollen, rücke jetzt meinetwegen
eine Bank weiter. Die Auswahl haben wir ja; und ich habe auch darüber deu
ganzen Morgen in meiner verlassenen Einsamkeit mir allerlei Gedanken gemacht.
Herzensmann, eine schöne Wirtschaft müßt ihr hier vor meiner Zeit doch geführt
haben!

Eine wunderschöne -- wunderbare -- wundervolle, Kind!

Das sieht man den Ruinen noch an; und es thut dir heute natürlich nicht
im geringsten Leid, daß ich damals nicht auch schon mit dabei war, wie die
Jungfer Christine, und euch diese wunderbare, wunderschöne, wundervolle Wirt¬
schaft nicht mit führte?

Und ich, Eberhard Pfister, frage jeden, das heißt jedes männliche Erden¬
geschöpf, was er oder es auf diese Frage geantwortet haben würde.

Glücklicherweise rief die Christine in diesem Augenblick in unsern jetzigen,
hiesigen Haushaltsangelegenheiten nach der jungen Frau, und zwar mit einer
Milde und Lieblichkeit in Ton und Ausdruck, die ich in meinen jungen Jahren
nicht immer an ihrem Organ gekannt hatte. Und Emmy flötete zurück: Gleich,
gleich, gute Seele! warf mir ihr Nähzeug auf den Schoß und enttänzelte
neckisch und holdselig durch den Lichter- und Schattentanz unter den guten alten
Kastanienbäumen, unsrer Mühle zu, mit zierlichem Knix und Kußhand mich in
meinen Erinnerungen an die hiesige frühere Wirtschaft zurücklassend.

Ach und wie nahe lagen sie noch, die Tage dieser frühern Wirtschaft in
der Mühle! Wie wenige Jahre war es her, daß mein Vater dort in der Thür
stand, in die eben mein Liebchen geschlüpft war, und ebenfalls fröhlich und un¬
schuldig: Gleich! rief, aber hinzusetzte: meine Herrschaften! im Verkehr zwischen
den, Hause und den Tischen und Bänken unter den grünen Bäumen den Fluß
entlang und auf den Nasenplätzen -- der vergnüglichste Mensch der Welt. Ach,
wenn nur nicht grade die vergnüglichsten Menschen dann und wann das bitterste
Ende nehmen müßten! . . .

Alle haben ihn gekannt. Patrizier und Plebejer, Philister, Professoren
und Studenten, die letztern freilich nur neulich noch, haben ihn gekannt, den
Vater Pfister in seinem Haus- und Gartenwesen; und wenn ich heute noch in
jener vieltürmiger Stadt dort von manchen Leuten gekannt bin und freundlich
gegrüßt werde, so habe ich das einzig und allein Pfisters Mühle, meinen Ahnen


pfisters Mühle.

Ich bin eine Wirklichkeit, eine wirkliche wahrhaftige Wirklichkeit, und ich
fange auch nicht bloß Frösche, sondern Kinder; und weise Frauen und nicht
bloß gelehrte, sondern auch kluge Männer wollen nicht bloß nach der Tradition,
sondern auch aus eigner Erfahrung als ganz gewiß wissen —

Du, höre mal, närrischer Dummrian, meinte meine neunzehnjährige, blonde
Matrone, mich jetzt ihrerseits wieder unterbrechend, aber dabei doch noch ein
wenig mehr sich cmnestelnd, mit den Kindergeschichten und Märchen und was
deine überweisen Frauen und naseweisen Männer aus der Erfahrung und der
Naturgeschichte und der eignen Tradition wissen wollen, rücke jetzt meinetwegen
eine Bank weiter. Die Auswahl haben wir ja; und ich habe auch darüber deu
ganzen Morgen in meiner verlassenen Einsamkeit mir allerlei Gedanken gemacht.
Herzensmann, eine schöne Wirtschaft müßt ihr hier vor meiner Zeit doch geführt
haben!

Eine wunderschöne — wunderbare — wundervolle, Kind!

Das sieht man den Ruinen noch an; und es thut dir heute natürlich nicht
im geringsten Leid, daß ich damals nicht auch schon mit dabei war, wie die
Jungfer Christine, und euch diese wunderbare, wunderschöne, wundervolle Wirt¬
schaft nicht mit führte?

Und ich, Eberhard Pfister, frage jeden, das heißt jedes männliche Erden¬
geschöpf, was er oder es auf diese Frage geantwortet haben würde.

Glücklicherweise rief die Christine in diesem Augenblick in unsern jetzigen,
hiesigen Haushaltsangelegenheiten nach der jungen Frau, und zwar mit einer
Milde und Lieblichkeit in Ton und Ausdruck, die ich in meinen jungen Jahren
nicht immer an ihrem Organ gekannt hatte. Und Emmy flötete zurück: Gleich,
gleich, gute Seele! warf mir ihr Nähzeug auf den Schoß und enttänzelte
neckisch und holdselig durch den Lichter- und Schattentanz unter den guten alten
Kastanienbäumen, unsrer Mühle zu, mit zierlichem Knix und Kußhand mich in
meinen Erinnerungen an die hiesige frühere Wirtschaft zurücklassend.

Ach und wie nahe lagen sie noch, die Tage dieser frühern Wirtschaft in
der Mühle! Wie wenige Jahre war es her, daß mein Vater dort in der Thür
stand, in die eben mein Liebchen geschlüpft war, und ebenfalls fröhlich und un¬
schuldig: Gleich! rief, aber hinzusetzte: meine Herrschaften! im Verkehr zwischen
den, Hause und den Tischen und Bänken unter den grünen Bäumen den Fluß
entlang und auf den Nasenplätzen — der vergnüglichste Mensch der Welt. Ach,
wenn nur nicht grade die vergnüglichsten Menschen dann und wann das bitterste
Ende nehmen müßten! . . .

Alle haben ihn gekannt. Patrizier und Plebejer, Philister, Professoren
und Studenten, die letztern freilich nur neulich noch, haben ihn gekannt, den
Vater Pfister in seinem Haus- und Gartenwesen; und wenn ich heute noch in
jener vieltürmiger Stadt dort von manchen Leuten gekannt bin und freundlich
gegrüßt werde, so habe ich das einzig und allein Pfisters Mühle, meinen Ahnen


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[0052] pfisters Mühle. Ich bin eine Wirklichkeit, eine wirkliche wahrhaftige Wirklichkeit, und ich fange auch nicht bloß Frösche, sondern Kinder; und weise Frauen und nicht bloß gelehrte, sondern auch kluge Männer wollen nicht bloß nach der Tradition, sondern auch aus eigner Erfahrung als ganz gewiß wissen — Du, höre mal, närrischer Dummrian, meinte meine neunzehnjährige, blonde Matrone, mich jetzt ihrerseits wieder unterbrechend, aber dabei doch noch ein wenig mehr sich cmnestelnd, mit den Kindergeschichten und Märchen und was deine überweisen Frauen und naseweisen Männer aus der Erfahrung und der Naturgeschichte und der eignen Tradition wissen wollen, rücke jetzt meinetwegen eine Bank weiter. Die Auswahl haben wir ja; und ich habe auch darüber deu ganzen Morgen in meiner verlassenen Einsamkeit mir allerlei Gedanken gemacht. Herzensmann, eine schöne Wirtschaft müßt ihr hier vor meiner Zeit doch geführt haben! Eine wunderschöne — wunderbare — wundervolle, Kind! Das sieht man den Ruinen noch an; und es thut dir heute natürlich nicht im geringsten Leid, daß ich damals nicht auch schon mit dabei war, wie die Jungfer Christine, und euch diese wunderbare, wunderschöne, wundervolle Wirt¬ schaft nicht mit führte? Und ich, Eberhard Pfister, frage jeden, das heißt jedes männliche Erden¬ geschöpf, was er oder es auf diese Frage geantwortet haben würde. Glücklicherweise rief die Christine in diesem Augenblick in unsern jetzigen, hiesigen Haushaltsangelegenheiten nach der jungen Frau, und zwar mit einer Milde und Lieblichkeit in Ton und Ausdruck, die ich in meinen jungen Jahren nicht immer an ihrem Organ gekannt hatte. Und Emmy flötete zurück: Gleich, gleich, gute Seele! warf mir ihr Nähzeug auf den Schoß und enttänzelte neckisch und holdselig durch den Lichter- und Schattentanz unter den guten alten Kastanienbäumen, unsrer Mühle zu, mit zierlichem Knix und Kußhand mich in meinen Erinnerungen an die hiesige frühere Wirtschaft zurücklassend. Ach und wie nahe lagen sie noch, die Tage dieser frühern Wirtschaft in der Mühle! Wie wenige Jahre war es her, daß mein Vater dort in der Thür stand, in die eben mein Liebchen geschlüpft war, und ebenfalls fröhlich und un¬ schuldig: Gleich! rief, aber hinzusetzte: meine Herrschaften! im Verkehr zwischen den, Hause und den Tischen und Bänken unter den grünen Bäumen den Fluß entlang und auf den Nasenplätzen — der vergnüglichste Mensch der Welt. Ach, wenn nur nicht grade die vergnüglichsten Menschen dann und wann das bitterste Ende nehmen müßten! . . . Alle haben ihn gekannt. Patrizier und Plebejer, Philister, Professoren und Studenten, die letztern freilich nur neulich noch, haben ihn gekannt, den Vater Pfister in seinem Haus- und Gartenwesen; und wenn ich heute noch in jener vieltürmiger Stadt dort von manchen Leuten gekannt bin und freundlich gegrüßt werde, so habe ich das einzig und allein Pfisters Mühle, meinen Ahnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/52>, abgerufen am 19.05.2024.