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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Paul Heyses Gedichte.

Und sich bornirend früh und spät
Ausbilden eine "Spezialität."
Wer Bäume malt, soll klugermaßen
Von Menschen seinen Fürwitz lassen,
Wer etwa lernte Novellen schreiben,
Nur ja dem Drama ferne bleiben,
Kein Mannesschuster sich unterstehn
Auch ein Paar Frnulcinsschuh' zu nähn.

Die Lyrik eines Autors, der vornehmlich als objektiver Erzähler seinem
Publikum bekannt ist, bildet für dieses zunächst ein persönliches Interesse. Der
liebenswürdige, geistreiche Mann, der ihm durch den süßen Fluß seiner Rede und
die Tiefe seines Blickes ins menschliche Herz soviele schöne Stunden geschaffen,
erregt schließlich Teilnahme für sich selbst. Zwar hat Heyse oft genug mit einem
persönlichen Ich, als Sclbsterlebnis. seine Geschichte vorgetragen, oder er erschien
vielleicht gar selbst als Nebenheld in ihr verstrickt (Lottka). Aber dieses Ich
des Epikers ist ein andres als das des Lyrikers, es ist viel allgemeiner und
selbstloser; es befriedigt die spezifisch moderne Neugier nach den künstlerischen
Persönlichkeiten viel zu wenig. So ist es denn zunächst ein biographisches Mo¬
ment, welches wohl den meisten von uns die Neugier nach Heyses Gedichten erregt.
Daß sie diese befriedigen, wie wir gleich verraten wollen, macht nicht ihren ge¬
ringsten Wert aus; denn wie man schließlich auch über den mehr oder weniger
hohen Wert einer lyrischen Erscheinung vom rein ästhetischen Standpunkte ur¬
teilen mag, so ist das, was uns an einer solchen fesseln kann und wirklich fest¬
hält, doch vornehmlich eben das rein Stoffliche, es ist der Gehalt, der in ihr
geboten wird, das Leben, dessen wechselnde Schicksale sich in ihr in Lauten der
Klage oder Freude, der Betrachtung oder der Leidenschaft abspiegelt, das ge¬
samte Bild eines lebendigen, nach Entwicklung und Fortschritt strebenden Men¬
schen. Möglich, daß Heyse von einer rein stofflichen Betrachtung und Anerken¬
nung der Genießenden nicht befriedigt wäre; der Künstler, der nach dem Lorber
des Tragikers strebte, wird den des Lyrikers, welcher ja die erste fundamentale
Zeugenschaft dichterischer Begabung ablegen muß, nicht minder schwer vermissen.
Doch muß man wieder hervorheben, daß das spezifisch biographische Element
in seinem Gedichtbuch einen auch räumlich starken Platz einnimmt, also im Ge¬
samteindruck desselben sich entschieden bemerkbar macht.

Bei einem so ganz modernen Dichter, wie Paul Heyse es ist, kann
indes ein solches Hervortreten mit der ganzen Person nicht besonders
auffallen. Es ist schwer, die Grenze anzugeben, wie weit der Lyriker, der
sein eigenes innerstes Leben als Objekt künstlerischer Behandlung auffaßt, in
der Vertraulichkeit mit der Welt gehen darf. Es würde noch schwieriger sein,
aus rein ästhetischen Prinzipien eine solche Grenze zu ziehen; sie ist die Konse-
anenz der tiefsten Eigenschaften des einzelnen Lyrikers; sie ist mehr Sache des
Persönliches Taktes als künstlerischer Prinzipien. Gleichwohl läßt es sich nicht


Paul Heyses Gedichte.

Und sich bornirend früh und spät
Ausbilden eine „Spezialität."
Wer Bäume malt, soll klugermaßen
Von Menschen seinen Fürwitz lassen,
Wer etwa lernte Novellen schreiben,
Nur ja dem Drama ferne bleiben,
Kein Mannesschuster sich unterstehn
Auch ein Paar Frnulcinsschuh' zu nähn.

Die Lyrik eines Autors, der vornehmlich als objektiver Erzähler seinem
Publikum bekannt ist, bildet für dieses zunächst ein persönliches Interesse. Der
liebenswürdige, geistreiche Mann, der ihm durch den süßen Fluß seiner Rede und
die Tiefe seines Blickes ins menschliche Herz soviele schöne Stunden geschaffen,
erregt schließlich Teilnahme für sich selbst. Zwar hat Heyse oft genug mit einem
persönlichen Ich, als Sclbsterlebnis. seine Geschichte vorgetragen, oder er erschien
vielleicht gar selbst als Nebenheld in ihr verstrickt (Lottka). Aber dieses Ich
des Epikers ist ein andres als das des Lyrikers, es ist viel allgemeiner und
selbstloser; es befriedigt die spezifisch moderne Neugier nach den künstlerischen
Persönlichkeiten viel zu wenig. So ist es denn zunächst ein biographisches Mo¬
ment, welches wohl den meisten von uns die Neugier nach Heyses Gedichten erregt.
Daß sie diese befriedigen, wie wir gleich verraten wollen, macht nicht ihren ge¬
ringsten Wert aus; denn wie man schließlich auch über den mehr oder weniger
hohen Wert einer lyrischen Erscheinung vom rein ästhetischen Standpunkte ur¬
teilen mag, so ist das, was uns an einer solchen fesseln kann und wirklich fest¬
hält, doch vornehmlich eben das rein Stoffliche, es ist der Gehalt, der in ihr
geboten wird, das Leben, dessen wechselnde Schicksale sich in ihr in Lauten der
Klage oder Freude, der Betrachtung oder der Leidenschaft abspiegelt, das ge¬
samte Bild eines lebendigen, nach Entwicklung und Fortschritt strebenden Men¬
schen. Möglich, daß Heyse von einer rein stofflichen Betrachtung und Anerken¬
nung der Genießenden nicht befriedigt wäre; der Künstler, der nach dem Lorber
des Tragikers strebte, wird den des Lyrikers, welcher ja die erste fundamentale
Zeugenschaft dichterischer Begabung ablegen muß, nicht minder schwer vermissen.
Doch muß man wieder hervorheben, daß das spezifisch biographische Element
in seinem Gedichtbuch einen auch räumlich starken Platz einnimmt, also im Ge¬
samteindruck desselben sich entschieden bemerkbar macht.

Bei einem so ganz modernen Dichter, wie Paul Heyse es ist, kann
indes ein solches Hervortreten mit der ganzen Person nicht besonders
auffallen. Es ist schwer, die Grenze anzugeben, wie weit der Lyriker, der
sein eigenes innerstes Leben als Objekt künstlerischer Behandlung auffaßt, in
der Vertraulichkeit mit der Welt gehen darf. Es würde noch schwieriger sein,
aus rein ästhetischen Prinzipien eine solche Grenze zu ziehen; sie ist die Konse-
anenz der tiefsten Eigenschaften des einzelnen Lyrikers; sie ist mehr Sache des
Persönliches Taktes als künstlerischer Prinzipien. Gleichwohl läßt es sich nicht


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[0631] Paul Heyses Gedichte. Und sich bornirend früh und spät Ausbilden eine „Spezialität." Wer Bäume malt, soll klugermaßen Von Menschen seinen Fürwitz lassen, Wer etwa lernte Novellen schreiben, Nur ja dem Drama ferne bleiben, Kein Mannesschuster sich unterstehn Auch ein Paar Frnulcinsschuh' zu nähn. Die Lyrik eines Autors, der vornehmlich als objektiver Erzähler seinem Publikum bekannt ist, bildet für dieses zunächst ein persönliches Interesse. Der liebenswürdige, geistreiche Mann, der ihm durch den süßen Fluß seiner Rede und die Tiefe seines Blickes ins menschliche Herz soviele schöne Stunden geschaffen, erregt schließlich Teilnahme für sich selbst. Zwar hat Heyse oft genug mit einem persönlichen Ich, als Sclbsterlebnis. seine Geschichte vorgetragen, oder er erschien vielleicht gar selbst als Nebenheld in ihr verstrickt (Lottka). Aber dieses Ich des Epikers ist ein andres als das des Lyrikers, es ist viel allgemeiner und selbstloser; es befriedigt die spezifisch moderne Neugier nach den künstlerischen Persönlichkeiten viel zu wenig. So ist es denn zunächst ein biographisches Mo¬ ment, welches wohl den meisten von uns die Neugier nach Heyses Gedichten erregt. Daß sie diese befriedigen, wie wir gleich verraten wollen, macht nicht ihren ge¬ ringsten Wert aus; denn wie man schließlich auch über den mehr oder weniger hohen Wert einer lyrischen Erscheinung vom rein ästhetischen Standpunkte ur¬ teilen mag, so ist das, was uns an einer solchen fesseln kann und wirklich fest¬ hält, doch vornehmlich eben das rein Stoffliche, es ist der Gehalt, der in ihr geboten wird, das Leben, dessen wechselnde Schicksale sich in ihr in Lauten der Klage oder Freude, der Betrachtung oder der Leidenschaft abspiegelt, das ge¬ samte Bild eines lebendigen, nach Entwicklung und Fortschritt strebenden Men¬ schen. Möglich, daß Heyse von einer rein stofflichen Betrachtung und Anerken¬ nung der Genießenden nicht befriedigt wäre; der Künstler, der nach dem Lorber des Tragikers strebte, wird den des Lyrikers, welcher ja die erste fundamentale Zeugenschaft dichterischer Begabung ablegen muß, nicht minder schwer vermissen. Doch muß man wieder hervorheben, daß das spezifisch biographische Element in seinem Gedichtbuch einen auch räumlich starken Platz einnimmt, also im Ge¬ samteindruck desselben sich entschieden bemerkbar macht. Bei einem so ganz modernen Dichter, wie Paul Heyse es ist, kann indes ein solches Hervortreten mit der ganzen Person nicht besonders auffallen. Es ist schwer, die Grenze anzugeben, wie weit der Lyriker, der sein eigenes innerstes Leben als Objekt künstlerischer Behandlung auffaßt, in der Vertraulichkeit mit der Welt gehen darf. Es würde noch schwieriger sein, aus rein ästhetischen Prinzipien eine solche Grenze zu ziehen; sie ist die Konse- anenz der tiefsten Eigenschaften des einzelnen Lyrikers; sie ist mehr Sache des Persönliches Taktes als künstlerischer Prinzipien. Gleichwohl läßt es sich nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/631>, abgerufen am 19.05.2024.