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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Der musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

von Jugend auf entgegenbringt, bewirkt, daß es auch in den kleinern Kirchen
niemals an Kräften mangelt. Vielmehr ist bei zeitweilig entstehenden Lücken
der erste beste vom neunjährigen Knaben an bis zum gereiften Manne bereit,
die seiner Stimmlage entsprechende Partie zu übernehmen, und imstande, die
Partie ohne sonderliche Schwierigkeit durchzuführen. Um es kurz auszudrücken:
hier ist der Kirchengesang -- und zwar trotz schwierigerer Verhältnisse --
Populär.


5. Unmaßgebliche Vorschläge.

Kein Zweifel: der Gesang der Gemeinde muß eine gründliche Neuschulung
erfahren. Wodurch kann das geschehen? In erster Linie schwerlich durch andres,
als durch Vermittelung der Schule, welche wie bisher ihren Bedarf an zuver¬
lässigen Kirchensängern heranzubilden, im Augenmerk ans ein weiteres und
künftiges Ziel aber überhaupt den Grund zu einer in kirchlich-musikalischer
Hinsicht möglichst tüchtigen Generation zu legen hat. Das hat die Schule zu
thun, niemand anders! Aber nun müssen wir für die. welche etwa flugs bei
der Hand sein sollten, um die Schule für die bisherige Kalamität verantwortlich
zu machen, hinzufügen: Wenn die Erfüllung der Aufgabe den Männern, denen
die Verwaltung des Lehramtes in der Schule und zugleich des Gesangsdienstes
in der Kirche obliegt, künftighin von der kirchlichen Gemeinde im Verein mit
allen zuständigen Behörden nicht in erheblichem Grade erleichtert, ihr Wirkungs¬
kreis samt der Dispositionsberechtigung über die Mittel nicht beträchtlich aus¬
gedehnt und ihre Situation nach dieser Richtung nicht in bestimmter Weise
geregelt wird -- dann bleibt alles beim alten! Und sollte es nicht beim alten
bleiben, so würde es in diesem Falle nur schlechter werden. Wenn wir nun
sehen, daß die Schule zur Zeit vielleicht mehr als je auf dem Gebiete systema¬
tischer Gesangspflege wirkt, so bleibt für den Chordienst vorläufig nur das zu
thun übrig, was zu thun nicht in der Macht der Schule steht.

Erstens müßte wirklicher Chorzwang eintreten, nicht bloß formeller oder
fakultativer, und zwar geregelt durch Verordnung von oben. Er müßte sich
auf die Fortbildungsschule mit erstrecken (ob auch auf die Mädchen, wäre zu
erwägen). Und warum auch nicht? Waren die frühern "Sonntagsschulen"
nicht vielfach obligatorisch? Die gegenwärtige Generation remonstrirt ein wenig,
die künftige weiß es nicht anders.

Zweitens müßte an jeder Schule wöchentlich mindestens eine Gesangstunde
der vereinigten Klassen unter dem Kantor stattfinden, zu welcher die einzelnen
Klassen vorgeübt zu erscheinen hätten. Der Kantor führt jetzt seinen Namen
meist sehr mit Unrecht; er besitzt als Kantor wenig Einfluß und -- viel Ärger.
Diese Stunden würden sich selbstverständlich zunächst auf Pflege des kirchlichen
Gesanges zu richten haben -- die Fortbildungsschule ebenfalls mit einge¬
schlossen.


Der musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

von Jugend auf entgegenbringt, bewirkt, daß es auch in den kleinern Kirchen
niemals an Kräften mangelt. Vielmehr ist bei zeitweilig entstehenden Lücken
der erste beste vom neunjährigen Knaben an bis zum gereiften Manne bereit,
die seiner Stimmlage entsprechende Partie zu übernehmen, und imstande, die
Partie ohne sonderliche Schwierigkeit durchzuführen. Um es kurz auszudrücken:
hier ist der Kirchengesang — und zwar trotz schwierigerer Verhältnisse —
Populär.


5. Unmaßgebliche Vorschläge.

Kein Zweifel: der Gesang der Gemeinde muß eine gründliche Neuschulung
erfahren. Wodurch kann das geschehen? In erster Linie schwerlich durch andres,
als durch Vermittelung der Schule, welche wie bisher ihren Bedarf an zuver¬
lässigen Kirchensängern heranzubilden, im Augenmerk ans ein weiteres und
künftiges Ziel aber überhaupt den Grund zu einer in kirchlich-musikalischer
Hinsicht möglichst tüchtigen Generation zu legen hat. Das hat die Schule zu
thun, niemand anders! Aber nun müssen wir für die. welche etwa flugs bei
der Hand sein sollten, um die Schule für die bisherige Kalamität verantwortlich
zu machen, hinzufügen: Wenn die Erfüllung der Aufgabe den Männern, denen
die Verwaltung des Lehramtes in der Schule und zugleich des Gesangsdienstes
in der Kirche obliegt, künftighin von der kirchlichen Gemeinde im Verein mit
allen zuständigen Behörden nicht in erheblichem Grade erleichtert, ihr Wirkungs¬
kreis samt der Dispositionsberechtigung über die Mittel nicht beträchtlich aus¬
gedehnt und ihre Situation nach dieser Richtung nicht in bestimmter Weise
geregelt wird — dann bleibt alles beim alten! Und sollte es nicht beim alten
bleiben, so würde es in diesem Falle nur schlechter werden. Wenn wir nun
sehen, daß die Schule zur Zeit vielleicht mehr als je auf dem Gebiete systema¬
tischer Gesangspflege wirkt, so bleibt für den Chordienst vorläufig nur das zu
thun übrig, was zu thun nicht in der Macht der Schule steht.

Erstens müßte wirklicher Chorzwang eintreten, nicht bloß formeller oder
fakultativer, und zwar geregelt durch Verordnung von oben. Er müßte sich
auf die Fortbildungsschule mit erstrecken (ob auch auf die Mädchen, wäre zu
erwägen). Und warum auch nicht? Waren die frühern „Sonntagsschulen"
nicht vielfach obligatorisch? Die gegenwärtige Generation remonstrirt ein wenig,
die künftige weiß es nicht anders.

Zweitens müßte an jeder Schule wöchentlich mindestens eine Gesangstunde
der vereinigten Klassen unter dem Kantor stattfinden, zu welcher die einzelnen
Klassen vorgeübt zu erscheinen hätten. Der Kantor führt jetzt seinen Namen
meist sehr mit Unrecht; er besitzt als Kantor wenig Einfluß und — viel Ärger.
Diese Stunden würden sich selbstverständlich zunächst auf Pflege des kirchlichen
Gesanges zu richten haben — die Fortbildungsschule ebenfalls mit einge¬
schlossen.


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[0333] Der musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde. von Jugend auf entgegenbringt, bewirkt, daß es auch in den kleinern Kirchen niemals an Kräften mangelt. Vielmehr ist bei zeitweilig entstehenden Lücken der erste beste vom neunjährigen Knaben an bis zum gereiften Manne bereit, die seiner Stimmlage entsprechende Partie zu übernehmen, und imstande, die Partie ohne sonderliche Schwierigkeit durchzuführen. Um es kurz auszudrücken: hier ist der Kirchengesang — und zwar trotz schwierigerer Verhältnisse — Populär. 5. Unmaßgebliche Vorschläge. Kein Zweifel: der Gesang der Gemeinde muß eine gründliche Neuschulung erfahren. Wodurch kann das geschehen? In erster Linie schwerlich durch andres, als durch Vermittelung der Schule, welche wie bisher ihren Bedarf an zuver¬ lässigen Kirchensängern heranzubilden, im Augenmerk ans ein weiteres und künftiges Ziel aber überhaupt den Grund zu einer in kirchlich-musikalischer Hinsicht möglichst tüchtigen Generation zu legen hat. Das hat die Schule zu thun, niemand anders! Aber nun müssen wir für die. welche etwa flugs bei der Hand sein sollten, um die Schule für die bisherige Kalamität verantwortlich zu machen, hinzufügen: Wenn die Erfüllung der Aufgabe den Männern, denen die Verwaltung des Lehramtes in der Schule und zugleich des Gesangsdienstes in der Kirche obliegt, künftighin von der kirchlichen Gemeinde im Verein mit allen zuständigen Behörden nicht in erheblichem Grade erleichtert, ihr Wirkungs¬ kreis samt der Dispositionsberechtigung über die Mittel nicht beträchtlich aus¬ gedehnt und ihre Situation nach dieser Richtung nicht in bestimmter Weise geregelt wird — dann bleibt alles beim alten! Und sollte es nicht beim alten bleiben, so würde es in diesem Falle nur schlechter werden. Wenn wir nun sehen, daß die Schule zur Zeit vielleicht mehr als je auf dem Gebiete systema¬ tischer Gesangspflege wirkt, so bleibt für den Chordienst vorläufig nur das zu thun übrig, was zu thun nicht in der Macht der Schule steht. Erstens müßte wirklicher Chorzwang eintreten, nicht bloß formeller oder fakultativer, und zwar geregelt durch Verordnung von oben. Er müßte sich auf die Fortbildungsschule mit erstrecken (ob auch auf die Mädchen, wäre zu erwägen). Und warum auch nicht? Waren die frühern „Sonntagsschulen" nicht vielfach obligatorisch? Die gegenwärtige Generation remonstrirt ein wenig, die künftige weiß es nicht anders. Zweitens müßte an jeder Schule wöchentlich mindestens eine Gesangstunde der vereinigten Klassen unter dem Kantor stattfinden, zu welcher die einzelnen Klassen vorgeübt zu erscheinen hätten. Der Kantor führt jetzt seinen Namen meist sehr mit Unrecht; er besitzt als Kantor wenig Einfluß und — viel Ärger. Diese Stunden würden sich selbstverständlich zunächst auf Pflege des kirchlichen Gesanges zu richten haben — die Fortbildungsschule ebenfalls mit einge¬ schlossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/333>, abgerufen am 19.05.2024.