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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschon Literatur.

Einleitung, mit der er 1791 seine eignen Übertragungen aus der Äneide bei
den Lesern der "Neuen Thalia" einführte: "Von dem Gedanken weit entfernt,
sich an eine Übersetzung der ganzen Äneis wagen zu wollen, verspricht der
Übersetzer in der Folge noch einige Bruchstücke aus dem vierten und sechsten
Buche; wäre es auch nur, um den römischen Dichter bei unserm unlateinischcn
Publikum in die ihm gebührende Achtung zu setzen, welche er ohne seine Schuld
scheint verscherzt zu haben, seitdem es der Blumauerscheu Muse gefallen hat,
ihn dem einreißenden Geist der Frivolität zum Opfer zu bringen." Aber wie
gesagt, diese Frivolität ward zunächst nur von vornehmeren Naturen und am
allerwenigsten im Kreise der Glaubensgenossen Blumauers empfunden. Die
ästhetische Anschauung trat völlig hinter der tendenziösen zurück. Zu lange
waren Päpste und Kardinäle, päpstliche Nuntien und Allditoren der Nota,
jesuitische Kasuisten und Jngolstädter Professoren Objekte einer gewissen Furcht,
eines unbestimmten Druckes gewesen, als daß man sich nicht daran hätte er¬
quicken sollen, daß sie in der trcivestirteu Äneide Objekte des kecksten Spottes
und zwar des Spottes eines ehemaligen Jesuitenzöglings wurden. Es scheint
nicht, daß in der damaligen Kritik irgendwer darauf hinwies, daß auf diese
zügellose Keckheit und diese bewußte Frechheit notwendig ein Rückschlag folgen
müsse. Man schwelgte in der Verspottung dessen, was man nur zu lange als
eine Macht empfunden, und log sich in Stimmungen und Erwartungen hinein,
wie wir sie in unsern Tagen, in den Anfängen des "Kulturkampfes," genugsam
selbst erlebt haben.

Daß Vlumauer zahlreiche Nachahmer fand und im josefinischen Wien als
eine Art Klassiker galt, blieb, wie sich schon vor dem Ausgange des achtzehnten
Jahrhunderts erweisen sollte, ohne tiefere Wirkung. Über das eigentliche Ziel,
die Vereinigung der katholischen und Protestantischen Talente in einer gemein¬
samen Empfindung und Bildung, waren die Wiener Aufklärer aus dem Kreise
Blumenaucrs, wie die Illuminaten, die sich um Wcishaupt in Ingolstadt gesammelt
hatten, weit hinausgeschossen. Daß aber das Ziel erreicht war, dafür bürgt
die große Mehrzahl der deutschen Dichtungen vom Ende des vorigen Jahr¬
hunderts. Otto Brahm hat in seiner eingehenden und mannichfach interessanten
Studie "Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts" (Straßburg,
1880) den Nachweis gegeben, daß die stärkste und beste Nachwirkung des
Goethischen "Götz von Berlichingen" bei jener bairischen Dichtergruppe eintrat,
deren hervorragendster Vertreter Graf Josef August von Törring, der Dichter
der Dramen "Kaspar der Törringcr" und "Agnes Vernauer" ist, und der u. a.
Babos "Otto von Wittelsbach," A. Nagels "Bürgeraufruhr in Landshut,"
Blaimhofers "Schweden in Baiern" angehören. Kaum in dem letztern Stück, wo
der Stoff dazu unbedingt herausfordert, findet sich eine Betonung des kon¬
fessionellen Moments. Sonst herrscht ein bairischer Stammespatriotismus vor,
welcher die mchrhundertjährige Herrschaft der Gegenreformation auf bairischen


Die katholischen Elemente in der deutschon Literatur.

Einleitung, mit der er 1791 seine eignen Übertragungen aus der Äneide bei
den Lesern der „Neuen Thalia" einführte: „Von dem Gedanken weit entfernt,
sich an eine Übersetzung der ganzen Äneis wagen zu wollen, verspricht der
Übersetzer in der Folge noch einige Bruchstücke aus dem vierten und sechsten
Buche; wäre es auch nur, um den römischen Dichter bei unserm unlateinischcn
Publikum in die ihm gebührende Achtung zu setzen, welche er ohne seine Schuld
scheint verscherzt zu haben, seitdem es der Blumauerscheu Muse gefallen hat,
ihn dem einreißenden Geist der Frivolität zum Opfer zu bringen." Aber wie
gesagt, diese Frivolität ward zunächst nur von vornehmeren Naturen und am
allerwenigsten im Kreise der Glaubensgenossen Blumauers empfunden. Die
ästhetische Anschauung trat völlig hinter der tendenziösen zurück. Zu lange
waren Päpste und Kardinäle, päpstliche Nuntien und Allditoren der Nota,
jesuitische Kasuisten und Jngolstädter Professoren Objekte einer gewissen Furcht,
eines unbestimmten Druckes gewesen, als daß man sich nicht daran hätte er¬
quicken sollen, daß sie in der trcivestirteu Äneide Objekte des kecksten Spottes
und zwar des Spottes eines ehemaligen Jesuitenzöglings wurden. Es scheint
nicht, daß in der damaligen Kritik irgendwer darauf hinwies, daß auf diese
zügellose Keckheit und diese bewußte Frechheit notwendig ein Rückschlag folgen
müsse. Man schwelgte in der Verspottung dessen, was man nur zu lange als
eine Macht empfunden, und log sich in Stimmungen und Erwartungen hinein,
wie wir sie in unsern Tagen, in den Anfängen des „Kulturkampfes," genugsam
selbst erlebt haben.

Daß Vlumauer zahlreiche Nachahmer fand und im josefinischen Wien als
eine Art Klassiker galt, blieb, wie sich schon vor dem Ausgange des achtzehnten
Jahrhunderts erweisen sollte, ohne tiefere Wirkung. Über das eigentliche Ziel,
die Vereinigung der katholischen und Protestantischen Talente in einer gemein¬
samen Empfindung und Bildung, waren die Wiener Aufklärer aus dem Kreise
Blumenaucrs, wie die Illuminaten, die sich um Wcishaupt in Ingolstadt gesammelt
hatten, weit hinausgeschossen. Daß aber das Ziel erreicht war, dafür bürgt
die große Mehrzahl der deutschen Dichtungen vom Ende des vorigen Jahr¬
hunderts. Otto Brahm hat in seiner eingehenden und mannichfach interessanten
Studie „Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts" (Straßburg,
1880) den Nachweis gegeben, daß die stärkste und beste Nachwirkung des
Goethischen „Götz von Berlichingen" bei jener bairischen Dichtergruppe eintrat,
deren hervorragendster Vertreter Graf Josef August von Törring, der Dichter
der Dramen „Kaspar der Törringcr" und „Agnes Vernauer" ist, und der u. a.
Babos „Otto von Wittelsbach," A. Nagels „Bürgeraufruhr in Landshut,"
Blaimhofers „Schweden in Baiern" angehören. Kaum in dem letztern Stück, wo
der Stoff dazu unbedingt herausfordert, findet sich eine Betonung des kon¬
fessionellen Moments. Sonst herrscht ein bairischer Stammespatriotismus vor,
welcher die mchrhundertjährige Herrschaft der Gegenreformation auf bairischen


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[0610] Die katholischen Elemente in der deutschon Literatur. Einleitung, mit der er 1791 seine eignen Übertragungen aus der Äneide bei den Lesern der „Neuen Thalia" einführte: „Von dem Gedanken weit entfernt, sich an eine Übersetzung der ganzen Äneis wagen zu wollen, verspricht der Übersetzer in der Folge noch einige Bruchstücke aus dem vierten und sechsten Buche; wäre es auch nur, um den römischen Dichter bei unserm unlateinischcn Publikum in die ihm gebührende Achtung zu setzen, welche er ohne seine Schuld scheint verscherzt zu haben, seitdem es der Blumauerscheu Muse gefallen hat, ihn dem einreißenden Geist der Frivolität zum Opfer zu bringen." Aber wie gesagt, diese Frivolität ward zunächst nur von vornehmeren Naturen und am allerwenigsten im Kreise der Glaubensgenossen Blumauers empfunden. Die ästhetische Anschauung trat völlig hinter der tendenziösen zurück. Zu lange waren Päpste und Kardinäle, päpstliche Nuntien und Allditoren der Nota, jesuitische Kasuisten und Jngolstädter Professoren Objekte einer gewissen Furcht, eines unbestimmten Druckes gewesen, als daß man sich nicht daran hätte er¬ quicken sollen, daß sie in der trcivestirteu Äneide Objekte des kecksten Spottes und zwar des Spottes eines ehemaligen Jesuitenzöglings wurden. Es scheint nicht, daß in der damaligen Kritik irgendwer darauf hinwies, daß auf diese zügellose Keckheit und diese bewußte Frechheit notwendig ein Rückschlag folgen müsse. Man schwelgte in der Verspottung dessen, was man nur zu lange als eine Macht empfunden, und log sich in Stimmungen und Erwartungen hinein, wie wir sie in unsern Tagen, in den Anfängen des „Kulturkampfes," genugsam selbst erlebt haben. Daß Vlumauer zahlreiche Nachahmer fand und im josefinischen Wien als eine Art Klassiker galt, blieb, wie sich schon vor dem Ausgange des achtzehnten Jahrhunderts erweisen sollte, ohne tiefere Wirkung. Über das eigentliche Ziel, die Vereinigung der katholischen und Protestantischen Talente in einer gemein¬ samen Empfindung und Bildung, waren die Wiener Aufklärer aus dem Kreise Blumenaucrs, wie die Illuminaten, die sich um Wcishaupt in Ingolstadt gesammelt hatten, weit hinausgeschossen. Daß aber das Ziel erreicht war, dafür bürgt die große Mehrzahl der deutschen Dichtungen vom Ende des vorigen Jahr¬ hunderts. Otto Brahm hat in seiner eingehenden und mannichfach interessanten Studie „Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts" (Straßburg, 1880) den Nachweis gegeben, daß die stärkste und beste Nachwirkung des Goethischen „Götz von Berlichingen" bei jener bairischen Dichtergruppe eintrat, deren hervorragendster Vertreter Graf Josef August von Törring, der Dichter der Dramen „Kaspar der Törringcr" und „Agnes Vernauer" ist, und der u. a. Babos „Otto von Wittelsbach," A. Nagels „Bürgeraufruhr in Landshut," Blaimhofers „Schweden in Baiern" angehören. Kaum in dem letztern Stück, wo der Stoff dazu unbedingt herausfordert, findet sich eine Betonung des kon¬ fessionellen Moments. Sonst herrscht ein bairischer Stammespatriotismus vor, welcher die mchrhundertjährige Herrschaft der Gegenreformation auf bairischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/610>, abgerufen am 20.05.2024.