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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter de5 Glücks.

noch unzufriedener wurde und die spitzig gekränkte Bemerkung von den simpel"
Leuten ernstlich bereute.

Sie ließ ihn gewinnen -- ob absichtlich, wußte er nicht --, und als sie
sich zu guterletzt verabschiedete, glaubte er so vieles bei ihr verschüttet zu haben,
daß er mit den Worten: Sie haben mir doch nichts übelgenommen? förmliche
Abbitte that.

Wie könnte ich? war ihre Antwort; Sie hatten mich durch Ihre Güte zu
lange verwöhnt, Sie thaten Recht, mir endlich auch einmal auf die Finger zu
klopfen.

Auf diese schönen Finger! hätte hier die Antwort der in ähnlichen Rede¬
scharmützeln etwa unterliegenden Standesgenossen des Fräuleins von Mockritz
gelautet, und man hätte sich der schönen Finger zu einem Mittenden Kusse be¬
mächtigt.

Kaspar Benedikt fand sich nicht gemüßigt, seine Abbitte noch zu verstärken.
Wir kennen einander jetzt, sagte er; nichts für ungut, und morgen, wenn
es Ihnen paßt, zur gewöhnlichen Stunde auf dem Posten.




Sechstes Kapitel.

Der Herbst war ins Land gekommen. Unzählige Billardpartien hatten die
kleine Verdrießlichkeit ins Meer der Vergessenheit hinabgeschwemmt. Mama
Mockritz weilte im Seebade. Hermine -- das o war allmählich dem Wider¬
willen des Fabrikanten gegen hochtönende Namen zum Opfer gefallen -- Her¬
mine also hatte einer kranken Freundin zuliebe auf das Vergnügen, mit ins
Seebad zu reisen, verzichtet. Die Freundin war dann in Herminens Armen
oder wenigstens, was besser verbürgt war, in der Mockritzschen Villa gestorben,
jedenfalls von Fräulein von Mockritz nach dem Maß ihres Verständnisses für
solche Aufgaben verpflegt, wenn auch nicht eigenhändig. Nun ging Fräulein
von Mockritz in sehr kleidsamer Trauer, und nicht alle Welt, aber immerhin
viele der Nachbarn sanden, daß sie sich recht brav benommen habe.

Die Krankheit ist nicht geradezu ansteckend gewesen, sagte Frau Anna, aber
der Arzt besteht doch darauf, daß die ganze Villa eine Zeitlang gründlich aus¬
geräuchert und gelüftet werde. Wollen wir das Fräulein nicht bitten, während
dessen unser Logirgast zu sein?

Kaspar Benedikt meinte, sie werde gewiß lieber ins Seebad reisen.

Das ist ihr gestern erst ausdrücklich verboten worden, widersprach Frau
Anna; sie hat in dem Punkte meine Natur: Seebäder bringen ihr Blutwallungen.
Ohnehin -- Mama Mockritz soll schon ihr siebzehntes Bad genommen haben --

Also gut, fügte sich der Fabrikant.

Da ist es aber an dir, sie einzuladen, häkelte Frau Anna ihren Faden
weiter.

Wozu solche Formalitäten?


Auf der Leiter de5 Glücks.

noch unzufriedener wurde und die spitzig gekränkte Bemerkung von den simpel»
Leuten ernstlich bereute.

Sie ließ ihn gewinnen — ob absichtlich, wußte er nicht —, und als sie
sich zu guterletzt verabschiedete, glaubte er so vieles bei ihr verschüttet zu haben,
daß er mit den Worten: Sie haben mir doch nichts übelgenommen? förmliche
Abbitte that.

Wie könnte ich? war ihre Antwort; Sie hatten mich durch Ihre Güte zu
lange verwöhnt, Sie thaten Recht, mir endlich auch einmal auf die Finger zu
klopfen.

Auf diese schönen Finger! hätte hier die Antwort der in ähnlichen Rede¬
scharmützeln etwa unterliegenden Standesgenossen des Fräuleins von Mockritz
gelautet, und man hätte sich der schönen Finger zu einem Mittenden Kusse be¬
mächtigt.

Kaspar Benedikt fand sich nicht gemüßigt, seine Abbitte noch zu verstärken.
Wir kennen einander jetzt, sagte er; nichts für ungut, und morgen, wenn
es Ihnen paßt, zur gewöhnlichen Stunde auf dem Posten.




Sechstes Kapitel.

Der Herbst war ins Land gekommen. Unzählige Billardpartien hatten die
kleine Verdrießlichkeit ins Meer der Vergessenheit hinabgeschwemmt. Mama
Mockritz weilte im Seebade. Hermine — das o war allmählich dem Wider¬
willen des Fabrikanten gegen hochtönende Namen zum Opfer gefallen — Her¬
mine also hatte einer kranken Freundin zuliebe auf das Vergnügen, mit ins
Seebad zu reisen, verzichtet. Die Freundin war dann in Herminens Armen
oder wenigstens, was besser verbürgt war, in der Mockritzschen Villa gestorben,
jedenfalls von Fräulein von Mockritz nach dem Maß ihres Verständnisses für
solche Aufgaben verpflegt, wenn auch nicht eigenhändig. Nun ging Fräulein
von Mockritz in sehr kleidsamer Trauer, und nicht alle Welt, aber immerhin
viele der Nachbarn sanden, daß sie sich recht brav benommen habe.

Die Krankheit ist nicht geradezu ansteckend gewesen, sagte Frau Anna, aber
der Arzt besteht doch darauf, daß die ganze Villa eine Zeitlang gründlich aus¬
geräuchert und gelüftet werde. Wollen wir das Fräulein nicht bitten, während
dessen unser Logirgast zu sein?

Kaspar Benedikt meinte, sie werde gewiß lieber ins Seebad reisen.

Das ist ihr gestern erst ausdrücklich verboten worden, widersprach Frau
Anna; sie hat in dem Punkte meine Natur: Seebäder bringen ihr Blutwallungen.
Ohnehin — Mama Mockritz soll schon ihr siebzehntes Bad genommen haben —

Also gut, fügte sich der Fabrikant.

Da ist es aber an dir, sie einzuladen, häkelte Frau Anna ihren Faden
weiter.

Wozu solche Formalitäten?


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[0157] Auf der Leiter de5 Glücks. noch unzufriedener wurde und die spitzig gekränkte Bemerkung von den simpel» Leuten ernstlich bereute. Sie ließ ihn gewinnen — ob absichtlich, wußte er nicht —, und als sie sich zu guterletzt verabschiedete, glaubte er so vieles bei ihr verschüttet zu haben, daß er mit den Worten: Sie haben mir doch nichts übelgenommen? förmliche Abbitte that. Wie könnte ich? war ihre Antwort; Sie hatten mich durch Ihre Güte zu lange verwöhnt, Sie thaten Recht, mir endlich auch einmal auf die Finger zu klopfen. Auf diese schönen Finger! hätte hier die Antwort der in ähnlichen Rede¬ scharmützeln etwa unterliegenden Standesgenossen des Fräuleins von Mockritz gelautet, und man hätte sich der schönen Finger zu einem Mittenden Kusse be¬ mächtigt. Kaspar Benedikt fand sich nicht gemüßigt, seine Abbitte noch zu verstärken. Wir kennen einander jetzt, sagte er; nichts für ungut, und morgen, wenn es Ihnen paßt, zur gewöhnlichen Stunde auf dem Posten. Sechstes Kapitel. Der Herbst war ins Land gekommen. Unzählige Billardpartien hatten die kleine Verdrießlichkeit ins Meer der Vergessenheit hinabgeschwemmt. Mama Mockritz weilte im Seebade. Hermine — das o war allmählich dem Wider¬ willen des Fabrikanten gegen hochtönende Namen zum Opfer gefallen — Her¬ mine also hatte einer kranken Freundin zuliebe auf das Vergnügen, mit ins Seebad zu reisen, verzichtet. Die Freundin war dann in Herminens Armen oder wenigstens, was besser verbürgt war, in der Mockritzschen Villa gestorben, jedenfalls von Fräulein von Mockritz nach dem Maß ihres Verständnisses für solche Aufgaben verpflegt, wenn auch nicht eigenhändig. Nun ging Fräulein von Mockritz in sehr kleidsamer Trauer, und nicht alle Welt, aber immerhin viele der Nachbarn sanden, daß sie sich recht brav benommen habe. Die Krankheit ist nicht geradezu ansteckend gewesen, sagte Frau Anna, aber der Arzt besteht doch darauf, daß die ganze Villa eine Zeitlang gründlich aus¬ geräuchert und gelüftet werde. Wollen wir das Fräulein nicht bitten, während dessen unser Logirgast zu sein? Kaspar Benedikt meinte, sie werde gewiß lieber ins Seebad reisen. Das ist ihr gestern erst ausdrücklich verboten worden, widersprach Frau Anna; sie hat in dem Punkte meine Natur: Seebäder bringen ihr Blutwallungen. Ohnehin — Mama Mockritz soll schon ihr siebzehntes Bad genommen haben — Also gut, fügte sich der Fabrikant. Da ist es aber an dir, sie einzuladen, häkelte Frau Anna ihren Faden weiter. Wozu solche Formalitäten?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/157>, abgerufen am 19.05.2024.