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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte der Thcaterleitung Goethes.

über 40 nach zweimaliger Aufführung absetzte. Goethe brachte von den ab¬
gesetzten Stücken keines wieder zur Aufführung, sondern ging während seiner
Leitung noch um ein gutes Stück weiter, indem er noch über 100 andre Stücke
als ungenügend alsbald absetzte und von Bellomos Repertoire kaum 100 bei¬
behielt, während aus Goethes Leitung sich nachweisen läßt, daß er über 500
Novitäten einführte, d. h. er ließ jährlich im Durchschnitt mehr als 20 neue
Stücke geben, was heutzutage ein Theater von dem Goethischen Umfange schwer¬
lich mehr ermöglichen würde.

Auch nach einer andern Seite hin sind die statistischen Erhebungen nicht
ohne Bedeutung. Kann man behaupten, ^daß in Weimar und auf den Filial¬
bühnen von 1784 bis 1817 5) im ganzen etwa 5500 Aufführungen gegeben wurden,
so fanden durchschnittlich in dieser Zeit mir 6 Wiederholungen eines Stückes
statt. Noch interessanter ist es, das Verhältnis der Wiederholung von Stücken
der vorzüglichsten Theaterdichter kennen zu lernen. Goethes Freund Klinger
hat hiernach die geringste Beachtmig gesunde". Goethe gab überhaupt kein Stück
von demselben, nachdem Bellomo zwei Klingersche Stücke nur einmal aufgeführt
hatte. Besser stand es schon um Körner, der mehr als 40, Shakespeare, der
mehr als 60, Lessing, der mehr als 70 mal während Goethes Leitung über
die weimarischen Bühnen ging. Daran reihen sich die Goethischen Stücke selbst,
die über 270, die Schillerschen, die über 340, .die Ifflandschen, die über 380 mal
zur Aufführung gelangten, während dem fruchtbarsten aller Theaterdichter,
Kotzebue, der Preis der Wiederholung zuerkannt werden muß, da von ihm über
640 Wiederholungen zu verzeichnen sind.

Was die Gattung der Stücke anlangt, die von 1784 bis 1817 auf der
Bühne vertreten war, so wurde die Posse am wenigsten gepflegt (etwa 20 Stücke),
während das Trauerspiel und das Schauspiel mit je 100 Stücken vertreten
waren. Dagegen erforderte die Pflege des Singspiels und der Oper eine große
Zahl auf dem Repertoire (über 160); die Zahl der gegebenen Lustspiele betrug
über 350.

Sind diese statistischen Verhältnisse, die ich andern Orts eingehender be¬
handeln werde, schon an sich lehrreich, so drängt sich uns die Frage auf, warum
sie so waren. Viele Gründe wirkten hierbei mit, am meisten die theatra¬
lische Finanzwirtschaft Goethes, die bisher wenig beachtet, noch viel weniger
ergründet worden ist.

Näher betrachtet, war es ein geniales und kühnes Unternehmen Goethes,
in Weimar ein Hoftheater ins Dasein rufen zu wollen. Eine ständige Truppe
für eine Residenz von damals kaum 6000 Einwohnern für eigne Rechnung
unterhalten zu wollen, war an sich schon ein äußerst gefährliches Wagnis.



*) Das heißt von 1791 an sind die Aufführungen in Lauchstüdt, Erfurt, Rndolstndt
Naumburg, Leipzig, Halle ze. mit gerechnet.
Zur Geschichte der Thcaterleitung Goethes.

über 40 nach zweimaliger Aufführung absetzte. Goethe brachte von den ab¬
gesetzten Stücken keines wieder zur Aufführung, sondern ging während seiner
Leitung noch um ein gutes Stück weiter, indem er noch über 100 andre Stücke
als ungenügend alsbald absetzte und von Bellomos Repertoire kaum 100 bei¬
behielt, während aus Goethes Leitung sich nachweisen läßt, daß er über 500
Novitäten einführte, d. h. er ließ jährlich im Durchschnitt mehr als 20 neue
Stücke geben, was heutzutage ein Theater von dem Goethischen Umfange schwer¬
lich mehr ermöglichen würde.

Auch nach einer andern Seite hin sind die statistischen Erhebungen nicht
ohne Bedeutung. Kann man behaupten, ^daß in Weimar und auf den Filial¬
bühnen von 1784 bis 1817 5) im ganzen etwa 5500 Aufführungen gegeben wurden,
so fanden durchschnittlich in dieser Zeit mir 6 Wiederholungen eines Stückes
statt. Noch interessanter ist es, das Verhältnis der Wiederholung von Stücken
der vorzüglichsten Theaterdichter kennen zu lernen. Goethes Freund Klinger
hat hiernach die geringste Beachtmig gesunde». Goethe gab überhaupt kein Stück
von demselben, nachdem Bellomo zwei Klingersche Stücke nur einmal aufgeführt
hatte. Besser stand es schon um Körner, der mehr als 40, Shakespeare, der
mehr als 60, Lessing, der mehr als 70 mal während Goethes Leitung über
die weimarischen Bühnen ging. Daran reihen sich die Goethischen Stücke selbst,
die über 270, die Schillerschen, die über 340, .die Ifflandschen, die über 380 mal
zur Aufführung gelangten, während dem fruchtbarsten aller Theaterdichter,
Kotzebue, der Preis der Wiederholung zuerkannt werden muß, da von ihm über
640 Wiederholungen zu verzeichnen sind.

Was die Gattung der Stücke anlangt, die von 1784 bis 1817 auf der
Bühne vertreten war, so wurde die Posse am wenigsten gepflegt (etwa 20 Stücke),
während das Trauerspiel und das Schauspiel mit je 100 Stücken vertreten
waren. Dagegen erforderte die Pflege des Singspiels und der Oper eine große
Zahl auf dem Repertoire (über 160); die Zahl der gegebenen Lustspiele betrug
über 350.

Sind diese statistischen Verhältnisse, die ich andern Orts eingehender be¬
handeln werde, schon an sich lehrreich, so drängt sich uns die Frage auf, warum
sie so waren. Viele Gründe wirkten hierbei mit, am meisten die theatra¬
lische Finanzwirtschaft Goethes, die bisher wenig beachtet, noch viel weniger
ergründet worden ist.

Näher betrachtet, war es ein geniales und kühnes Unternehmen Goethes,
in Weimar ein Hoftheater ins Dasein rufen zu wollen. Eine ständige Truppe
für eine Residenz von damals kaum 6000 Einwohnern für eigne Rechnung
unterhalten zu wollen, war an sich schon ein äußerst gefährliches Wagnis.



*) Das heißt von 1791 an sind die Aufführungen in Lauchstüdt, Erfurt, Rndolstndt
Naumburg, Leipzig, Halle ze. mit gerechnet.
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[0079] Zur Geschichte der Thcaterleitung Goethes. über 40 nach zweimaliger Aufführung absetzte. Goethe brachte von den ab¬ gesetzten Stücken keines wieder zur Aufführung, sondern ging während seiner Leitung noch um ein gutes Stück weiter, indem er noch über 100 andre Stücke als ungenügend alsbald absetzte und von Bellomos Repertoire kaum 100 bei¬ behielt, während aus Goethes Leitung sich nachweisen läßt, daß er über 500 Novitäten einführte, d. h. er ließ jährlich im Durchschnitt mehr als 20 neue Stücke geben, was heutzutage ein Theater von dem Goethischen Umfange schwer¬ lich mehr ermöglichen würde. Auch nach einer andern Seite hin sind die statistischen Erhebungen nicht ohne Bedeutung. Kann man behaupten, ^daß in Weimar und auf den Filial¬ bühnen von 1784 bis 1817 5) im ganzen etwa 5500 Aufführungen gegeben wurden, so fanden durchschnittlich in dieser Zeit mir 6 Wiederholungen eines Stückes statt. Noch interessanter ist es, das Verhältnis der Wiederholung von Stücken der vorzüglichsten Theaterdichter kennen zu lernen. Goethes Freund Klinger hat hiernach die geringste Beachtmig gesunde». Goethe gab überhaupt kein Stück von demselben, nachdem Bellomo zwei Klingersche Stücke nur einmal aufgeführt hatte. Besser stand es schon um Körner, der mehr als 40, Shakespeare, der mehr als 60, Lessing, der mehr als 70 mal während Goethes Leitung über die weimarischen Bühnen ging. Daran reihen sich die Goethischen Stücke selbst, die über 270, die Schillerschen, die über 340, .die Ifflandschen, die über 380 mal zur Aufführung gelangten, während dem fruchtbarsten aller Theaterdichter, Kotzebue, der Preis der Wiederholung zuerkannt werden muß, da von ihm über 640 Wiederholungen zu verzeichnen sind. Was die Gattung der Stücke anlangt, die von 1784 bis 1817 auf der Bühne vertreten war, so wurde die Posse am wenigsten gepflegt (etwa 20 Stücke), während das Trauerspiel und das Schauspiel mit je 100 Stücken vertreten waren. Dagegen erforderte die Pflege des Singspiels und der Oper eine große Zahl auf dem Repertoire (über 160); die Zahl der gegebenen Lustspiele betrug über 350. Sind diese statistischen Verhältnisse, die ich andern Orts eingehender be¬ handeln werde, schon an sich lehrreich, so drängt sich uns die Frage auf, warum sie so waren. Viele Gründe wirkten hierbei mit, am meisten die theatra¬ lische Finanzwirtschaft Goethes, die bisher wenig beachtet, noch viel weniger ergründet worden ist. Näher betrachtet, war es ein geniales und kühnes Unternehmen Goethes, in Weimar ein Hoftheater ins Dasein rufen zu wollen. Eine ständige Truppe für eine Residenz von damals kaum 6000 Einwohnern für eigne Rechnung unterhalten zu wollen, war an sich schon ein äußerst gefährliches Wagnis. *) Das heißt von 1791 an sind die Aufführungen in Lauchstüdt, Erfurt, Rndolstndt Naumburg, Leipzig, Halle ze. mit gerechnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/79>, abgerufen am 22.05.2024.