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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Uommilitonen,

Als das Geschäft der Albumausfüllung beendet war, verkündete der Di¬
rektor, daß nun zur Erledigung des zweiten Abschnittes des Programms über¬
gegangen werde, nämlich zu dem Vortrage, und zwar werde sich dieser ver¬
breiten "über unsre Errungenschaften in den letzten fünfzig Jahren, seil, irrlittsris."

Aber, fuhr er fort, in Ausführung eines Kollegialbcschlusfes -- diesen
Worten gab er eine Betonung, als wollte er andeuten, daß er dagegen gestimmt
habe -- sei noch folgendes zu vermelden: In Erwägung, daß vielleicht der eine
oder der andre Herr Kommilito sich vorgenommen habe, das Wort zu er¬
greifen, in fernerer Erwägung, daß die Gelegenheit hierfür programmmäßig
nur bei dem Einleituugs- wie Abschiedsakte gewährt werden könne, da die
Tischordnung nur offiziellen, bereits bestimmten Festrednern das Wort verstatte,
so stehe es jedem der Herren Kommilitonen frei, jetzt über das angegebene
Thema das Wort zu ergreifen; nur werde gewünscht, daß der betreffende Herr
Kommilito mit den Herren Kommilitonen seines Jahrganges zunächst hervor¬
trete zur Mitteilung seines Vorhabens; fünf Minuten seien zur Erledigung
dieser Formalien gegeben.

Nach Verkündigung dieses viclcrwvgenen Beschlusses schlug der Direktor
mit seinem laugen Bleistifte einmal auf das Pult, wendete dann den Kopf in
außerordentlich unbequemer Weise uach der hinter ihm über dem Katheder tickenden
Uhr, brachte ihn in seine vorige Stellung zurück, vermerkte die ermittelte Zeit
und setzte sich zurecht, indem er steif den Kopf vorstreckte. Wie ein versteinertes
Abwarten sah er aus.

Im Saale herrschte tiefes Schweigen, das nur durch ein halbes Niesen
eines kleinen Schülers unterbrochen wurde; der pausbäckige Quartaner hemmte
sich selbst Helden- oder Hasenhaft in Abwicklung dieses natürlichen Dranges.

Vier Minuten waren nach der großen Uhr abgelaufen, der Gymnasial-
direktor drehte wieder den Kopf mit einer fast noch unbequemeren Wendung als
das erste mal nach dem Zeitmesser, drückte die Brille an und stellte fest, daß
noch eine Minute fehle. Daun richtete er sich am Pulte zurecht, schlug sein
Manuskript auf und wollte eben -- da wird eine Stimme laut: Ich bin bereit,
über das gegebene Thema zu sprechen.

Es entstand eine hörbare Bewegung uuter deu Anwesenden. Der Direktor
entfärbte sich und ließ den Bleistift fallen, erlangte aber durch Hinuuterbücken
seine Farbe wieder.

Den Sprecher jener überraschenden Worte konnte man nicht sehen, weil
alles aufgestanden war, um ihn zu Gesicht zu bekommen, dieser aber sitzen ge¬
blieben war.

Der Direktor stieß hierauf mit der ganzen Schärfe eines Schulmonarchen
hervor: Wer? Und dann: Welcher Jahrgang?

Als es hieß, 1849, rief der Direktor noch: Dann bitte ich den betreffenden
Jahrgang, hervorzutreten; eine Äußerung, die durch ihren schulmeisterlichen Ton


Die Uommilitonen,

Als das Geschäft der Albumausfüllung beendet war, verkündete der Di¬
rektor, daß nun zur Erledigung des zweiten Abschnittes des Programms über¬
gegangen werde, nämlich zu dem Vortrage, und zwar werde sich dieser ver¬
breiten „über unsre Errungenschaften in den letzten fünfzig Jahren, seil, irrlittsris."

Aber, fuhr er fort, in Ausführung eines Kollegialbcschlusfes — diesen
Worten gab er eine Betonung, als wollte er andeuten, daß er dagegen gestimmt
habe — sei noch folgendes zu vermelden: In Erwägung, daß vielleicht der eine
oder der andre Herr Kommilito sich vorgenommen habe, das Wort zu er¬
greifen, in fernerer Erwägung, daß die Gelegenheit hierfür programmmäßig
nur bei dem Einleituugs- wie Abschiedsakte gewährt werden könne, da die
Tischordnung nur offiziellen, bereits bestimmten Festrednern das Wort verstatte,
so stehe es jedem der Herren Kommilitonen frei, jetzt über das angegebene
Thema das Wort zu ergreifen; nur werde gewünscht, daß der betreffende Herr
Kommilito mit den Herren Kommilitonen seines Jahrganges zunächst hervor¬
trete zur Mitteilung seines Vorhabens; fünf Minuten seien zur Erledigung
dieser Formalien gegeben.

Nach Verkündigung dieses viclcrwvgenen Beschlusses schlug der Direktor
mit seinem laugen Bleistifte einmal auf das Pult, wendete dann den Kopf in
außerordentlich unbequemer Weise uach der hinter ihm über dem Katheder tickenden
Uhr, brachte ihn in seine vorige Stellung zurück, vermerkte die ermittelte Zeit
und setzte sich zurecht, indem er steif den Kopf vorstreckte. Wie ein versteinertes
Abwarten sah er aus.

Im Saale herrschte tiefes Schweigen, das nur durch ein halbes Niesen
eines kleinen Schülers unterbrochen wurde; der pausbäckige Quartaner hemmte
sich selbst Helden- oder Hasenhaft in Abwicklung dieses natürlichen Dranges.

Vier Minuten waren nach der großen Uhr abgelaufen, der Gymnasial-
direktor drehte wieder den Kopf mit einer fast noch unbequemeren Wendung als
das erste mal nach dem Zeitmesser, drückte die Brille an und stellte fest, daß
noch eine Minute fehle. Daun richtete er sich am Pulte zurecht, schlug sein
Manuskript auf und wollte eben — da wird eine Stimme laut: Ich bin bereit,
über das gegebene Thema zu sprechen.

Es entstand eine hörbare Bewegung uuter deu Anwesenden. Der Direktor
entfärbte sich und ließ den Bleistift fallen, erlangte aber durch Hinuuterbücken
seine Farbe wieder.

Den Sprecher jener überraschenden Worte konnte man nicht sehen, weil
alles aufgestanden war, um ihn zu Gesicht zu bekommen, dieser aber sitzen ge¬
blieben war.

Der Direktor stieß hierauf mit der ganzen Schärfe eines Schulmonarchen
hervor: Wer? Und dann: Welcher Jahrgang?

Als es hieß, 1849, rief der Direktor noch: Dann bitte ich den betreffenden
Jahrgang, hervorzutreten; eine Äußerung, die durch ihren schulmeisterlichen Ton


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[0108] Die Uommilitonen, Als das Geschäft der Albumausfüllung beendet war, verkündete der Di¬ rektor, daß nun zur Erledigung des zweiten Abschnittes des Programms über¬ gegangen werde, nämlich zu dem Vortrage, und zwar werde sich dieser ver¬ breiten „über unsre Errungenschaften in den letzten fünfzig Jahren, seil, irrlittsris." Aber, fuhr er fort, in Ausführung eines Kollegialbcschlusfes — diesen Worten gab er eine Betonung, als wollte er andeuten, daß er dagegen gestimmt habe — sei noch folgendes zu vermelden: In Erwägung, daß vielleicht der eine oder der andre Herr Kommilito sich vorgenommen habe, das Wort zu er¬ greifen, in fernerer Erwägung, daß die Gelegenheit hierfür programmmäßig nur bei dem Einleituugs- wie Abschiedsakte gewährt werden könne, da die Tischordnung nur offiziellen, bereits bestimmten Festrednern das Wort verstatte, so stehe es jedem der Herren Kommilitonen frei, jetzt über das angegebene Thema das Wort zu ergreifen; nur werde gewünscht, daß der betreffende Herr Kommilito mit den Herren Kommilitonen seines Jahrganges zunächst hervor¬ trete zur Mitteilung seines Vorhabens; fünf Minuten seien zur Erledigung dieser Formalien gegeben. Nach Verkündigung dieses viclcrwvgenen Beschlusses schlug der Direktor mit seinem laugen Bleistifte einmal auf das Pult, wendete dann den Kopf in außerordentlich unbequemer Weise uach der hinter ihm über dem Katheder tickenden Uhr, brachte ihn in seine vorige Stellung zurück, vermerkte die ermittelte Zeit und setzte sich zurecht, indem er steif den Kopf vorstreckte. Wie ein versteinertes Abwarten sah er aus. Im Saale herrschte tiefes Schweigen, das nur durch ein halbes Niesen eines kleinen Schülers unterbrochen wurde; der pausbäckige Quartaner hemmte sich selbst Helden- oder Hasenhaft in Abwicklung dieses natürlichen Dranges. Vier Minuten waren nach der großen Uhr abgelaufen, der Gymnasial- direktor drehte wieder den Kopf mit einer fast noch unbequemeren Wendung als das erste mal nach dem Zeitmesser, drückte die Brille an und stellte fest, daß noch eine Minute fehle. Daun richtete er sich am Pulte zurecht, schlug sein Manuskript auf und wollte eben — da wird eine Stimme laut: Ich bin bereit, über das gegebene Thema zu sprechen. Es entstand eine hörbare Bewegung uuter deu Anwesenden. Der Direktor entfärbte sich und ließ den Bleistift fallen, erlangte aber durch Hinuuterbücken seine Farbe wieder. Den Sprecher jener überraschenden Worte konnte man nicht sehen, weil alles aufgestanden war, um ihn zu Gesicht zu bekommen, dieser aber sitzen ge¬ blieben war. Der Direktor stieß hierauf mit der ganzen Schärfe eines Schulmonarchen hervor: Wer? Und dann: Welcher Jahrgang? Als es hieß, 1849, rief der Direktor noch: Dann bitte ich den betreffenden Jahrgang, hervorzutreten; eine Äußerung, die durch ihren schulmeisterlichen Ton

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/108>, abgerufen am 21.05.2024.