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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Was das Verfahren vor diesen neuen Verwaltungsgerichten erster Instanz
betrifft, so wäre das jetzt in dem Landesverwaltungsgesetze vom 30. Juli 1883
vorgeschriebene im wesentlichen beizubehalten, in vieler Hinsicht würde sich
aber schon in der Praxis eine höchst wünschenswerte Vereinfachung heraus¬
stellen. So z. B. würde die im Publikum seither und auch in Zukunft nie¬
mals verstandene und gewürdigte Lehre von der Wahlklage und von der Wahl¬
beschwerde bald gegenstandslos werden, weil es gleichviel bedeutete, ob der von
dem Landrat oder dem Bürgermeister zu erteilende Bescheid auf eine Klage
oder auf eine Beschwerde erfolgte, und weil die Aufsichtsbefugnisse des in der
betreffenden Negierungsabteilung Vorsitzenden Regierungspräsidenten hinsichtlich
seiner spontanen Maßnahmen keineswegs beeinträchtigt zu werden brauchten.

Im übrigen sind gerade diese Vorschriften über das Verfahren ein großes
Kunstwerk, welches unverdienterwcise vielfach von Leuten geschmäht wird, die
kein Verständnis dafür haben. Hochverdiente Männer, an deren Spitze der
verewigte Max Karl Ludwig von Brauchitsch stand, haben dieses Werk mit
Einsetzung ihrer ganzen Lebenskraft geschaffen, im Sinne der preußischen Rechts-
geschichte ausgebaut und nach bestem Vermögen -- wenn auch nicht immer
mit dem gewollten Erfolge -- gegen das Eindringen unfruchtbarer doktrinärer,
theoretisirender, spekulativer und rechtsphilosophischer Anschauungen geschützt.

Der treuen Arbeit der Praktiker gegenüber ist es unbillig und ungerecht,
auf die preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Stein zu werfen, und wenn
der im Eingange diefer Betrachtung erwähnte große Staatsmann in dem Worte
"Verwaltungsgericht" eine (zoirtiÄäiotio in ach'feto gefunden haben sollte, so
hat ihm jedenfalls das Wort "Selbstverwaltuugsgericht" vorgeschwebt, und
darin kann man ihm vom preußischen Standpunkte aus nur Recht geben.

Was endlich die schon jetzt nach richtigen Prinzipien ausgeschiedenen Be¬
schlußsachen betrifft, so wären dieselben in der Kreisinstanz ebenso wie die Streit¬
sachen von den Landräten und Kreissyudiken, in den Stadtkreisen von den
Bürgermeistern zu erledigen, in der Bczirksinstanz, wo diese erstinstanzlich zu
entscheiden hat, von dem Regierungspräsidenten und dem Oberregierungsrate der
Abteilung für Verwaltuugsstreitsachen. Die weitere Beschwerde könnte dann,
je nach Lage der Sache, wie dies schon jetzt vortrefflich geregelt ist, an den
Regierungspräsidenten oder den Oberpräsidenten und schließlich an den Pro-
vinzialrat oder an den Ressortminister gehen.

Wir schließen diese Betrachtung mit dem altpreußischen, unsre Auffassung
durchweg kennzeichnenden Spruche: suum ornans.




Grenzboten I. 188L17

Was das Verfahren vor diesen neuen Verwaltungsgerichten erster Instanz
betrifft, so wäre das jetzt in dem Landesverwaltungsgesetze vom 30. Juli 1883
vorgeschriebene im wesentlichen beizubehalten, in vieler Hinsicht würde sich
aber schon in der Praxis eine höchst wünschenswerte Vereinfachung heraus¬
stellen. So z. B. würde die im Publikum seither und auch in Zukunft nie¬
mals verstandene und gewürdigte Lehre von der Wahlklage und von der Wahl¬
beschwerde bald gegenstandslos werden, weil es gleichviel bedeutete, ob der von
dem Landrat oder dem Bürgermeister zu erteilende Bescheid auf eine Klage
oder auf eine Beschwerde erfolgte, und weil die Aufsichtsbefugnisse des in der
betreffenden Negierungsabteilung Vorsitzenden Regierungspräsidenten hinsichtlich
seiner spontanen Maßnahmen keineswegs beeinträchtigt zu werden brauchten.

Im übrigen sind gerade diese Vorschriften über das Verfahren ein großes
Kunstwerk, welches unverdienterwcise vielfach von Leuten geschmäht wird, die
kein Verständnis dafür haben. Hochverdiente Männer, an deren Spitze der
verewigte Max Karl Ludwig von Brauchitsch stand, haben dieses Werk mit
Einsetzung ihrer ganzen Lebenskraft geschaffen, im Sinne der preußischen Rechts-
geschichte ausgebaut und nach bestem Vermögen — wenn auch nicht immer
mit dem gewollten Erfolge — gegen das Eindringen unfruchtbarer doktrinärer,
theoretisirender, spekulativer und rechtsphilosophischer Anschauungen geschützt.

Der treuen Arbeit der Praktiker gegenüber ist es unbillig und ungerecht,
auf die preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Stein zu werfen, und wenn
der im Eingange diefer Betrachtung erwähnte große Staatsmann in dem Worte
„Verwaltungsgericht" eine (zoirtiÄäiotio in ach'feto gefunden haben sollte, so
hat ihm jedenfalls das Wort „Selbstverwaltuugsgericht" vorgeschwebt, und
darin kann man ihm vom preußischen Standpunkte aus nur Recht geben.

Was endlich die schon jetzt nach richtigen Prinzipien ausgeschiedenen Be¬
schlußsachen betrifft, so wären dieselben in der Kreisinstanz ebenso wie die Streit¬
sachen von den Landräten und Kreissyudiken, in den Stadtkreisen von den
Bürgermeistern zu erledigen, in der Bczirksinstanz, wo diese erstinstanzlich zu
entscheiden hat, von dem Regierungspräsidenten und dem Oberregierungsrate der
Abteilung für Verwaltuugsstreitsachen. Die weitere Beschwerde könnte dann,
je nach Lage der Sache, wie dies schon jetzt vortrefflich geregelt ist, an den
Regierungspräsidenten oder den Oberpräsidenten und schließlich an den Pro-
vinzialrat oder an den Ressortminister gehen.

Wir schließen diese Betrachtung mit dem altpreußischen, unsre Auffassung
durchweg kennzeichnenden Spruche: suum ornans.




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[0141] Was das Verfahren vor diesen neuen Verwaltungsgerichten erster Instanz betrifft, so wäre das jetzt in dem Landesverwaltungsgesetze vom 30. Juli 1883 vorgeschriebene im wesentlichen beizubehalten, in vieler Hinsicht würde sich aber schon in der Praxis eine höchst wünschenswerte Vereinfachung heraus¬ stellen. So z. B. würde die im Publikum seither und auch in Zukunft nie¬ mals verstandene und gewürdigte Lehre von der Wahlklage und von der Wahl¬ beschwerde bald gegenstandslos werden, weil es gleichviel bedeutete, ob der von dem Landrat oder dem Bürgermeister zu erteilende Bescheid auf eine Klage oder auf eine Beschwerde erfolgte, und weil die Aufsichtsbefugnisse des in der betreffenden Negierungsabteilung Vorsitzenden Regierungspräsidenten hinsichtlich seiner spontanen Maßnahmen keineswegs beeinträchtigt zu werden brauchten. Im übrigen sind gerade diese Vorschriften über das Verfahren ein großes Kunstwerk, welches unverdienterwcise vielfach von Leuten geschmäht wird, die kein Verständnis dafür haben. Hochverdiente Männer, an deren Spitze der verewigte Max Karl Ludwig von Brauchitsch stand, haben dieses Werk mit Einsetzung ihrer ganzen Lebenskraft geschaffen, im Sinne der preußischen Rechts- geschichte ausgebaut und nach bestem Vermögen — wenn auch nicht immer mit dem gewollten Erfolge — gegen das Eindringen unfruchtbarer doktrinärer, theoretisirender, spekulativer und rechtsphilosophischer Anschauungen geschützt. Der treuen Arbeit der Praktiker gegenüber ist es unbillig und ungerecht, auf die preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Stein zu werfen, und wenn der im Eingange diefer Betrachtung erwähnte große Staatsmann in dem Worte „Verwaltungsgericht" eine (zoirtiÄäiotio in ach'feto gefunden haben sollte, so hat ihm jedenfalls das Wort „Selbstverwaltuugsgericht" vorgeschwebt, und darin kann man ihm vom preußischen Standpunkte aus nur Recht geben. Was endlich die schon jetzt nach richtigen Prinzipien ausgeschiedenen Be¬ schlußsachen betrifft, so wären dieselben in der Kreisinstanz ebenso wie die Streit¬ sachen von den Landräten und Kreissyudiken, in den Stadtkreisen von den Bürgermeistern zu erledigen, in der Bczirksinstanz, wo diese erstinstanzlich zu entscheiden hat, von dem Regierungspräsidenten und dem Oberregierungsrate der Abteilung für Verwaltuugsstreitsachen. Die weitere Beschwerde könnte dann, je nach Lage der Sache, wie dies schon jetzt vortrefflich geregelt ist, an den Regierungspräsidenten oder den Oberpräsidenten und schließlich an den Pro- vinzialrat oder an den Ressortminister gehen. Wir schließen diese Betrachtung mit dem altpreußischen, unsre Auffassung durchweg kennzeichnenden Spruche: suum ornans. Grenzboten I. 188L17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/141>, abgerufen am 21.05.2024.