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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Weigerung sollte nur der nachträglichen Gabe einen pikanten Beigeschmack ver¬
leihen. Ist das ein Verbrechen? Müssen deshalb die Erwachsenen den Siegern
vom 15. Dezember auf der Straße ausweichen und die Kinder ihnen das un¬
angenehme Datum nachrufen? Unschuldiger kann man nicht zu einem bösen
Leumund kommen. Ich für meine Person bin sogar überzeugt, daß viele Herren
von der Majorität gern selbst zu den Sammlungen beitragen würden, um nur
die ärgerliche Geschichte endlich zur Ruhe zu bringen.

Herr Nickert hat es mit gewohnter Klarheit auseinandergesetzt, was die
Freisinnigen mit ihrem Votum nicht gewollt haben. Dem Kanzler eine not¬
wendige Arbeitskraft vorenthalten? Nein. (Das muß also Herr Löwe auf sein
Privatkonto nehmen!) Gegen eine etwaige Anstellung des Grafen Herbert
demonstriren? Nein. (Herr Richter murrt, allein ich kann ihm nicht helfen,
Herr Nickert sagts, und Herr Nickert ist ein ehrenwerter Mann.) Der auswärtigen
Politik des Kanzlers ein Mißtrauensvotum gebe"? Nein. (Wenn Bismarck sich
verbürgt, daß die Stelle unentbehrlich ist, und dabei geltend macht, daß seine
Erfolge in der auswärtigen Politik ihn doch vielleicht berechtigen, einiges
Vertrauen in Anspruch zu nehmen, die Majorität jedoch gegen ihn stimmt, so
versagt sie ihm nur den Ausdruck des Vertrauens, spricht ihm aber beileibe kein
Mißtrauen aus!) Revanche für die Freikarten? Nein. Mit der ganzen Würde
des Verleumdeten verwahrt daher Herr Nickert sich und seine Freunde gegen
die Unterschiebung falscher Motive. Welches Motiv hatten sie denn? höre ich
fragen. Darauf antworte ich: Erstens braucht man nicht immer ein Motiv zu
haben oder -- einzugestehen; zweitens war, wie gesagt, "alles nur ein Spiel,
ihr Freier lebt ja noch alleund drittens war es keineswegs ein Spiel, sondern
eine sehr ernste Angelegenheit, um die konstitutionellen Garantien handelte sichs.
Man mußte dem Kanzler sage": Siehe, was wir können, darum sei gefügig;
jetzt sind wir noch gute Leute, aber wenn wir einmal anfangen, können wir
fürchterlich werde"! Sie sehen, meine Herren, es sind soviele und sogute Gründe
da, wie jener gegen das Schnapstrinker hatte: erstens niemals, zweitens heute
erst recht nicht, "ut drittens hatte er soeben einen getrunken.

Im übrigen muß man die verschiednen Kundgebungen nach ihrem wahren
Werte beurteilen. Der Abgeordnete Bamberger hat eine ganze Vertrauensadresse
aus Alzey bekommen: das ist die Stimme des Volkes! Die Adressen an den
Kanzler rühren nur von Leuten her, und was die Leute reden, das braucht uns
nicht zu kümmern. Wenn sie meinen, es besser zu verstehen als die Erwählten
des Volkes, so werden diese ihnen antworten wie der Bankier, dem Strnßen-
arbciter "Hephep!" nachriefen. "Wartet nur, sagte er, es wird eine Zeit kommen,
wo ihr in der Equipage fahrt, und wir an der Straße sitzen und Steine klopfen,
und dann werden wir Hephep rufen!" So muß man den Leuten sagen: Setzt
ihr euch zusammen und haltet Reden und macht Gesetze, dann werden wir
darunter leiden, und das wird unsre Rache sein.


Weigerung sollte nur der nachträglichen Gabe einen pikanten Beigeschmack ver¬
leihen. Ist das ein Verbrechen? Müssen deshalb die Erwachsenen den Siegern
vom 15. Dezember auf der Straße ausweichen und die Kinder ihnen das un¬
angenehme Datum nachrufen? Unschuldiger kann man nicht zu einem bösen
Leumund kommen. Ich für meine Person bin sogar überzeugt, daß viele Herren
von der Majorität gern selbst zu den Sammlungen beitragen würden, um nur
die ärgerliche Geschichte endlich zur Ruhe zu bringen.

Herr Nickert hat es mit gewohnter Klarheit auseinandergesetzt, was die
Freisinnigen mit ihrem Votum nicht gewollt haben. Dem Kanzler eine not¬
wendige Arbeitskraft vorenthalten? Nein. (Das muß also Herr Löwe auf sein
Privatkonto nehmen!) Gegen eine etwaige Anstellung des Grafen Herbert
demonstriren? Nein. (Herr Richter murrt, allein ich kann ihm nicht helfen,
Herr Nickert sagts, und Herr Nickert ist ein ehrenwerter Mann.) Der auswärtigen
Politik des Kanzlers ein Mißtrauensvotum gebe»? Nein. (Wenn Bismarck sich
verbürgt, daß die Stelle unentbehrlich ist, und dabei geltend macht, daß seine
Erfolge in der auswärtigen Politik ihn doch vielleicht berechtigen, einiges
Vertrauen in Anspruch zu nehmen, die Majorität jedoch gegen ihn stimmt, so
versagt sie ihm nur den Ausdruck des Vertrauens, spricht ihm aber beileibe kein
Mißtrauen aus!) Revanche für die Freikarten? Nein. Mit der ganzen Würde
des Verleumdeten verwahrt daher Herr Nickert sich und seine Freunde gegen
die Unterschiebung falscher Motive. Welches Motiv hatten sie denn? höre ich
fragen. Darauf antworte ich: Erstens braucht man nicht immer ein Motiv zu
haben oder — einzugestehen; zweitens war, wie gesagt, „alles nur ein Spiel,
ihr Freier lebt ja noch alleund drittens war es keineswegs ein Spiel, sondern
eine sehr ernste Angelegenheit, um die konstitutionellen Garantien handelte sichs.
Man mußte dem Kanzler sage»: Siehe, was wir können, darum sei gefügig;
jetzt sind wir noch gute Leute, aber wenn wir einmal anfangen, können wir
fürchterlich werde»! Sie sehen, meine Herren, es sind soviele und sogute Gründe
da, wie jener gegen das Schnapstrinker hatte: erstens niemals, zweitens heute
erst recht nicht, »ut drittens hatte er soeben einen getrunken.

Im übrigen muß man die verschiednen Kundgebungen nach ihrem wahren
Werte beurteilen. Der Abgeordnete Bamberger hat eine ganze Vertrauensadresse
aus Alzey bekommen: das ist die Stimme des Volkes! Die Adressen an den
Kanzler rühren nur von Leuten her, und was die Leute reden, das braucht uns
nicht zu kümmern. Wenn sie meinen, es besser zu verstehen als die Erwählten
des Volkes, so werden diese ihnen antworten wie der Bankier, dem Strnßen-
arbciter „Hephep!" nachriefen. „Wartet nur, sagte er, es wird eine Zeit kommen,
wo ihr in der Equipage fahrt, und wir an der Straße sitzen und Steine klopfen,
und dann werden wir Hephep rufen!" So muß man den Leuten sagen: Setzt
ihr euch zusammen und haltet Reden und macht Gesetze, dann werden wir
darunter leiden, und das wird unsre Rache sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/160>, abgerufen am 21.05.2024.