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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Via Aommilitoilau.

Jahrgänge angehörte. Dieser lispelte einige Worte, die durch lange Pansen ge¬
trennt waren; man hörte immer nur: Rührung . . . Kommilitonen . . . früher.,.
oft . . . schönster Augenblick meines Lebens. Zuletzt eilte der Regierungs¬
präsident auf den Redner zu, berührte das Weinglas desselben mit dem seinigen,
faßte des Greises Hand und legte sie in seinen Arm. Mit ungemeinem Wohl-
klange redete er daun die Versammelten an: dem Herrn Professor, der des
schweren Amtes, die vergleichende Sprachforschung zu doziren, fünfundvierzig
Jahre hindurch gewaltet, versage die Stimme in diesem so ergreifenden Augen¬
blicke, wo er seinen innigen Dank in Worte zu fassen habe; daher bringe er
in Vertretung des Festredners das Hoch auf das königliche Gymnasium und
das Lehrerkollegiuni aus, eine Wendung, welche die schon etwas bedrohte
Stimmung wieder in das richtige Geleis brachte.

Hiermit war der zu Trinksprüchen und Ansprachen bestimmte Teil des
Festes geschlossen, gleichsam die amtlich gehobene Hälfte, und es begann nun
die liäölitÄS, die eingeleitet wurde durch ein Potpourri ans Studentenliedcrn,
welches von der Musik aufgespielt und von den Festgenosseu anfangs schwach,
dann vollstimmig mitgesungen wurde. Dabei wurden die Gasflammen an den
drei Kronleuchtern angezündet.

Inzwischen hatten sich auch die Tribünen gefüllt; Damen aus der Stadt
und Umgegend, selbst aus der Regierungsstadt, sowie Angehörige der Kommi¬
litonen hatten sich eingefunden, eine glänzende Zuschauer- und Zuhörerschaft, die
sich hier über der Festtafel festgesetzt hatte, über welcher sie gleichsam zu Ge¬
richt saß. Die durch bevorzugte Plätze Ausgezeichneten waren uach kurzer
Umschau darüber einig, daß die Tischordnung wenig geschmackvoll arrangirt sei,
man hätte die allereinfachste Zusammensetzung nach Stand und Rang durch¬
führen sollen, das hätte den Überblick erleichtert, jetzt mache die Gesellschaft
einen chaotischen Eindruck. Gegen die entschiedene Art, mit welcher die Ge-
schmacksverkünderinnen sich äußerten, regte sich keinerlei Widerspruch.

Anknüpfend hieran wurde dann die in solchen Vereinigungen sich kundgebende
Zeitströmung "auf das Traditionelle hin" geprüft und verworfen. Besonders
ausschlaggebend wurde die eine dieser Oberinnen, die in mattschillernden Seiden¬
rips gekleidet war und mit Kopfnicken nach rechts und links hinüber jeder an¬
geregten Frage Bescheid erteilte: über Negierung, Gerichte, Post, Eisenbahn u. s, w.
Unten an der Tafel saßen ein Reichsgerichts- und ein Oberlandesgerichtsrat,
mehrere Landgerichts- und Amtsgerichtsräte; da wurden denn die wirklichen
und die Tribunalräte gewissenhaft auseinandergehalten. Alles das verstand sie
und war doch noch garnicht so alt, wie eine andre beiseite bemerkte.

Daneben sprach man über das geringe Ansehen, das die Ärzte in der Ge¬
sellschaft genössen, es wurde das auf jüdische Übcrwucherung zurückgeführt,
hierüber aber nur mit Flüsterstimme verhandelt, da zwei strcitfertige Tief-
brünetten bereits Ohren und Zunge spitzten. Auch auf die Stellung der Rechts-


Via Aommilitoilau.

Jahrgänge angehörte. Dieser lispelte einige Worte, die durch lange Pansen ge¬
trennt waren; man hörte immer nur: Rührung . . . Kommilitonen . . . früher.,.
oft . . . schönster Augenblick meines Lebens. Zuletzt eilte der Regierungs¬
präsident auf den Redner zu, berührte das Weinglas desselben mit dem seinigen,
faßte des Greises Hand und legte sie in seinen Arm. Mit ungemeinem Wohl-
klange redete er daun die Versammelten an: dem Herrn Professor, der des
schweren Amtes, die vergleichende Sprachforschung zu doziren, fünfundvierzig
Jahre hindurch gewaltet, versage die Stimme in diesem so ergreifenden Augen¬
blicke, wo er seinen innigen Dank in Worte zu fassen habe; daher bringe er
in Vertretung des Festredners das Hoch auf das königliche Gymnasium und
das Lehrerkollegiuni aus, eine Wendung, welche die schon etwas bedrohte
Stimmung wieder in das richtige Geleis brachte.

Hiermit war der zu Trinksprüchen und Ansprachen bestimmte Teil des
Festes geschlossen, gleichsam die amtlich gehobene Hälfte, und es begann nun
die liäölitÄS, die eingeleitet wurde durch ein Potpourri ans Studentenliedcrn,
welches von der Musik aufgespielt und von den Festgenosseu anfangs schwach,
dann vollstimmig mitgesungen wurde. Dabei wurden die Gasflammen an den
drei Kronleuchtern angezündet.

Inzwischen hatten sich auch die Tribünen gefüllt; Damen aus der Stadt
und Umgegend, selbst aus der Regierungsstadt, sowie Angehörige der Kommi¬
litonen hatten sich eingefunden, eine glänzende Zuschauer- und Zuhörerschaft, die
sich hier über der Festtafel festgesetzt hatte, über welcher sie gleichsam zu Ge¬
richt saß. Die durch bevorzugte Plätze Ausgezeichneten waren uach kurzer
Umschau darüber einig, daß die Tischordnung wenig geschmackvoll arrangirt sei,
man hätte die allereinfachste Zusammensetzung nach Stand und Rang durch¬
führen sollen, das hätte den Überblick erleichtert, jetzt mache die Gesellschaft
einen chaotischen Eindruck. Gegen die entschiedene Art, mit welcher die Ge-
schmacksverkünderinnen sich äußerten, regte sich keinerlei Widerspruch.

Anknüpfend hieran wurde dann die in solchen Vereinigungen sich kundgebende
Zeitströmung „auf das Traditionelle hin" geprüft und verworfen. Besonders
ausschlaggebend wurde die eine dieser Oberinnen, die in mattschillernden Seiden¬
rips gekleidet war und mit Kopfnicken nach rechts und links hinüber jeder an¬
geregten Frage Bescheid erteilte: über Negierung, Gerichte, Post, Eisenbahn u. s, w.
Unten an der Tafel saßen ein Reichsgerichts- und ein Oberlandesgerichtsrat,
mehrere Landgerichts- und Amtsgerichtsräte; da wurden denn die wirklichen
und die Tribunalräte gewissenhaft auseinandergehalten. Alles das verstand sie
und war doch noch garnicht so alt, wie eine andre beiseite bemerkte.

Daneben sprach man über das geringe Ansehen, das die Ärzte in der Ge¬
sellschaft genössen, es wurde das auf jüdische Übcrwucherung zurückgeführt,
hierüber aber nur mit Flüsterstimme verhandelt, da zwei strcitfertige Tief-
brünetten bereits Ohren und Zunge spitzten. Auch auf die Stellung der Rechts-


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[0164] Via Aommilitoilau. Jahrgänge angehörte. Dieser lispelte einige Worte, die durch lange Pansen ge¬ trennt waren; man hörte immer nur: Rührung . . . Kommilitonen . . . früher.,. oft . . . schönster Augenblick meines Lebens. Zuletzt eilte der Regierungs¬ präsident auf den Redner zu, berührte das Weinglas desselben mit dem seinigen, faßte des Greises Hand und legte sie in seinen Arm. Mit ungemeinem Wohl- klange redete er daun die Versammelten an: dem Herrn Professor, der des schweren Amtes, die vergleichende Sprachforschung zu doziren, fünfundvierzig Jahre hindurch gewaltet, versage die Stimme in diesem so ergreifenden Augen¬ blicke, wo er seinen innigen Dank in Worte zu fassen habe; daher bringe er in Vertretung des Festredners das Hoch auf das königliche Gymnasium und das Lehrerkollegiuni aus, eine Wendung, welche die schon etwas bedrohte Stimmung wieder in das richtige Geleis brachte. Hiermit war der zu Trinksprüchen und Ansprachen bestimmte Teil des Festes geschlossen, gleichsam die amtlich gehobene Hälfte, und es begann nun die liäölitÄS, die eingeleitet wurde durch ein Potpourri ans Studentenliedcrn, welches von der Musik aufgespielt und von den Festgenosseu anfangs schwach, dann vollstimmig mitgesungen wurde. Dabei wurden die Gasflammen an den drei Kronleuchtern angezündet. Inzwischen hatten sich auch die Tribünen gefüllt; Damen aus der Stadt und Umgegend, selbst aus der Regierungsstadt, sowie Angehörige der Kommi¬ litonen hatten sich eingefunden, eine glänzende Zuschauer- und Zuhörerschaft, die sich hier über der Festtafel festgesetzt hatte, über welcher sie gleichsam zu Ge¬ richt saß. Die durch bevorzugte Plätze Ausgezeichneten waren uach kurzer Umschau darüber einig, daß die Tischordnung wenig geschmackvoll arrangirt sei, man hätte die allereinfachste Zusammensetzung nach Stand und Rang durch¬ führen sollen, das hätte den Überblick erleichtert, jetzt mache die Gesellschaft einen chaotischen Eindruck. Gegen die entschiedene Art, mit welcher die Ge- schmacksverkünderinnen sich äußerten, regte sich keinerlei Widerspruch. Anknüpfend hieran wurde dann die in solchen Vereinigungen sich kundgebende Zeitströmung „auf das Traditionelle hin" geprüft und verworfen. Besonders ausschlaggebend wurde die eine dieser Oberinnen, die in mattschillernden Seiden¬ rips gekleidet war und mit Kopfnicken nach rechts und links hinüber jeder an¬ geregten Frage Bescheid erteilte: über Negierung, Gerichte, Post, Eisenbahn u. s, w. Unten an der Tafel saßen ein Reichsgerichts- und ein Oberlandesgerichtsrat, mehrere Landgerichts- und Amtsgerichtsräte; da wurden denn die wirklichen und die Tribunalräte gewissenhaft auseinandergehalten. Alles das verstand sie und war doch noch garnicht so alt, wie eine andre beiseite bemerkte. Daneben sprach man über das geringe Ansehen, das die Ärzte in der Ge¬ sellschaft genössen, es wurde das auf jüdische Übcrwucherung zurückgeführt, hierüber aber nur mit Flüsterstimme verhandelt, da zwei strcitfertige Tief- brünetten bereits Ohren und Zunge spitzten. Auch auf die Stellung der Rechts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/164>, abgerufen am 22.05.2024.