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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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großen Teils des Publikums, sich durch doktrinären Blödsinn imponiren zu
lassen, ist es ja nicht wunderbar, daß es eine Anzahl von Menschen giebt,
welche es in der That glaubt oder wenigstens die so und so oft gehörte
Phrase nachspricht, daß es unerlaubt und unsittlich sei, durch einen Spion sich
Kenntnis über die Anschläge und Pläne der Gegner zu verschaffen. Über An¬
schläge und Pläne von Gegnern, die nicht wie'j der Feind im Kriege mit
ehrlichen Waffen kämpfen, sondern denen jedes, mich das infamste Mittel gut
genug ist, ihren Gegner zu vernichten! Diesen Leuten gegenüber spricht man
von unerlaubten Mitteln, wenn ein Beamter einen Spion benutzt, um die
Wege aufzudecken, auf welchen diese Leute den ganzen bestehenden Staat, die
Gesellschaft einschließlich der skrupulosen Gerechten in die Luft sprengen wollen!
Das ist so albern, als wenn sie sich darüber beklagen wollten, es sei illoyal,
einem tollen Hunde ein vergiftetes Stück Fleisch zu fressen zu geben, da er es
nicht gefressen haben würde, wen" man ihn zuvor über dessen Eigenschaft auf¬
geklärt hätte.

In die gleiche Kategorie gehören die Redensarten über die Verwerflichkeit
der sogenannten Kronzeugen, d. h. derjenigen Personen, denen das Gesetz Straf¬
losigkeit ihrer Teilnahme an einem Verbrechen für den Fall zusagt, daß sie
ihre Teilnehmer angeben und dadurch deren Bestrafung ermöglichen. Eine
solche Belohnung des Verrath wäre verwerflich, wenn es sich darum handeln
würde, die Teilnehmer an einer edeln Handlung zum Abfalle von derselben
zu bewegen; wo es sich aber darum handelt, Verbrechen zu hintertreiben oder
gemeine Verbrecher der verdienten Strafe zu überliefern, da sind derartige Be¬
denken blödes Gefasel. Dem Gesindel gegenüber kommen wir nicht mit Hu¬
maner Redensarten aus, wir müssen die ihm angemessenen und bei ihm
wirksamen Mittel anwenden, und daß das Mittel der Kronzeugen ein wirksames
ist, das haben die -- freilich weit praktischeren -- Engländer längst eingesehen
und wenden es deshalb längst an.

Es sind nun aber nicht nur die bestehenden Maßnahmen zum Schutze der¬
jenigen Personen, welche im Interesse der ganzen Gesellschaft zur Habhaft-
werdung und Bestrafung ihrer grundsätzlichen Gegner mitwirken, ungenügend,
sondern es sind auch die zur energischen Unterdrückung dieser Verbrecherbande not¬
wendigen Einrichtungen nach unsrer geltenden Gesetzgebung nicht vorhanden. Welche
Mühe allein hat es gekostet, das gegen die auf den Umsturz der bestehenden Staats¬
und Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen gegebene Sozialistengesetz seiner
Zeit durchzubringen, und welchen Kämpfen haben wir entgegenzusehen, wenn in
kurzer Zeit die Verlängerung dieses Gesetzes beantragt werden wird! Schon bei der
letzten, die Geltungsdauer dieses Gesetzes bis zum 30. September 1836 festsetzenden
Beratung des Reichstages war nur notdürftig eine Majorität für diesen Be¬
schluß zu erlangen, und welche Aussichten ein Antrag der Negierung auf weitere
Verlängerung der Geltung des Gesetzes haben würde, laßt sich bei der der-


Line Anarchistenthat.

großen Teils des Publikums, sich durch doktrinären Blödsinn imponiren zu
lassen, ist es ja nicht wunderbar, daß es eine Anzahl von Menschen giebt,
welche es in der That glaubt oder wenigstens die so und so oft gehörte
Phrase nachspricht, daß es unerlaubt und unsittlich sei, durch einen Spion sich
Kenntnis über die Anschläge und Pläne der Gegner zu verschaffen. Über An¬
schläge und Pläne von Gegnern, die nicht wie'j der Feind im Kriege mit
ehrlichen Waffen kämpfen, sondern denen jedes, mich das infamste Mittel gut
genug ist, ihren Gegner zu vernichten! Diesen Leuten gegenüber spricht man
von unerlaubten Mitteln, wenn ein Beamter einen Spion benutzt, um die
Wege aufzudecken, auf welchen diese Leute den ganzen bestehenden Staat, die
Gesellschaft einschließlich der skrupulosen Gerechten in die Luft sprengen wollen!
Das ist so albern, als wenn sie sich darüber beklagen wollten, es sei illoyal,
einem tollen Hunde ein vergiftetes Stück Fleisch zu fressen zu geben, da er es
nicht gefressen haben würde, wen» man ihn zuvor über dessen Eigenschaft auf¬
geklärt hätte.

In die gleiche Kategorie gehören die Redensarten über die Verwerflichkeit
der sogenannten Kronzeugen, d. h. derjenigen Personen, denen das Gesetz Straf¬
losigkeit ihrer Teilnahme an einem Verbrechen für den Fall zusagt, daß sie
ihre Teilnehmer angeben und dadurch deren Bestrafung ermöglichen. Eine
solche Belohnung des Verrath wäre verwerflich, wenn es sich darum handeln
würde, die Teilnehmer an einer edeln Handlung zum Abfalle von derselben
zu bewegen; wo es sich aber darum handelt, Verbrechen zu hintertreiben oder
gemeine Verbrecher der verdienten Strafe zu überliefern, da sind derartige Be¬
denken blödes Gefasel. Dem Gesindel gegenüber kommen wir nicht mit Hu¬
maner Redensarten aus, wir müssen die ihm angemessenen und bei ihm
wirksamen Mittel anwenden, und daß das Mittel der Kronzeugen ein wirksames
ist, das haben die — freilich weit praktischeren — Engländer längst eingesehen
und wenden es deshalb längst an.

Es sind nun aber nicht nur die bestehenden Maßnahmen zum Schutze der¬
jenigen Personen, welche im Interesse der ganzen Gesellschaft zur Habhaft-
werdung und Bestrafung ihrer grundsätzlichen Gegner mitwirken, ungenügend,
sondern es sind auch die zur energischen Unterdrückung dieser Verbrecherbande not¬
wendigen Einrichtungen nach unsrer geltenden Gesetzgebung nicht vorhanden. Welche
Mühe allein hat es gekostet, das gegen die auf den Umsturz der bestehenden Staats¬
und Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen gegebene Sozialistengesetz seiner
Zeit durchzubringen, und welchen Kämpfen haben wir entgegenzusehen, wenn in
kurzer Zeit die Verlängerung dieses Gesetzes beantragt werden wird! Schon bei der
letzten, die Geltungsdauer dieses Gesetzes bis zum 30. September 1836 festsetzenden
Beratung des Reichstages war nur notdürftig eine Majorität für diesen Be¬
schluß zu erlangen, und welche Aussichten ein Antrag der Negierung auf weitere
Verlängerung der Geltung des Gesetzes haben würde, laßt sich bei der der-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/184>, abgerufen am 21.05.2024.