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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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weit hätte es vor vierzehn Jahren in Paris gebracht werden können, wären
die französischen Svldnten nicht so ungebildet gewesen, daß Felix Pyat und die
übrigen feinen Naturen der Berührung mit ihnen aus dein Wege gehen mußten!

Zu Bundestagszeiten wurden die verschiednen Truppenteile gemischter
Garnisonen gezwungen, verschiedne Wirtshäuser und Tanzlvkale aufzusuchen,
die tyrannischen Obern fragten nicht darnach, daß einem das Bier im roten
Ochsen besser schmecken oder die Mädchen dort besser gefallen mochten als im
blauen Karpfen: er mußte gehorchen. Und warum? Weil es regelmäßig
Schlägerei gab, wenn Preußen, Österreicher und Baiern irgendwo zusammen¬
trafen. Bedenken Sie die Kurzsichtigkeit, weine Herren! Die Mannschaften
fühlten die Notwendigkeit, während der langen Friedenszeit sich in ernsten
Kämpfen zu üben und zu stählen, und die Offiziere verhinderten sie daran.
Das war empörend, aber einen Fortschritt kann ich darin nicht erkennen, daß
den armen Soldaten jetzt die revolutionäre Weisheit vorenthalten werden soll.

Der Herr Reichskanzler wieder mißverstand Herrn Windthorst, als dieser
äußerte, mit "zwei Millionen" Soldaten sei es garnicht so schwer, gute aus¬
wärtige Politik zu machen. Wenn man zwischen den Zeilen liest, und das muß
man ja bei Herrn Windthorst iiumer thun, so findet man die Worte: "Der
große Staatsmann, dessen Überlegenheit ich hente wieder kennen zu lernen das
Glück gehabt habe, bedürfte einer solchen Rückendeckung garnicht, er ganz allein
würde ebenso glänzende Erfolge errungen haben." Ein solches Kompliment
hätte wohl eine etwas sympathische Gegenäußerung verdient, z. B.: "Ich bin
dem Herrn Vorredner für die gute Meinung sehr verbunden und werde mir
die Sache überlege". Allerdings könnte durch Auflösung der Armee viel Geld
erspart, sogar eine bedeutende Einnahme erzielt werden, wenn man sie vermieten
wollte, z. B. an den Herzog von Cumberland oder an ein Konsortium in Krakau
und Lemberg; andrerseits würde ich ans viele anregende Verhandlungen in
diesem hohen Hause verzichte" müssen, und ich wüßte nicht, von welcher andern
Seite mir eine so gründliche Belehrung über militärische Angelegenheiten, für
die ich mich einigermaßen interessire, zugehen könnte, wie ich sie ans den Vor¬
tragen der Herren Richter, Bebel, Vollmar n. s. w. zu schöpfen gewohnt bin.
Es wird ja wohl nicht notwendig sein, heute noch eine Verfügung zu treffen,
aber die Anregung soll nicht verloren sein." Statt dessen sah sich der ehr¬
würdige Greis mit einer unbarmherzigen Ironie behandelt, welche ihn notwen¬
digerweise verschüchtern und ihm die Lust benehmen muß, mit großen organi¬
satorischen Ideen zum Heile des Vaterlandes hervorzutreten.

Wie soll ich mir ferner das Mißverständnis erklären, dessen Opfer der
Herr Abgeordnete Richter wurde, gerade als seine wahrhaft antike Charakter-
große strahlender denn je zuvor in die Erscheinung trat? Er rügte, daß ein
Offizier in Lauenburg versucht habe, seine Untergebenen politisch zu beeinflusse"
Man zog die Lauterkeit der Quelle dieser Mitteilung in Zweifel; ich bin aber


weit hätte es vor vierzehn Jahren in Paris gebracht werden können, wären
die französischen Svldnten nicht so ungebildet gewesen, daß Felix Pyat und die
übrigen feinen Naturen der Berührung mit ihnen aus dein Wege gehen mußten!

Zu Bundestagszeiten wurden die verschiednen Truppenteile gemischter
Garnisonen gezwungen, verschiedne Wirtshäuser und Tanzlvkale aufzusuchen,
die tyrannischen Obern fragten nicht darnach, daß einem das Bier im roten
Ochsen besser schmecken oder die Mädchen dort besser gefallen mochten als im
blauen Karpfen: er mußte gehorchen. Und warum? Weil es regelmäßig
Schlägerei gab, wenn Preußen, Österreicher und Baiern irgendwo zusammen¬
trafen. Bedenken Sie die Kurzsichtigkeit, weine Herren! Die Mannschaften
fühlten die Notwendigkeit, während der langen Friedenszeit sich in ernsten
Kämpfen zu üben und zu stählen, und die Offiziere verhinderten sie daran.
Das war empörend, aber einen Fortschritt kann ich darin nicht erkennen, daß
den armen Soldaten jetzt die revolutionäre Weisheit vorenthalten werden soll.

Der Herr Reichskanzler wieder mißverstand Herrn Windthorst, als dieser
äußerte, mit „zwei Millionen" Soldaten sei es garnicht so schwer, gute aus¬
wärtige Politik zu machen. Wenn man zwischen den Zeilen liest, und das muß
man ja bei Herrn Windthorst iiumer thun, so findet man die Worte: „Der
große Staatsmann, dessen Überlegenheit ich hente wieder kennen zu lernen das
Glück gehabt habe, bedürfte einer solchen Rückendeckung garnicht, er ganz allein
würde ebenso glänzende Erfolge errungen haben." Ein solches Kompliment
hätte wohl eine etwas sympathische Gegenäußerung verdient, z. B.: „Ich bin
dem Herrn Vorredner für die gute Meinung sehr verbunden und werde mir
die Sache überlege«. Allerdings könnte durch Auflösung der Armee viel Geld
erspart, sogar eine bedeutende Einnahme erzielt werden, wenn man sie vermieten
wollte, z. B. an den Herzog von Cumberland oder an ein Konsortium in Krakau
und Lemberg; andrerseits würde ich ans viele anregende Verhandlungen in
diesem hohen Hause verzichte» müssen, und ich wüßte nicht, von welcher andern
Seite mir eine so gründliche Belehrung über militärische Angelegenheiten, für
die ich mich einigermaßen interessire, zugehen könnte, wie ich sie ans den Vor¬
tragen der Herren Richter, Bebel, Vollmar n. s. w. zu schöpfen gewohnt bin.
Es wird ja wohl nicht notwendig sein, heute noch eine Verfügung zu treffen,
aber die Anregung soll nicht verloren sein." Statt dessen sah sich der ehr¬
würdige Greis mit einer unbarmherzigen Ironie behandelt, welche ihn notwen¬
digerweise verschüchtern und ihm die Lust benehmen muß, mit großen organi¬
satorischen Ideen zum Heile des Vaterlandes hervorzutreten.

Wie soll ich mir ferner das Mißverständnis erklären, dessen Opfer der
Herr Abgeordnete Richter wurde, gerade als seine wahrhaft antike Charakter-
große strahlender denn je zuvor in die Erscheinung trat? Er rügte, daß ein
Offizier in Lauenburg versucht habe, seine Untergebenen politisch zu beeinflusse»
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/206>, abgerufen am 22.05.2024.