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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Freisinnige Sünden,

und Praktiken dieser Herren nicht mehr bedürfen, sondern diese Regelung werde
sich mit der größten Offenheit und Loyalität vor den Augen der ganzen Welt
vollziehen können. Vielleicht ist dieser glückliche Zeitpunkt sogar schon gekommen,
ohne daß die Herren Diplomaten, die nicht gern ihre Überflüssigkeit bekennen
möchten, dies gemerkt haben, und die Lösung der deutschen Frage z. B> wäre
am Ende ohne viele Spitzfindigkeiten nach der alten bewährten Methode der
Fortschrittspartei möglich gewesen.

Wie eine solche Methode der Zukunft zu denken sei, darüber kann ein Vor¬
schlag Auskunft geben, den ein früherer Parteifreund des Herrn Virchow kurz
vor dem Ausbruche des dänischen Krieges im preußischen Abgeordnetenhause
gethan hat. Dieser Vorschlag ging dahin, sich den Beistand Schwedens durch
die Überlassung des freilich erst zu erobernden Jütlands zu gewinnen, welches
man ihm ja nicht dauernd zu lassen brauche, sondern später gelegentlich wieder
wegnehmen könne. Diesem Vorschlage gegenüber bezeichnete der Ministerpräsident,
Herr von Bismarck, es als eine eigentümliche Naivität unzünftiger Politiker,
von der Tribüne aus dasjenige anzuführen, was, in dieser Weise ausgesprochen,
die empfohlene Kombination gründlich unmöglich mache. Solche Dinge, wie
die vorgeschlagenen, kämen Wohl vor, aber wenn man solche Politik treiben
wolle, so Posaune man es wenigstens nicht von der Tribüne aus.

Daß auch bei Herrn Virchow das Verständnis für die Kunst des Staats¬
mannes, wie für die derselben analog und auch häufig, z. B. schon vou Plato,
mit ihr zusammengestellte Steuermannskuust nicht viel größer war, bekundet
eine Äußerung desselben aus dem Jahre 1865 über die Politik der Regierung
in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, eine Politik, deren Erfolge damals
ziemlich deutlich vor Augen lagen und die Fürst Bismarck später selber einmal
als die glänzendste, weil vielleicht schwierigste seiner Nuhmesthaten bezeichnet
hat. Der Herr Abgeordnete warf nämlich dieser Politik vor, sie sei keine konse¬
quente gewesen und habe, je nachdem der Wind gewechselt habe, auch das Steuer¬
ruder gedreht. Worauf der Angegriffene gelassen mit der Frage erwiederte:
was man denn, wenn man zu Schiffe fahre, andres thun solle, als das Ruder
nach dem Winde drehen, wenn man nicht etwa selbst Wind machen wolle, was
er andern überlasse.

Warum wir auf diese unliebsamen und längst verjährten Geschichten zurück¬
kommen? Weil dieser durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gründlich
aosui'aum geführte und dadurch scheinbar vernichtete Dilettcmtimus erst
neuerdings wieder einmal Spuren seines immer noch fortdauernden Daseins
uns vor Augen geführt hat. Es war in jener bekannten Reichstagssitzung,
deren Datum für gewisse Leute hoffentlich stets etwas Ominöses behalten wird,
wo man es unternahm, einem Minister, der als solcher eine zwanzigjährige Er¬
fahrung für sich hat und zu dessen Fachkenutms man deshalb einiges Vertrauen
hegen darf, der aber außerdem zufälliger Weise noch die Eigentümlichkeit besitzt,


Freisinnige Sünden,

und Praktiken dieser Herren nicht mehr bedürfen, sondern diese Regelung werde
sich mit der größten Offenheit und Loyalität vor den Augen der ganzen Welt
vollziehen können. Vielleicht ist dieser glückliche Zeitpunkt sogar schon gekommen,
ohne daß die Herren Diplomaten, die nicht gern ihre Überflüssigkeit bekennen
möchten, dies gemerkt haben, und die Lösung der deutschen Frage z. B> wäre
am Ende ohne viele Spitzfindigkeiten nach der alten bewährten Methode der
Fortschrittspartei möglich gewesen.

Wie eine solche Methode der Zukunft zu denken sei, darüber kann ein Vor¬
schlag Auskunft geben, den ein früherer Parteifreund des Herrn Virchow kurz
vor dem Ausbruche des dänischen Krieges im preußischen Abgeordnetenhause
gethan hat. Dieser Vorschlag ging dahin, sich den Beistand Schwedens durch
die Überlassung des freilich erst zu erobernden Jütlands zu gewinnen, welches
man ihm ja nicht dauernd zu lassen brauche, sondern später gelegentlich wieder
wegnehmen könne. Diesem Vorschlage gegenüber bezeichnete der Ministerpräsident,
Herr von Bismarck, es als eine eigentümliche Naivität unzünftiger Politiker,
von der Tribüne aus dasjenige anzuführen, was, in dieser Weise ausgesprochen,
die empfohlene Kombination gründlich unmöglich mache. Solche Dinge, wie
die vorgeschlagenen, kämen Wohl vor, aber wenn man solche Politik treiben
wolle, so Posaune man es wenigstens nicht von der Tribüne aus.

Daß auch bei Herrn Virchow das Verständnis für die Kunst des Staats¬
mannes, wie für die derselben analog und auch häufig, z. B. schon vou Plato,
mit ihr zusammengestellte Steuermannskuust nicht viel größer war, bekundet
eine Äußerung desselben aus dem Jahre 1865 über die Politik der Regierung
in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, eine Politik, deren Erfolge damals
ziemlich deutlich vor Augen lagen und die Fürst Bismarck später selber einmal
als die glänzendste, weil vielleicht schwierigste seiner Nuhmesthaten bezeichnet
hat. Der Herr Abgeordnete warf nämlich dieser Politik vor, sie sei keine konse¬
quente gewesen und habe, je nachdem der Wind gewechselt habe, auch das Steuer¬
ruder gedreht. Worauf der Angegriffene gelassen mit der Frage erwiederte:
was man denn, wenn man zu Schiffe fahre, andres thun solle, als das Ruder
nach dem Winde drehen, wenn man nicht etwa selbst Wind machen wolle, was
er andern überlasse.

Warum wir auf diese unliebsamen und längst verjährten Geschichten zurück¬
kommen? Weil dieser durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gründlich
aosui'aum geführte und dadurch scheinbar vernichtete Dilettcmtimus erst
neuerdings wieder einmal Spuren seines immer noch fortdauernden Daseins
uns vor Augen geführt hat. Es war in jener bekannten Reichstagssitzung,
deren Datum für gewisse Leute hoffentlich stets etwas Ominöses behalten wird,
wo man es unternahm, einem Minister, der als solcher eine zwanzigjährige Er¬
fahrung für sich hat und zu dessen Fachkenutms man deshalb einiges Vertrauen
hegen darf, der aber außerdem zufälliger Weise noch die Eigentümlichkeit besitzt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/226>, abgerufen am 21.05.2024.