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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen,

Den Herren entrang sich ein unwillkürliches Ah! beim Anblick der enthüllten
Blondine, von der gleichsam ein Stern lichter Farbenstrahlen ausging. Der
Dichter sagt irgendwo:


Verklärt der schattige Hag erscheint
Durch solch ein Mädchengesicht,
Ein Sinnderwirren, wo man vermeint,
Man habe das Herz voll Licht,

Solch eine Empfindung war an den Herren der Tafelrunde bemerkbar.

Die holde Fremde wurde durch den Obersten allen vorgestellt, nur Mirbl
war zurückgeblieben und widmete der Lieblichkeit dieser Freundestochter ein weh¬
mütiges Anschauen in der Erinnerung an einstige Zeiten, in denen es sich für
ihn noch schickte, nach solcher Blume zu langen. Dabei fiel sein Auge auf den
beiseite verharrenden Studenten, den er für den Coeurbuben dieser Herzdame
nahm und zu beneiden anfing. Doch wurde er eines andern belehrt, als er
die Miene sah, mit welcher Barbara einen dreisten Blick des Burschen abwehrte.

Dieser bartumleimte, pomadisirte Geck mit weit mehr Fettleibigkeit, als
seiner Jngend anstand, war der erwähnte Pastorssohn, dem der liebreiche Vater
alsbald den Plan mit der Kunstprobe und der Theaterschule mitteilte. Hierbei
tauchte auf dem sehr abgelebten Gesichte ein sprühender Zug auf, mit welchem
er der Schauspielertvchter nahte. Der hierauf ihm zuteil gewordene Blick des
Mädchens war es, den Mirbl eben auffing. Er belächelte den verdutzten
Farbenstudcuteu; ihn selbst hob die Erwägung: so leicht waren wir auf unsrer
sieghaften Laufbahn zu Bonn nicht abzuführen.

Der Pastor führte unterdes seinen Sprossen vor den einflußreichen Mann
des Hoftheaters und knüpfte an das vorige Gespräch an, wobei ihm väterliche
Liebe und hausvätcrliche Vorsicht reichliche Worte eingaben. Der Regisseur setzte
seinerseits dem an ihn herangetretenen Vorschlage gleichfalls viel väterliche Liebe
und hausvätcrliche Vorsicht entgegen und betrachtete mit Teilnahme und Auf¬
merksamkeit den Pastorssohn.

Der Lasse Künstler? war sein erster Gedanke; dann folgte die Erwägung:
Und diesen Nichtsnutz soll ich ins Hans nehmen? etwa für Barbara?

Er klingelte unsanft, bestellte Grog, einen recht heißen, denn ihn fröstelte.

Dn wirst dich lieber zurückziehen, deutete er Barbara an, die mit Genserich
in einem Gespräch war, in welches Kautschuk Witze einstreute, die er stets zu¬
nächst selbst laut belachte. Inzwischen hatte anch die Frau Superintendent ihre
mit Archimedes geführte Unterredung beendigt. Pipin sagte nur noch: Und
Barbara, verstehst dn mich? Daß du deinen Ballstaat sogleich anlegst!

Gleich thu' ich's, lieber Vater, und gern! sagte sie beim Abschiedsknß ihm ins
Ohr; sie merkte an dem "Verstehst du mich," daß er nicht spaßte. Zudem legte sie
wirklich gern -- sie war eben erst dreiundzwanzig Jahre alt -- ihr kostbares gelb¬
seidenes Kleid an, das er besonders für das Kommilitoncufest angeschafft hatte,


Die Kommilitonen,

Den Herren entrang sich ein unwillkürliches Ah! beim Anblick der enthüllten
Blondine, von der gleichsam ein Stern lichter Farbenstrahlen ausging. Der
Dichter sagt irgendwo:


Verklärt der schattige Hag erscheint
Durch solch ein Mädchengesicht,
Ein Sinnderwirren, wo man vermeint,
Man habe das Herz voll Licht,

Solch eine Empfindung war an den Herren der Tafelrunde bemerkbar.

Die holde Fremde wurde durch den Obersten allen vorgestellt, nur Mirbl
war zurückgeblieben und widmete der Lieblichkeit dieser Freundestochter ein weh¬
mütiges Anschauen in der Erinnerung an einstige Zeiten, in denen es sich für
ihn noch schickte, nach solcher Blume zu langen. Dabei fiel sein Auge auf den
beiseite verharrenden Studenten, den er für den Coeurbuben dieser Herzdame
nahm und zu beneiden anfing. Doch wurde er eines andern belehrt, als er
die Miene sah, mit welcher Barbara einen dreisten Blick des Burschen abwehrte.

Dieser bartumleimte, pomadisirte Geck mit weit mehr Fettleibigkeit, als
seiner Jngend anstand, war der erwähnte Pastorssohn, dem der liebreiche Vater
alsbald den Plan mit der Kunstprobe und der Theaterschule mitteilte. Hierbei
tauchte auf dem sehr abgelebten Gesichte ein sprühender Zug auf, mit welchem
er der Schauspielertvchter nahte. Der hierauf ihm zuteil gewordene Blick des
Mädchens war es, den Mirbl eben auffing. Er belächelte den verdutzten
Farbenstudcuteu; ihn selbst hob die Erwägung: so leicht waren wir auf unsrer
sieghaften Laufbahn zu Bonn nicht abzuführen.

Der Pastor führte unterdes seinen Sprossen vor den einflußreichen Mann
des Hoftheaters und knüpfte an das vorige Gespräch an, wobei ihm väterliche
Liebe und hausvätcrliche Vorsicht reichliche Worte eingaben. Der Regisseur setzte
seinerseits dem an ihn herangetretenen Vorschlage gleichfalls viel väterliche Liebe
und hausvätcrliche Vorsicht entgegen und betrachtete mit Teilnahme und Auf¬
merksamkeit den Pastorssohn.

Der Lasse Künstler? war sein erster Gedanke; dann folgte die Erwägung:
Und diesen Nichtsnutz soll ich ins Hans nehmen? etwa für Barbara?

Er klingelte unsanft, bestellte Grog, einen recht heißen, denn ihn fröstelte.

Dn wirst dich lieber zurückziehen, deutete er Barbara an, die mit Genserich
in einem Gespräch war, in welches Kautschuk Witze einstreute, die er stets zu¬
nächst selbst laut belachte. Inzwischen hatte anch die Frau Superintendent ihre
mit Archimedes geführte Unterredung beendigt. Pipin sagte nur noch: Und
Barbara, verstehst dn mich? Daß du deinen Ballstaat sogleich anlegst!

Gleich thu' ich's, lieber Vater, und gern! sagte sie beim Abschiedsknß ihm ins
Ohr; sie merkte an dem „Verstehst du mich," daß er nicht spaßte. Zudem legte sie
wirklich gern — sie war eben erst dreiundzwanzig Jahre alt — ihr kostbares gelb¬
seidenes Kleid an, das er besonders für das Kommilitoncufest angeschafft hatte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/266>, abgerufen am 22.05.2024.