Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte, zu einem tratsr xeova-öl veranlaßt werden; hierauf drang besonders Gen¬
serich mit seiner Kommandeurstimme. Der Abend sollte übrigens nicht auf dem
Balle, sondern in der Pastorci zugebracht werden, wo der Jahrgang 1849 in
gemütlicher Zurückgezogenheit den Friedensschluß bei einem Glase Punsch zu
feiern gedachte.

Wie beruhigend würden diese besorgten Gesichter, ihr eifriges Hinuud-
herverhandcln auf den "blossen Heinrich" gewirkt haben! Und wenn ihm gar
dazu eine schutzgeistartige Gestalt genaht wäre, ihn mit der Hand berührt hätte --
Barbara als liebliche Friedensbotin ihm zur Seite getreten wäre! Wenn sie
die Gefühle ihm kundgegeben hätte, die sie in der Fülle ihres bcgeisternngs-
fähigen Herzens zu ihm hegte, der ihr wie ein entrückter Heros der Bered¬
samkeit und Humanität erschien! Eilt ihm nach, er hat Zuspruch nötig in
seiner Vereinsamung in der fremden Winkelgasse der einstigen Heimat) Aber
der "blasse Heinrich" blieb allein. Er stand am Ende der Neubauten vor dem
Stadtgraben, und dahinter lag die durch den Mondschein erhellte Landschaft
in welcher er sich nicht zurechtzufinden vermochte.

Heda, Alterchen! rief er ein die Stufen zu dem Eckhause hinanftappendcs
Männlein an, wo bin ich denn eigentlich hier?

Na, am Stadtgraben! gurgelte der Pfahlbürger.

Richtig, sagte der Fremde, und hier ist die Pfennigbrücke. Wo aber ist
drüben der Eichenbaum und hüben der Auenweg, und hier rechts, was ist das
für eine Baumpflanzung?

Baumpflanzung? wiederholte der Alte, das ist ja der neue Stadtpark.

Stadtpark? Hier muß doch der breite Turnplatz sein.

Hat sich was, das war vor dreißig Jahren!

soso! nun, das muß einem doch gesagt werdeu. Väterchen! Nur nichts
für ungut!

Garnichts für ungut, kam es ans dem Murrkopf freundlicher heraus, jetzt
ist hier die Gasanstalt und das Fabrikviertel, dort drüben an Stelle des Eichen-
baumes die Eisenbahn. Dann plapperte er weiter: Turnplatz? ja ja, war just
breit genug für die zweihundert Stndenter, jetzt zieht sich das schmale Land
am Ufer bis zu den Arkaden.

Danke für Auskunft! Jetzt finde ich mich schon zurecht. Hier komme ich
doch gleich zu den vier Ulmen mit der Säule?

Ach was! längst weggeputzt, murrte das Männlein; das sah zu plump
und zerrcmft aus, jetzt stehen die Rosenbuketter dort.

So sind wohl auch die Arkaden umgerissen? fuhr der "blasse Hein¬
rich" auf.

Bewahre, belehrte ihn der Einheimische; das ist königlich, das steht fest-
Nur das Städtische haben sie rattenkahl gemacht. Aber, wertester Herr, fuhr er
fort, sind wohl gar der S. Heinrich? (er nannte den Familiennamen). Die
Stimme, fügte er weinerlich hinzu, kommt mir so bekannt vor.


hatte, zu einem tratsr xeova-öl veranlaßt werden; hierauf drang besonders Gen¬
serich mit seiner Kommandeurstimme. Der Abend sollte übrigens nicht auf dem
Balle, sondern in der Pastorci zugebracht werden, wo der Jahrgang 1849 in
gemütlicher Zurückgezogenheit den Friedensschluß bei einem Glase Punsch zu
feiern gedachte.

Wie beruhigend würden diese besorgten Gesichter, ihr eifriges Hinuud-
herverhandcln auf den „blossen Heinrich" gewirkt haben! Und wenn ihm gar
dazu eine schutzgeistartige Gestalt genaht wäre, ihn mit der Hand berührt hätte —
Barbara als liebliche Friedensbotin ihm zur Seite getreten wäre! Wenn sie
die Gefühle ihm kundgegeben hätte, die sie in der Fülle ihres bcgeisternngs-
fähigen Herzens zu ihm hegte, der ihr wie ein entrückter Heros der Bered¬
samkeit und Humanität erschien! Eilt ihm nach, er hat Zuspruch nötig in
seiner Vereinsamung in der fremden Winkelgasse der einstigen Heimat) Aber
der „blasse Heinrich" blieb allein. Er stand am Ende der Neubauten vor dem
Stadtgraben, und dahinter lag die durch den Mondschein erhellte Landschaft
in welcher er sich nicht zurechtzufinden vermochte.

Heda, Alterchen! rief er ein die Stufen zu dem Eckhause hinanftappendcs
Männlein an, wo bin ich denn eigentlich hier?

Na, am Stadtgraben! gurgelte der Pfahlbürger.

Richtig, sagte der Fremde, und hier ist die Pfennigbrücke. Wo aber ist
drüben der Eichenbaum und hüben der Auenweg, und hier rechts, was ist das
für eine Baumpflanzung?

Baumpflanzung? wiederholte der Alte, das ist ja der neue Stadtpark.

Stadtpark? Hier muß doch der breite Turnplatz sein.

Hat sich was, das war vor dreißig Jahren!

soso! nun, das muß einem doch gesagt werdeu. Väterchen! Nur nichts
für ungut!

Garnichts für ungut, kam es ans dem Murrkopf freundlicher heraus, jetzt
ist hier die Gasanstalt und das Fabrikviertel, dort drüben an Stelle des Eichen-
baumes die Eisenbahn. Dann plapperte er weiter: Turnplatz? ja ja, war just
breit genug für die zweihundert Stndenter, jetzt zieht sich das schmale Land
am Ufer bis zu den Arkaden.

Danke für Auskunft! Jetzt finde ich mich schon zurecht. Hier komme ich
doch gleich zu den vier Ulmen mit der Säule?

Ach was! längst weggeputzt, murrte das Männlein; das sah zu plump
und zerrcmft aus, jetzt stehen die Rosenbuketter dort.

So sind wohl auch die Arkaden umgerissen? fuhr der „blasse Hein¬
rich" auf.

Bewahre, belehrte ihn der Einheimische; das ist königlich, das steht fest-
Nur das Städtische haben sie rattenkahl gemacht. Aber, wertester Herr, fuhr er
fort, sind wohl gar der S. Heinrich? (er nannte den Familiennamen). Die
Stimme, fügte er weinerlich hinzu, kommt mir so bekannt vor.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195004"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1150" prev="#ID_1149"> hatte, zu einem tratsr xeova-öl veranlaßt werden; hierauf drang besonders Gen¬<lb/>
serich mit seiner Kommandeurstimme. Der Abend sollte übrigens nicht auf dem<lb/>
Balle, sondern in der Pastorci zugebracht werden, wo der Jahrgang 1849 in<lb/>
gemütlicher Zurückgezogenheit den Friedensschluß bei einem Glase Punsch zu<lb/>
feiern gedachte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1151"> Wie beruhigend würden diese besorgten Gesichter, ihr eifriges Hinuud-<lb/>
herverhandcln auf den &#x201E;blossen Heinrich" gewirkt haben! Und wenn ihm gar<lb/>
dazu eine schutzgeistartige Gestalt genaht wäre, ihn mit der Hand berührt hätte &#x2014;<lb/>
Barbara als liebliche Friedensbotin ihm zur Seite getreten wäre! Wenn sie<lb/>
die Gefühle ihm kundgegeben hätte, die sie in der Fülle ihres bcgeisternngs-<lb/>
fähigen Herzens zu ihm hegte, der ihr wie ein entrückter Heros der Bered¬<lb/>
samkeit und Humanität erschien! Eilt ihm nach, er hat Zuspruch nötig in<lb/>
seiner Vereinsamung in der fremden Winkelgasse der einstigen Heimat) Aber<lb/>
der &#x201E;blasse Heinrich" blieb allein. Er stand am Ende der Neubauten vor dem<lb/>
Stadtgraben, und dahinter lag die durch den Mondschein erhellte Landschaft<lb/>
in welcher er sich nicht zurechtzufinden vermochte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1152"> Heda, Alterchen! rief er ein die Stufen zu dem Eckhause hinanftappendcs<lb/>
Männlein an, wo bin ich denn eigentlich hier?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1153"> Na, am Stadtgraben! gurgelte der Pfahlbürger.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1154"> Richtig, sagte der Fremde, und hier ist die Pfennigbrücke. Wo aber ist<lb/>
drüben der Eichenbaum und hüben der Auenweg, und hier rechts, was ist das<lb/>
für eine Baumpflanzung?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1155"> Baumpflanzung? wiederholte der Alte, das ist ja der neue Stadtpark.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1156"> Stadtpark? Hier muß doch der breite Turnplatz sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1157"> Hat sich was, das war vor dreißig Jahren!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1158"> soso! nun, das muß einem doch gesagt werdeu. Väterchen! Nur nichts<lb/>
für ungut!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1159"> Garnichts für ungut, kam es ans dem Murrkopf freundlicher heraus, jetzt<lb/>
ist hier die Gasanstalt und das Fabrikviertel, dort drüben an Stelle des Eichen-<lb/>
baumes die Eisenbahn. Dann plapperte er weiter: Turnplatz? ja ja, war just<lb/>
breit genug für die zweihundert Stndenter, jetzt zieht sich das schmale Land<lb/>
am Ufer bis zu den Arkaden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1160"> Danke für Auskunft! Jetzt finde ich mich schon zurecht. Hier komme ich<lb/>
doch gleich zu den vier Ulmen mit der Säule?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1161"> Ach was! längst weggeputzt, murrte das Männlein; das sah zu plump<lb/>
und zerrcmft aus, jetzt stehen die Rosenbuketter dort.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1162"> So sind wohl auch die Arkaden umgerissen? fuhr der &#x201E;blasse Hein¬<lb/>
rich" auf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1163"> Bewahre, belehrte ihn der Einheimische; das ist königlich, das steht fest-<lb/>
Nur das Städtische haben sie rattenkahl gemacht. Aber, wertester Herr, fuhr er<lb/>
fort, sind wohl gar der S. Heinrich? (er nannte den Familiennamen). Die<lb/>
Stimme, fügte er weinerlich hinzu, kommt mir so bekannt vor.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0328] hatte, zu einem tratsr xeova-öl veranlaßt werden; hierauf drang besonders Gen¬ serich mit seiner Kommandeurstimme. Der Abend sollte übrigens nicht auf dem Balle, sondern in der Pastorci zugebracht werden, wo der Jahrgang 1849 in gemütlicher Zurückgezogenheit den Friedensschluß bei einem Glase Punsch zu feiern gedachte. Wie beruhigend würden diese besorgten Gesichter, ihr eifriges Hinuud- herverhandcln auf den „blossen Heinrich" gewirkt haben! Und wenn ihm gar dazu eine schutzgeistartige Gestalt genaht wäre, ihn mit der Hand berührt hätte — Barbara als liebliche Friedensbotin ihm zur Seite getreten wäre! Wenn sie die Gefühle ihm kundgegeben hätte, die sie in der Fülle ihres bcgeisternngs- fähigen Herzens zu ihm hegte, der ihr wie ein entrückter Heros der Bered¬ samkeit und Humanität erschien! Eilt ihm nach, er hat Zuspruch nötig in seiner Vereinsamung in der fremden Winkelgasse der einstigen Heimat) Aber der „blasse Heinrich" blieb allein. Er stand am Ende der Neubauten vor dem Stadtgraben, und dahinter lag die durch den Mondschein erhellte Landschaft in welcher er sich nicht zurechtzufinden vermochte. Heda, Alterchen! rief er ein die Stufen zu dem Eckhause hinanftappendcs Männlein an, wo bin ich denn eigentlich hier? Na, am Stadtgraben! gurgelte der Pfahlbürger. Richtig, sagte der Fremde, und hier ist die Pfennigbrücke. Wo aber ist drüben der Eichenbaum und hüben der Auenweg, und hier rechts, was ist das für eine Baumpflanzung? Baumpflanzung? wiederholte der Alte, das ist ja der neue Stadtpark. Stadtpark? Hier muß doch der breite Turnplatz sein. Hat sich was, das war vor dreißig Jahren! soso! nun, das muß einem doch gesagt werdeu. Väterchen! Nur nichts für ungut! Garnichts für ungut, kam es ans dem Murrkopf freundlicher heraus, jetzt ist hier die Gasanstalt und das Fabrikviertel, dort drüben an Stelle des Eichen- baumes die Eisenbahn. Dann plapperte er weiter: Turnplatz? ja ja, war just breit genug für die zweihundert Stndenter, jetzt zieht sich das schmale Land am Ufer bis zu den Arkaden. Danke für Auskunft! Jetzt finde ich mich schon zurecht. Hier komme ich doch gleich zu den vier Ulmen mit der Säule? Ach was! längst weggeputzt, murrte das Männlein; das sah zu plump und zerrcmft aus, jetzt stehen die Rosenbuketter dort. So sind wohl auch die Arkaden umgerissen? fuhr der „blasse Hein¬ rich" auf. Bewahre, belehrte ihn der Einheimische; das ist königlich, das steht fest- Nur das Städtische haben sie rattenkahl gemacht. Aber, wertester Herr, fuhr er fort, sind wohl gar der S. Heinrich? (er nannte den Familiennamen). Die Stimme, fügte er weinerlich hinzu, kommt mir so bekannt vor.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/328
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/328>, abgerufen am 21.05.2024.