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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Friedrich Hebbels Tagebücher.

die Veröffentlichung dieser Tagebücher in allem Betracht zu früh kaurn. Das
Wort, das in Hebbels "Nibelungen" König Günther dem trotzigen Hagen ent¬
gegenruft, daß er das kümmerliche Grün zertrete, welches eine blutige Gruft
bespvmien habe, wird, fürchten wir, Anwendung auf diese Herausgabe finden.
Das Bild Friedrich Hebbels mit allen Runzeln und Stirnfalten kann ja gar
nicht heraufbeschworen werde", ohne auf der Stelle kaum verstummte wilde Ge
hässigkeiten, den bittersten Hader um sein in mehr als einem Sinne unseliges
Lebensgeschick und eine durch dieses Geschick herb gewordene Anschauung, ohne
das ganze widerwärtige Schauspiel mit heraufzubeschwören, daß sich Ohnmacht
und Anmaßung des Dilettantismus, die Frivolität der gemeinsten Journalistik,
wohlmeinende Beschränktheit und höchste ethische Forderungen, ein allzuengeS
Schönheitsgefühl und ein Realismus, der jedes gedankliche Element in der
Poesie beargwöhnt, zur Bekämpfung eines mächtig beanlagten, tiefernsten, redlich
nach Wahrheit ringenden, aber mit schweren Mängeln und mit entstellenden
Narben aus einer allzuheißeu Lebcusschlacht gezeichneten Dichters verbünden.
Seit Friedrich Hebbels frühem Tode sind genau einundzwanzig Jahre, seit dem
Erscheinen der Biographie Hebbels von Emil Kuh noch nicht ganze zehn Jahre
verstrichen. Der Staub, der bei beiden Anlässen und namentlich bei dein
letzteren aufgewirbelt worden war, begann sich eben zu legen. Die Vorher-
sagungen, daß in drei oder vier oder fünf Jahren kein Mensch mehr von diesem
Dichter nud seinen widerwärtigen, renommistischen Fratzen spreche" werde, habe"
sich weder seit dem Tode.Hebbels "och seit der großen "Hetz," zu welcher das
bedeutende, aber unerquickliche Kuhsche Buch Veranlassung gegeben, bewahrheitet.
Hütte man noch ein Menschenalter, noch dreißig Jahre etwa hingehen lassen,
so würden die Hebbelschen Tagebücher ein Geschlecht vorgefunden haben, dem
der Name Hebbels erklunge" wäre, wie uns die Namen Heinrich von Kleist
oder Hölderlin erklingen. Niemand sieht populäre Dichter in ihnen oder er¬
wartet, daß sie je solche werden konnten. Niemand vergleicht die Wirkungen,
die sie geübt, mit den Wirkungen, die von Lessing, Goethe oder Schiller aus¬
gegangen sind. Niemand aber auch, der auf Bildung Anspruch erhebt, zieht
die subjektive Bedeutung ihrer Naturen, zieht die Thatsache in Zweifel, daß sie
ein Lcbensrecht in der Geschichte unsrer Dichtung und nationalen Bildung er¬
worben haben, niemand erwartet, daß ihre besten Leistungen jemals werden in
jenen Kehricht der Literatur geworfen werden, welchem weder lebendig genießende
noch historische Teilnahme gebührt. Den Eintritt dieser Situation hätte man
nach unserm Erachten für die Veröffentlichung der Tagebücher Hebbels ab¬
warten sollen. Für die Zahl derjenige", welche überzeugt Ware", daß die
de"tsche Literatur in Hebbel ein wahrhaft produktives, wem, auch sprödes Talent
und einen Dichter von höchster Auffassung seines Berufes besessen und verloren
habe, bedürfte es des Erscheinens der "Tagebücher," so bedeutsam, tief und
wertvoll sie auch siud, keineswegs, um sie über die volle Bedeutung des Mannes


Friedrich Hebbels Tagebücher.

die Veröffentlichung dieser Tagebücher in allem Betracht zu früh kaurn. Das
Wort, das in Hebbels „Nibelungen" König Günther dem trotzigen Hagen ent¬
gegenruft, daß er das kümmerliche Grün zertrete, welches eine blutige Gruft
bespvmien habe, wird, fürchten wir, Anwendung auf diese Herausgabe finden.
Das Bild Friedrich Hebbels mit allen Runzeln und Stirnfalten kann ja gar
nicht heraufbeschworen werde», ohne auf der Stelle kaum verstummte wilde Ge
hässigkeiten, den bittersten Hader um sein in mehr als einem Sinne unseliges
Lebensgeschick und eine durch dieses Geschick herb gewordene Anschauung, ohne
das ganze widerwärtige Schauspiel mit heraufzubeschwören, daß sich Ohnmacht
und Anmaßung des Dilettantismus, die Frivolität der gemeinsten Journalistik,
wohlmeinende Beschränktheit und höchste ethische Forderungen, ein allzuengeS
Schönheitsgefühl und ein Realismus, der jedes gedankliche Element in der
Poesie beargwöhnt, zur Bekämpfung eines mächtig beanlagten, tiefernsten, redlich
nach Wahrheit ringenden, aber mit schweren Mängeln und mit entstellenden
Narben aus einer allzuheißeu Lebcusschlacht gezeichneten Dichters verbünden.
Seit Friedrich Hebbels frühem Tode sind genau einundzwanzig Jahre, seit dem
Erscheinen der Biographie Hebbels von Emil Kuh noch nicht ganze zehn Jahre
verstrichen. Der Staub, der bei beiden Anlässen und namentlich bei dein
letzteren aufgewirbelt worden war, begann sich eben zu legen. Die Vorher-
sagungen, daß in drei oder vier oder fünf Jahren kein Mensch mehr von diesem
Dichter nud seinen widerwärtigen, renommistischen Fratzen spreche» werde, habe»
sich weder seit dem Tode.Hebbels »och seit der großen „Hetz," zu welcher das
bedeutende, aber unerquickliche Kuhsche Buch Veranlassung gegeben, bewahrheitet.
Hütte man noch ein Menschenalter, noch dreißig Jahre etwa hingehen lassen,
so würden die Hebbelschen Tagebücher ein Geschlecht vorgefunden haben, dem
der Name Hebbels erklunge» wäre, wie uns die Namen Heinrich von Kleist
oder Hölderlin erklingen. Niemand sieht populäre Dichter in ihnen oder er¬
wartet, daß sie je solche werden konnten. Niemand vergleicht die Wirkungen,
die sie geübt, mit den Wirkungen, die von Lessing, Goethe oder Schiller aus¬
gegangen sind. Niemand aber auch, der auf Bildung Anspruch erhebt, zieht
die subjektive Bedeutung ihrer Naturen, zieht die Thatsache in Zweifel, daß sie
ein Lcbensrecht in der Geschichte unsrer Dichtung und nationalen Bildung er¬
worben haben, niemand erwartet, daß ihre besten Leistungen jemals werden in
jenen Kehricht der Literatur geworfen werden, welchem weder lebendig genießende
noch historische Teilnahme gebührt. Den Eintritt dieser Situation hätte man
nach unserm Erachten für die Veröffentlichung der Tagebücher Hebbels ab¬
warten sollen. Für die Zahl derjenige», welche überzeugt Ware», daß die
de»tsche Literatur in Hebbel ein wahrhaft produktives, wem, auch sprödes Talent
und einen Dichter von höchster Auffassung seines Berufes besessen und verloren
habe, bedürfte es des Erscheinens der „Tagebücher," so bedeutsam, tief und
wertvoll sie auch siud, keineswegs, um sie über die volle Bedeutung des Mannes


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[0035] Friedrich Hebbels Tagebücher. die Veröffentlichung dieser Tagebücher in allem Betracht zu früh kaurn. Das Wort, das in Hebbels „Nibelungen" König Günther dem trotzigen Hagen ent¬ gegenruft, daß er das kümmerliche Grün zertrete, welches eine blutige Gruft bespvmien habe, wird, fürchten wir, Anwendung auf diese Herausgabe finden. Das Bild Friedrich Hebbels mit allen Runzeln und Stirnfalten kann ja gar nicht heraufbeschworen werde», ohne auf der Stelle kaum verstummte wilde Ge hässigkeiten, den bittersten Hader um sein in mehr als einem Sinne unseliges Lebensgeschick und eine durch dieses Geschick herb gewordene Anschauung, ohne das ganze widerwärtige Schauspiel mit heraufzubeschwören, daß sich Ohnmacht und Anmaßung des Dilettantismus, die Frivolität der gemeinsten Journalistik, wohlmeinende Beschränktheit und höchste ethische Forderungen, ein allzuengeS Schönheitsgefühl und ein Realismus, der jedes gedankliche Element in der Poesie beargwöhnt, zur Bekämpfung eines mächtig beanlagten, tiefernsten, redlich nach Wahrheit ringenden, aber mit schweren Mängeln und mit entstellenden Narben aus einer allzuheißeu Lebcusschlacht gezeichneten Dichters verbünden. Seit Friedrich Hebbels frühem Tode sind genau einundzwanzig Jahre, seit dem Erscheinen der Biographie Hebbels von Emil Kuh noch nicht ganze zehn Jahre verstrichen. Der Staub, der bei beiden Anlässen und namentlich bei dein letzteren aufgewirbelt worden war, begann sich eben zu legen. Die Vorher- sagungen, daß in drei oder vier oder fünf Jahren kein Mensch mehr von diesem Dichter nud seinen widerwärtigen, renommistischen Fratzen spreche» werde, habe» sich weder seit dem Tode.Hebbels »och seit der großen „Hetz," zu welcher das bedeutende, aber unerquickliche Kuhsche Buch Veranlassung gegeben, bewahrheitet. Hütte man noch ein Menschenalter, noch dreißig Jahre etwa hingehen lassen, so würden die Hebbelschen Tagebücher ein Geschlecht vorgefunden haben, dem der Name Hebbels erklunge» wäre, wie uns die Namen Heinrich von Kleist oder Hölderlin erklingen. Niemand sieht populäre Dichter in ihnen oder er¬ wartet, daß sie je solche werden konnten. Niemand vergleicht die Wirkungen, die sie geübt, mit den Wirkungen, die von Lessing, Goethe oder Schiller aus¬ gegangen sind. Niemand aber auch, der auf Bildung Anspruch erhebt, zieht die subjektive Bedeutung ihrer Naturen, zieht die Thatsache in Zweifel, daß sie ein Lcbensrecht in der Geschichte unsrer Dichtung und nationalen Bildung er¬ worben haben, niemand erwartet, daß ihre besten Leistungen jemals werden in jenen Kehricht der Literatur geworfen werden, welchem weder lebendig genießende noch historische Teilnahme gebührt. Den Eintritt dieser Situation hätte man nach unserm Erachten für die Veröffentlichung der Tagebücher Hebbels ab¬ warten sollen. Für die Zahl derjenige», welche überzeugt Ware», daß die de»tsche Literatur in Hebbel ein wahrhaft produktives, wem, auch sprödes Talent und einen Dichter von höchster Auffassung seines Berufes besessen und verloren habe, bedürfte es des Erscheinens der „Tagebücher," so bedeutsam, tief und wertvoll sie auch siud, keineswegs, um sie über die volle Bedeutung des Mannes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/35>, abgerufen am 21.05.2024.