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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Friedrich Hebbels Tagebücher.

leidignng für sich selbst erblicken, sind nur die Erben etwas verschämterer
Gesinnungsgenossen einer vergangnen Periode. Eine poetische Natur, für welche
das wahrhafte Talent das ein und alles war, die keinen Ersatz für die ur¬
sprüngliche Begabung im Fleiß, im Studium, in der Geschicklichkeit und der
mehr oder minder starken Nachempfindung wirklich schaffender Naturen erblickte,
dünkte schon den Hamburger Literaten von 1848 unerträglich. Die bis zum
Peinlichen und Grausamen gehende Selbstkritik, welche Friedrich Hebbel, wie
anch diese "Tagebücher" wieder erweisen, an sich ausübte, war der genügsamen
und jederzeit selbstzufriednem Oberflächlichkeit an sich fremd. Da die Selbst¬
kritik unglücklicherweise keine Bürgschaft für das höchste Gelingen ii? sich
schloß -- denn auch der mit sich am strengsten ins Gericht gehende kann nur
den Ernst und die Lauterkeit seiner Gesinnung, die Wahrheit und Konsequenz
seines Gestaltens, die innere Notwendigkeit und Sicherheit seiner künstlerischen
Formgebung sich selbst zum Bewußtsein bringen und bleibt im Dunkeln darüber,
ob das, was für ihn individuelle Wahrheit ist, auch andre als Wahrheit berührt
und ergreift --, so ward sie von Andersgearteten lediglich als eine Selbst-
quülerei oder noch schlimmer als ein unverzeihlicher Hochmut betrachtet. Wer
besser sein will als seine Nachbarn, verdient bekanntlich immer gesteinigt zu
werden, und so stand ein Dichter wie Hebbel, der es sehr ernst mit der Kunst
und mit dein Beruf zur Kunst nahm, frühzeitig isolirt. Hebbel war mit seinen
Anschauungen und seinen Forderungen an sich selbst in eine Zeit hineingeboren,
in welcher es schon als Größenwahnsinn galt, überhaupt etwas Höheres zu
wollen, als die Befriedigung entweder der Oppvsitivns- oder der Unterhaltungslust
für andre und des äußerlichsten Ehrgeizes sür sich, eine Zeit, die wohl politisches,
aber kein poetisches Pathos zu ehren verstand und auf dieses NichtVerständnis
noch stolz war. Er war der poetische Zeuge gewaltiger sozialer Kämpfe, von denen
diejenigen, die mitten in ihnen standen, am wenigsten wissen wollten und deren
Widerspiegelung in der Dichtung zumeist peinliche Empfindungen erregte. Das
alles wurde gegen ihn angewendet und die zwei Jahrzehnte, die seit Hebbels
Tode verflossen sind, haben sicher noch nicht hingereicht, um eine größere Un¬
befangenheit für die Beurteilung seiner Erscheinung zu schaffen.

Jeder Blick, den wir vorläufig in Hebbels "Tagebücher" werfen, belehrt
uns, daß es sehr kleine Kreise sind, welche von diesem Buche Notiz nehmen,
und noch kleinere, welche ihm ein teilnehmendes Verständnis entgegenbringen
werden. Die Stellung des Dichters, welcher, auf Leben und Tod an die
Wahrheit seiner schwerflüssigen und wenig glücklichen Natur gebunden, die
möglichste Steigerung und Läuterung dieser Natur suchte, in der jungdeutschen
und der politisch tendenziösen Periode unsrer Literatur war schlecht genug, sie
würde (die äußerliche Wirkung eines langen Dichterlebens, persönlicher Be¬
ziehungen und Auszeichnungen beiseite gesetzt) heute kaum günstiger sein.
Wohl scheint die gegenwärtig vorherrschende Auffassung der ersten und letzten


Grenzlwten I. 1L8.V 4
Friedrich Hebbels Tagebücher.

leidignng für sich selbst erblicken, sind nur die Erben etwas verschämterer
Gesinnungsgenossen einer vergangnen Periode. Eine poetische Natur, für welche
das wahrhafte Talent das ein und alles war, die keinen Ersatz für die ur¬
sprüngliche Begabung im Fleiß, im Studium, in der Geschicklichkeit und der
mehr oder minder starken Nachempfindung wirklich schaffender Naturen erblickte,
dünkte schon den Hamburger Literaten von 1848 unerträglich. Die bis zum
Peinlichen und Grausamen gehende Selbstkritik, welche Friedrich Hebbel, wie
anch diese „Tagebücher" wieder erweisen, an sich ausübte, war der genügsamen
und jederzeit selbstzufriednem Oberflächlichkeit an sich fremd. Da die Selbst¬
kritik unglücklicherweise keine Bürgschaft für das höchste Gelingen ii? sich
schloß — denn auch der mit sich am strengsten ins Gericht gehende kann nur
den Ernst und die Lauterkeit seiner Gesinnung, die Wahrheit und Konsequenz
seines Gestaltens, die innere Notwendigkeit und Sicherheit seiner künstlerischen
Formgebung sich selbst zum Bewußtsein bringen und bleibt im Dunkeln darüber,
ob das, was für ihn individuelle Wahrheit ist, auch andre als Wahrheit berührt
und ergreift —, so ward sie von Andersgearteten lediglich als eine Selbst-
quülerei oder noch schlimmer als ein unverzeihlicher Hochmut betrachtet. Wer
besser sein will als seine Nachbarn, verdient bekanntlich immer gesteinigt zu
werden, und so stand ein Dichter wie Hebbel, der es sehr ernst mit der Kunst
und mit dein Beruf zur Kunst nahm, frühzeitig isolirt. Hebbel war mit seinen
Anschauungen und seinen Forderungen an sich selbst in eine Zeit hineingeboren,
in welcher es schon als Größenwahnsinn galt, überhaupt etwas Höheres zu
wollen, als die Befriedigung entweder der Oppvsitivns- oder der Unterhaltungslust
für andre und des äußerlichsten Ehrgeizes sür sich, eine Zeit, die wohl politisches,
aber kein poetisches Pathos zu ehren verstand und auf dieses NichtVerständnis
noch stolz war. Er war der poetische Zeuge gewaltiger sozialer Kämpfe, von denen
diejenigen, die mitten in ihnen standen, am wenigsten wissen wollten und deren
Widerspiegelung in der Dichtung zumeist peinliche Empfindungen erregte. Das
alles wurde gegen ihn angewendet und die zwei Jahrzehnte, die seit Hebbels
Tode verflossen sind, haben sicher noch nicht hingereicht, um eine größere Un¬
befangenheit für die Beurteilung seiner Erscheinung zu schaffen.

Jeder Blick, den wir vorläufig in Hebbels „Tagebücher" werfen, belehrt
uns, daß es sehr kleine Kreise sind, welche von diesem Buche Notiz nehmen,
und noch kleinere, welche ihm ein teilnehmendes Verständnis entgegenbringen
werden. Die Stellung des Dichters, welcher, auf Leben und Tod an die
Wahrheit seiner schwerflüssigen und wenig glücklichen Natur gebunden, die
möglichste Steigerung und Läuterung dieser Natur suchte, in der jungdeutschen
und der politisch tendenziösen Periode unsrer Literatur war schlecht genug, sie
würde (die äußerliche Wirkung eines langen Dichterlebens, persönlicher Be¬
ziehungen und Auszeichnungen beiseite gesetzt) heute kaum günstiger sein.
Wohl scheint die gegenwärtig vorherrschende Auffassung der ersten und letzten


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[0037] Friedrich Hebbels Tagebücher. leidignng für sich selbst erblicken, sind nur die Erben etwas verschämterer Gesinnungsgenossen einer vergangnen Periode. Eine poetische Natur, für welche das wahrhafte Talent das ein und alles war, die keinen Ersatz für die ur¬ sprüngliche Begabung im Fleiß, im Studium, in der Geschicklichkeit und der mehr oder minder starken Nachempfindung wirklich schaffender Naturen erblickte, dünkte schon den Hamburger Literaten von 1848 unerträglich. Die bis zum Peinlichen und Grausamen gehende Selbstkritik, welche Friedrich Hebbel, wie anch diese „Tagebücher" wieder erweisen, an sich ausübte, war der genügsamen und jederzeit selbstzufriednem Oberflächlichkeit an sich fremd. Da die Selbst¬ kritik unglücklicherweise keine Bürgschaft für das höchste Gelingen ii? sich schloß — denn auch der mit sich am strengsten ins Gericht gehende kann nur den Ernst und die Lauterkeit seiner Gesinnung, die Wahrheit und Konsequenz seines Gestaltens, die innere Notwendigkeit und Sicherheit seiner künstlerischen Formgebung sich selbst zum Bewußtsein bringen und bleibt im Dunkeln darüber, ob das, was für ihn individuelle Wahrheit ist, auch andre als Wahrheit berührt und ergreift —, so ward sie von Andersgearteten lediglich als eine Selbst- quülerei oder noch schlimmer als ein unverzeihlicher Hochmut betrachtet. Wer besser sein will als seine Nachbarn, verdient bekanntlich immer gesteinigt zu werden, und so stand ein Dichter wie Hebbel, der es sehr ernst mit der Kunst und mit dein Beruf zur Kunst nahm, frühzeitig isolirt. Hebbel war mit seinen Anschauungen und seinen Forderungen an sich selbst in eine Zeit hineingeboren, in welcher es schon als Größenwahnsinn galt, überhaupt etwas Höheres zu wollen, als die Befriedigung entweder der Oppvsitivns- oder der Unterhaltungslust für andre und des äußerlichsten Ehrgeizes sür sich, eine Zeit, die wohl politisches, aber kein poetisches Pathos zu ehren verstand und auf dieses NichtVerständnis noch stolz war. Er war der poetische Zeuge gewaltiger sozialer Kämpfe, von denen diejenigen, die mitten in ihnen standen, am wenigsten wissen wollten und deren Widerspiegelung in der Dichtung zumeist peinliche Empfindungen erregte. Das alles wurde gegen ihn angewendet und die zwei Jahrzehnte, die seit Hebbels Tode verflossen sind, haben sicher noch nicht hingereicht, um eine größere Un¬ befangenheit für die Beurteilung seiner Erscheinung zu schaffen. Jeder Blick, den wir vorläufig in Hebbels „Tagebücher" werfen, belehrt uns, daß es sehr kleine Kreise sind, welche von diesem Buche Notiz nehmen, und noch kleinere, welche ihm ein teilnehmendes Verständnis entgegenbringen werden. Die Stellung des Dichters, welcher, auf Leben und Tod an die Wahrheit seiner schwerflüssigen und wenig glücklichen Natur gebunden, die möglichste Steigerung und Läuterung dieser Natur suchte, in der jungdeutschen und der politisch tendenziösen Periode unsrer Literatur war schlecht genug, sie würde (die äußerliche Wirkung eines langen Dichterlebens, persönlicher Be¬ ziehungen und Auszeichnungen beiseite gesetzt) heute kaum günstiger sein. Wohl scheint die gegenwärtig vorherrschende Auffassung der ersten und letzten Grenzlwten I. 1L8.V 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/37>, abgerufen am 21.05.2024.