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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Aommilitoncn.

So hatte ich doch wieder Recht, eiferte Cohn.

Bald darauf traten alle Vier in die Musikhalle des Klostergebäudes, die
für die Schlußfcier des Schulfestes ausersehen war. Es war ein gothisch
gewölbter Saal mit großen Spitzbogenfenstern; Kronleuchter an der Decke und
Wandleuchter an den Seitenwänden aus Eicheuastwcrk hergestellt, gaben dem
weiten Raume ausreichende Beleuchtung; an der einen Querwand war das
Katheder mit Auftritt, an der entgegengesetzten die Orgel. Davor war freier
Raum gelassen, im übrigen füllten Stühle und Baute für die Zuhörer den
Saal. Die ganze Herrichtung erschien geschmackvoll, der altehrwürdige Raum
wie dazu erlesen, deu Abschluß des Schulfestes zum wirkungsvollsten zu gestalten.

Der vier Eingetretenen bemächtigte sich sogleich das herandrängende Lehrer¬
kollegium, vor allem der Direktor, der seine Freude über das rechtzeitige Ein¬
treffen des "blassen Heinrich" Ausdruck gab. Es habe in doppelter Beziehung,
sagte er, um die projektirte Schlnßfeicr ungünstig ausgesehen: Erstens habe sich
ein Gerücht über "plötzliche Behinderung" verbreitet. Diese Hanptbesorgnis sei
nun gehoben; von der "gefänglichen Beigabe" -- so drückte der Herr Rektor sich
wirklich aus -- könne eher abgesehen werden. Der Orgelspieler nämlich sei
abhanden gekommen; der hierzu allein befähigte, ein sekundärer, der Sohn
des Organisten, habe sich in sträflicher Weife untauglich gemacht, der Vater
desselben den Kopf verloren; der Organist der andern Kirche aber verweigere
unter Ausflüchten seinen Beistand, als kenne er diese Orgel nicht.

Alles dies teilte der Festordner mit, und man merkte ihm an, wie ungern
er von dieser musikalischen Ausschmückung des Festes Abstand nahm.

Barbara richtete ihre Blicke fragend auf den Vater, und ihre Lippen
flüsterten: Vater, darf ich mich anbieten?

Warum nicht, Barbara? sagte er zur Seite gewandt mit Hast, indem er
offenbar sehr gern ihrem Verlangen zu Hilfe kam, denn es war ihm hocher¬
wünscht, die Kunstfertigkeit seiner Tochter zugleich mit ihrer im Bnllstaate
prangenden Gestalt in diesem günstigsten Momente zur Geltung zu bringen.
Er teilte also dem Ghmnasialdircktor mit, daß seine Tochter in dem Spiel
verschiedener Instrumente, insbesondere auch im Orgelspiel, ausgebildet sei, und
daß sie ihm soeben ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen habe, die entstandene
Lücke auszufüllen. Dabei trat er an Barbara heran, welche sich hinter ihn
zurückgezogen hatte, und hieß die Zögernde vorgehen.

Der Direktor machte der jungen Dame eine Verbeugung, worin Staunen
und Hoffen, Steifheit und Leutseligkeit um die Herrschaft rangen, und reichte
ihr ein Notenheft. Sie nahm das Heft ohne Ziererei in die Hand und sagte,
nachdem sie einen Blick hineingeworfen, daß sie sehr gern eintrete, zumal da sie
die Psalmpartitur wohl kenne.

Hiermit schien dem Ghmuasialdirektor auch der letzte Zweifel über den
gemachten Vorschlag zu schwinden, und vollends stimmte Barbaras Erscheinung


Die Aommilitoncn.

So hatte ich doch wieder Recht, eiferte Cohn.

Bald darauf traten alle Vier in die Musikhalle des Klostergebäudes, die
für die Schlußfcier des Schulfestes ausersehen war. Es war ein gothisch
gewölbter Saal mit großen Spitzbogenfenstern; Kronleuchter an der Decke und
Wandleuchter an den Seitenwänden aus Eicheuastwcrk hergestellt, gaben dem
weiten Raume ausreichende Beleuchtung; an der einen Querwand war das
Katheder mit Auftritt, an der entgegengesetzten die Orgel. Davor war freier
Raum gelassen, im übrigen füllten Stühle und Baute für die Zuhörer den
Saal. Die ganze Herrichtung erschien geschmackvoll, der altehrwürdige Raum
wie dazu erlesen, deu Abschluß des Schulfestes zum wirkungsvollsten zu gestalten.

Der vier Eingetretenen bemächtigte sich sogleich das herandrängende Lehrer¬
kollegium, vor allem der Direktor, der seine Freude über das rechtzeitige Ein¬
treffen des „blassen Heinrich" Ausdruck gab. Es habe in doppelter Beziehung,
sagte er, um die projektirte Schlnßfeicr ungünstig ausgesehen: Erstens habe sich
ein Gerücht über „plötzliche Behinderung" verbreitet. Diese Hanptbesorgnis sei
nun gehoben; von der „gefänglichen Beigabe" — so drückte der Herr Rektor sich
wirklich aus — könne eher abgesehen werden. Der Orgelspieler nämlich sei
abhanden gekommen; der hierzu allein befähigte, ein sekundärer, der Sohn
des Organisten, habe sich in sträflicher Weife untauglich gemacht, der Vater
desselben den Kopf verloren; der Organist der andern Kirche aber verweigere
unter Ausflüchten seinen Beistand, als kenne er diese Orgel nicht.

Alles dies teilte der Festordner mit, und man merkte ihm an, wie ungern
er von dieser musikalischen Ausschmückung des Festes Abstand nahm.

Barbara richtete ihre Blicke fragend auf den Vater, und ihre Lippen
flüsterten: Vater, darf ich mich anbieten?

Warum nicht, Barbara? sagte er zur Seite gewandt mit Hast, indem er
offenbar sehr gern ihrem Verlangen zu Hilfe kam, denn es war ihm hocher¬
wünscht, die Kunstfertigkeit seiner Tochter zugleich mit ihrer im Bnllstaate
prangenden Gestalt in diesem günstigsten Momente zur Geltung zu bringen.
Er teilte also dem Ghmnasialdircktor mit, daß seine Tochter in dem Spiel
verschiedener Instrumente, insbesondere auch im Orgelspiel, ausgebildet sei, und
daß sie ihm soeben ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen habe, die entstandene
Lücke auszufüllen. Dabei trat er an Barbara heran, welche sich hinter ihn
zurückgezogen hatte, und hieß die Zögernde vorgehen.

Der Direktor machte der jungen Dame eine Verbeugung, worin Staunen
und Hoffen, Steifheit und Leutseligkeit um die Herrschaft rangen, und reichte
ihr ein Notenheft. Sie nahm das Heft ohne Ziererei in die Hand und sagte,
nachdem sie einen Blick hineingeworfen, daß sie sehr gern eintrete, zumal da sie
die Psalmpartitur wohl kenne.

Hiermit schien dem Ghmuasialdirektor auch der letzte Zweifel über den
gemachten Vorschlag zu schwinden, und vollends stimmte Barbaras Erscheinung


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[0374] Die Aommilitoncn. So hatte ich doch wieder Recht, eiferte Cohn. Bald darauf traten alle Vier in die Musikhalle des Klostergebäudes, die für die Schlußfcier des Schulfestes ausersehen war. Es war ein gothisch gewölbter Saal mit großen Spitzbogenfenstern; Kronleuchter an der Decke und Wandleuchter an den Seitenwänden aus Eicheuastwcrk hergestellt, gaben dem weiten Raume ausreichende Beleuchtung; an der einen Querwand war das Katheder mit Auftritt, an der entgegengesetzten die Orgel. Davor war freier Raum gelassen, im übrigen füllten Stühle und Baute für die Zuhörer den Saal. Die ganze Herrichtung erschien geschmackvoll, der altehrwürdige Raum wie dazu erlesen, deu Abschluß des Schulfestes zum wirkungsvollsten zu gestalten. Der vier Eingetretenen bemächtigte sich sogleich das herandrängende Lehrer¬ kollegium, vor allem der Direktor, der seine Freude über das rechtzeitige Ein¬ treffen des „blassen Heinrich" Ausdruck gab. Es habe in doppelter Beziehung, sagte er, um die projektirte Schlnßfeicr ungünstig ausgesehen: Erstens habe sich ein Gerücht über „plötzliche Behinderung" verbreitet. Diese Hanptbesorgnis sei nun gehoben; von der „gefänglichen Beigabe" — so drückte der Herr Rektor sich wirklich aus — könne eher abgesehen werden. Der Orgelspieler nämlich sei abhanden gekommen; der hierzu allein befähigte, ein sekundärer, der Sohn des Organisten, habe sich in sträflicher Weife untauglich gemacht, der Vater desselben den Kopf verloren; der Organist der andern Kirche aber verweigere unter Ausflüchten seinen Beistand, als kenne er diese Orgel nicht. Alles dies teilte der Festordner mit, und man merkte ihm an, wie ungern er von dieser musikalischen Ausschmückung des Festes Abstand nahm. Barbara richtete ihre Blicke fragend auf den Vater, und ihre Lippen flüsterten: Vater, darf ich mich anbieten? Warum nicht, Barbara? sagte er zur Seite gewandt mit Hast, indem er offenbar sehr gern ihrem Verlangen zu Hilfe kam, denn es war ihm hocher¬ wünscht, die Kunstfertigkeit seiner Tochter zugleich mit ihrer im Bnllstaate prangenden Gestalt in diesem günstigsten Momente zur Geltung zu bringen. Er teilte also dem Ghmnasialdircktor mit, daß seine Tochter in dem Spiel verschiedener Instrumente, insbesondere auch im Orgelspiel, ausgebildet sei, und daß sie ihm soeben ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen habe, die entstandene Lücke auszufüllen. Dabei trat er an Barbara heran, welche sich hinter ihn zurückgezogen hatte, und hieß die Zögernde vorgehen. Der Direktor machte der jungen Dame eine Verbeugung, worin Staunen und Hoffen, Steifheit und Leutseligkeit um die Herrschaft rangen, und reichte ihr ein Notenheft. Sie nahm das Heft ohne Ziererei in die Hand und sagte, nachdem sie einen Blick hineingeworfen, daß sie sehr gern eintrete, zumal da sie die Psalmpartitur wohl kenne. Hiermit schien dem Ghmuasialdirektor auch der letzte Zweifel über den gemachten Vorschlag zu schwinden, und vollends stimmte Barbaras Erscheinung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/374>, abgerufen am 16.05.2024.