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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

Jede von einer unteren Instanz erlassene Polizeivervrdnnng kann jedoch
von Amtswegen von der höheren Instanz, welcher dieselbe deshalb sofort nach
Erlaß vorzulegen ist, aufgehoben werden.

Man sollte also denken, daß die sämtlichen Beteiligten über die Notwendigkeit
und Gesetzlichkeit einer solchen Anordnung einig seien, und diese Anordnung des¬
halb auch Allspruch auf Anerkennung und Befolgung finden müsse. Dem ist aber
nicht so; das Schöffengericht, vor welches ein auf Grund einer solchen Polizei-
Verordnung zur Anklage gebrachter Straffall kommt, kann sie einfach außer
Kraft setzen, indem es sie im Widerspruch mit den Gesetzen oder den Verord¬
nungen einer höhern Instanz findet. Daß das Gericht, wie auch nach Z 106
der preußischen Verfassungsurkunde vorgeschrieben ist, die formelle Giltigkeit
einer Polizeivcrordnung zu prüfen hat, versteht sich natürlich von selbst, da von
einer Polizeivervrdnnug nur die Rede sein kann, wenn der fragliche Erlaß in
den dafür vorgeschriebenen Formen erlassen ist. Die Prüfung aber, ob die
Verordnung auch materiell neben der bestehenden Gesetzgebung zulässig sei, sollte
doch füglich der gesetzgebenden Gewalt, also in diesem Falle den zum Erlaß der
Polizeivervrdnungen delegirten Polizeibehörden und deren vorgesetzten Behörden
überlassen bleiben. Will man aber neben der jetzt schon bestehenden Verpflichtung
der höhern Instanz, die Polizeiverordnungen der niedern Instanz von Amts¬
wegen zu prüfen, noch eine richterliche Prüfung haben, so übertrage man ^>lese
doch wenigstens dem Verwaltungsgerichte, den Kreis- und Bezirksausschüssen
für die von den Lokalbehörden, dem Oberverwaltnngsgericht für die von den
Landespvlizcibchörden erlassenen Polizeiverordnnngen. Jetzt prüft der Amts¬
richter mit zwei Schöffen die Polizeiverordnungen des Ministers oder Ober-
präsidenten, und man bedenke, daß die Strafrechtspflege der Amtsgerichte regel¬
mäßig einem der jüngsten Richter übertragen wird, dem jedenfalls keine längere
Lebenserfahrung zur Seite steht, während die Schöffen möglichenfalls nicht
ohne Interesse daran sind, ob ihnen eine solche Polizeiverordnung aufgelegt
wird oder nicht. Nach dem hier gemachten Vorschlage würden Behörden ent¬
scheiden, welche mit der höhern Instanz der Polizeibehörde in Verbindung stehen,
oder, wo dies einem Regierungspräsidenten, einem Oberpräsidenten oder dem
Minister gegenüber nicht mehr angeht, die durch langjährige Praxis mit den Er¬
scheinungen des staatlichen Lebens vertrauten Mitglieder des Obcrverwaltungs-
gerichts, in alleil Instanzen aber wird neben dem juristischen auch das polizeiliche
Interesse bei der Entscheidung zur Geltung kommen, da die Verwaltungsgerichte
aus Juristen und Verwaltungsbeamten gemischt sind.

Doch wir sind am Ende dieser Betrachtungen. Ich denke, ich habe gezeigt,
wie die Polizei nichtvcrstandener Grundsätze halber in eine Stellung gebracht worden
ist, welche ihr nicht die Möglichkeit giebt, ihre Thätigkeit frei zu entfalten und
dadurch die für sie so notwendige, auf das Vertrauen der Bevölkerung ge¬
stützte Autorität zu erlangen, welche sie aber täglich in Lagen versetzt, aus


Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

Jede von einer unteren Instanz erlassene Polizeivervrdnnng kann jedoch
von Amtswegen von der höheren Instanz, welcher dieselbe deshalb sofort nach
Erlaß vorzulegen ist, aufgehoben werden.

Man sollte also denken, daß die sämtlichen Beteiligten über die Notwendigkeit
und Gesetzlichkeit einer solchen Anordnung einig seien, und diese Anordnung des¬
halb auch Allspruch auf Anerkennung und Befolgung finden müsse. Dem ist aber
nicht so; das Schöffengericht, vor welches ein auf Grund einer solchen Polizei-
Verordnung zur Anklage gebrachter Straffall kommt, kann sie einfach außer
Kraft setzen, indem es sie im Widerspruch mit den Gesetzen oder den Verord¬
nungen einer höhern Instanz findet. Daß das Gericht, wie auch nach Z 106
der preußischen Verfassungsurkunde vorgeschrieben ist, die formelle Giltigkeit
einer Polizeivcrordnung zu prüfen hat, versteht sich natürlich von selbst, da von
einer Polizeivervrdnnug nur die Rede sein kann, wenn der fragliche Erlaß in
den dafür vorgeschriebenen Formen erlassen ist. Die Prüfung aber, ob die
Verordnung auch materiell neben der bestehenden Gesetzgebung zulässig sei, sollte
doch füglich der gesetzgebenden Gewalt, also in diesem Falle den zum Erlaß der
Polizeivervrdnungen delegirten Polizeibehörden und deren vorgesetzten Behörden
überlassen bleiben. Will man aber neben der jetzt schon bestehenden Verpflichtung
der höhern Instanz, die Polizeiverordnungen der niedern Instanz von Amts¬
wegen zu prüfen, noch eine richterliche Prüfung haben, so übertrage man ^>lese
doch wenigstens dem Verwaltungsgerichte, den Kreis- und Bezirksausschüssen
für die von den Lokalbehörden, dem Oberverwaltnngsgericht für die von den
Landespvlizcibchörden erlassenen Polizeiverordnnngen. Jetzt prüft der Amts¬
richter mit zwei Schöffen die Polizeiverordnungen des Ministers oder Ober-
präsidenten, und man bedenke, daß die Strafrechtspflege der Amtsgerichte regel¬
mäßig einem der jüngsten Richter übertragen wird, dem jedenfalls keine längere
Lebenserfahrung zur Seite steht, während die Schöffen möglichenfalls nicht
ohne Interesse daran sind, ob ihnen eine solche Polizeiverordnung aufgelegt
wird oder nicht. Nach dem hier gemachten Vorschlage würden Behörden ent¬
scheiden, welche mit der höhern Instanz der Polizeibehörde in Verbindung stehen,
oder, wo dies einem Regierungspräsidenten, einem Oberpräsidenten oder dem
Minister gegenüber nicht mehr angeht, die durch langjährige Praxis mit den Er¬
scheinungen des staatlichen Lebens vertrauten Mitglieder des Obcrverwaltungs-
gerichts, in alleil Instanzen aber wird neben dem juristischen auch das polizeiliche
Interesse bei der Entscheidung zur Geltung kommen, da die Verwaltungsgerichte
aus Juristen und Verwaltungsbeamten gemischt sind.

Doch wir sind am Ende dieser Betrachtungen. Ich denke, ich habe gezeigt,
wie die Polizei nichtvcrstandener Grundsätze halber in eine Stellung gebracht worden
ist, welche ihr nicht die Möglichkeit giebt, ihre Thätigkeit frei zu entfalten und
dadurch die für sie so notwendige, auf das Vertrauen der Bevölkerung ge¬
stützte Autorität zu erlangen, welche sie aber täglich in Lagen versetzt, aus


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[0410] Die Stellung der Polizei im Strafverfahren. Jede von einer unteren Instanz erlassene Polizeivervrdnnng kann jedoch von Amtswegen von der höheren Instanz, welcher dieselbe deshalb sofort nach Erlaß vorzulegen ist, aufgehoben werden. Man sollte also denken, daß die sämtlichen Beteiligten über die Notwendigkeit und Gesetzlichkeit einer solchen Anordnung einig seien, und diese Anordnung des¬ halb auch Allspruch auf Anerkennung und Befolgung finden müsse. Dem ist aber nicht so; das Schöffengericht, vor welches ein auf Grund einer solchen Polizei- Verordnung zur Anklage gebrachter Straffall kommt, kann sie einfach außer Kraft setzen, indem es sie im Widerspruch mit den Gesetzen oder den Verord¬ nungen einer höhern Instanz findet. Daß das Gericht, wie auch nach Z 106 der preußischen Verfassungsurkunde vorgeschrieben ist, die formelle Giltigkeit einer Polizeivcrordnung zu prüfen hat, versteht sich natürlich von selbst, da von einer Polizeivervrdnnug nur die Rede sein kann, wenn der fragliche Erlaß in den dafür vorgeschriebenen Formen erlassen ist. Die Prüfung aber, ob die Verordnung auch materiell neben der bestehenden Gesetzgebung zulässig sei, sollte doch füglich der gesetzgebenden Gewalt, also in diesem Falle den zum Erlaß der Polizeivervrdnungen delegirten Polizeibehörden und deren vorgesetzten Behörden überlassen bleiben. Will man aber neben der jetzt schon bestehenden Verpflichtung der höhern Instanz, die Polizeiverordnungen der niedern Instanz von Amts¬ wegen zu prüfen, noch eine richterliche Prüfung haben, so übertrage man ^>lese doch wenigstens dem Verwaltungsgerichte, den Kreis- und Bezirksausschüssen für die von den Lokalbehörden, dem Oberverwaltnngsgericht für die von den Landespvlizcibchörden erlassenen Polizeiverordnnngen. Jetzt prüft der Amts¬ richter mit zwei Schöffen die Polizeiverordnungen des Ministers oder Ober- präsidenten, und man bedenke, daß die Strafrechtspflege der Amtsgerichte regel¬ mäßig einem der jüngsten Richter übertragen wird, dem jedenfalls keine längere Lebenserfahrung zur Seite steht, während die Schöffen möglichenfalls nicht ohne Interesse daran sind, ob ihnen eine solche Polizeiverordnung aufgelegt wird oder nicht. Nach dem hier gemachten Vorschlage würden Behörden ent¬ scheiden, welche mit der höhern Instanz der Polizeibehörde in Verbindung stehen, oder, wo dies einem Regierungspräsidenten, einem Oberpräsidenten oder dem Minister gegenüber nicht mehr angeht, die durch langjährige Praxis mit den Er¬ scheinungen des staatlichen Lebens vertrauten Mitglieder des Obcrverwaltungs- gerichts, in alleil Instanzen aber wird neben dem juristischen auch das polizeiliche Interesse bei der Entscheidung zur Geltung kommen, da die Verwaltungsgerichte aus Juristen und Verwaltungsbeamten gemischt sind. Doch wir sind am Ende dieser Betrachtungen. Ich denke, ich habe gezeigt, wie die Polizei nichtvcrstandener Grundsätze halber in eine Stellung gebracht worden ist, welche ihr nicht die Möglichkeit giebt, ihre Thätigkeit frei zu entfalten und dadurch die für sie so notwendige, auf das Vertrauen der Bevölkerung ge¬ stützte Autorität zu erlangen, welche sie aber täglich in Lagen versetzt, aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/410>, abgerufen am 22.05.2024.