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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die letzte Präsidentenwahl in Nordamerika.

Ganz wie im alten Mutterlands, ist auch in den Ilniwä Liftes die poli¬
tische Welt in zwei Hauptlager gespalten, in denen sich die Summe aller Gegen¬
sätze konzentrirt. Während aber dort Tories und Whigs auf stolze Namen
und stolze Thaten zurückblicken, nach einer ruhmvollen Vergangenheit beide noch
jung und kräftig, haben sich hier Republikaner sowohl wie Demokraten über¬
lebt und in ausgiebigster Weise anrüchig gemacht. Fragt man hier jemand
nach dem Unterschiede der beiden großen Parteien, so erhält man vielfach die
Antwort, die Demokraten seien die Partei der unanständigen Leute, hätten aber
anständige Führer, die Republikaner seien die Partei der anständigen Leute,
hätten aber unanständige Führer -- eine Wechselbeziehung, die sehr un¬
vorteilhaft sein muß. Die Demokraten waren ihrer Zeit für Aufrechterhaltung
der Sklaverei und haben ihren Hauptsitz in den Südstaaten; außerdem hat die
Stadt Newyork eine starke demokratische Majorität. Die Republikaner haben
ihren Sitz hauptsächlich in den Nordstaaten, und zu ihnen gehört auch das
Gros der Deutschen, darunter sehr angesehene Männer, wie Karl Schurz. Sie
sind jetzt vierundzwanzig Jahre am Ruder gewesen und sind, wie alle Parteien,
die zu lange die Macht in den Händen gehabt haben, stark degenerirt. Sie haben
gleich vom Anbeginn dem Lande gegenüber eine große Schuld auf sich aufge¬
laden, indem sie den eben erst freigemachten Negern -- lediglich zu Pnrtei-
zwecken, um sich eine dauernde Majorität zu sichern -- volle politische Gleich¬
berechtigung einräumten, wodurch eine gewaltige Herde von Stimmvieh geschaffen
und die Ära maßlosester Wahlkvrruption inaugurirt wurde. Im übrigen sind
sie in noch höherem Maße mit dem Großkapital amalgamirt als bei uns die
Liberalen, und was ihnen hauptsächlich zum Vorwurfe gemacht wird, ist die
Korruption der Verwaltung, die Verschleuderung von Staatsländereien an große
Gesellschaften, von denen die Herren in Washington ihre Trinkgelder beziehen,
das Großziehen der in,on<z^-IcinA8. Wenn die Verteilung des Besitzes in Amerika
bald ebenso exzessiv ungleich sein wird wie bei uns, und Amerika ebenfalls seine
soziale Frage haben wird, so soll daran in erster Linie die republikanische Partei
schuld sein.

Ein Fluch beider Parteien sind die sogenannten Politiker, ein -- bis jetzt --
spezifisch amerikanisches Gewächs. Ebenso wie es anderwärts Schuster und
Schneider giebt, giebt es hier "Politiker," Leute, die lediglich von der Agitation
und, wenn sie Macht in den Händen haben, von der Korruption leben. Sie
zählen nach Hunderttausenden und sind in Hunderten von Logen orgcunsirt.
Sie rekrutiren sich vornehmlich aus den Jrishmen, die in Newyork das deutsche
Element noch überwiegen, in den andern großen Städten sehr stark vertreten
sind und auf die Wandlung des amerikanischen Nationalcharakters wesentlich,
wenn auch keineswegs heilsam, eingewirkt haben. Den Jrishmen begegnet man
überall, aber ohne Freude. Sie sind weder friedliebend noch nüchtern noch
arbeitsam, und besitzen somit von den drei Hauptbürgertugenden keine. Politisch


Die letzte Präsidentenwahl in Nordamerika.

Ganz wie im alten Mutterlands, ist auch in den Ilniwä Liftes die poli¬
tische Welt in zwei Hauptlager gespalten, in denen sich die Summe aller Gegen¬
sätze konzentrirt. Während aber dort Tories und Whigs auf stolze Namen
und stolze Thaten zurückblicken, nach einer ruhmvollen Vergangenheit beide noch
jung und kräftig, haben sich hier Republikaner sowohl wie Demokraten über¬
lebt und in ausgiebigster Weise anrüchig gemacht. Fragt man hier jemand
nach dem Unterschiede der beiden großen Parteien, so erhält man vielfach die
Antwort, die Demokraten seien die Partei der unanständigen Leute, hätten aber
anständige Führer, die Republikaner seien die Partei der anständigen Leute,
hätten aber unanständige Führer — eine Wechselbeziehung, die sehr un¬
vorteilhaft sein muß. Die Demokraten waren ihrer Zeit für Aufrechterhaltung
der Sklaverei und haben ihren Hauptsitz in den Südstaaten; außerdem hat die
Stadt Newyork eine starke demokratische Majorität. Die Republikaner haben
ihren Sitz hauptsächlich in den Nordstaaten, und zu ihnen gehört auch das
Gros der Deutschen, darunter sehr angesehene Männer, wie Karl Schurz. Sie
sind jetzt vierundzwanzig Jahre am Ruder gewesen und sind, wie alle Parteien,
die zu lange die Macht in den Händen gehabt haben, stark degenerirt. Sie haben
gleich vom Anbeginn dem Lande gegenüber eine große Schuld auf sich aufge¬
laden, indem sie den eben erst freigemachten Negern — lediglich zu Pnrtei-
zwecken, um sich eine dauernde Majorität zu sichern — volle politische Gleich¬
berechtigung einräumten, wodurch eine gewaltige Herde von Stimmvieh geschaffen
und die Ära maßlosester Wahlkvrruption inaugurirt wurde. Im übrigen sind
sie in noch höherem Maße mit dem Großkapital amalgamirt als bei uns die
Liberalen, und was ihnen hauptsächlich zum Vorwurfe gemacht wird, ist die
Korruption der Verwaltung, die Verschleuderung von Staatsländereien an große
Gesellschaften, von denen die Herren in Washington ihre Trinkgelder beziehen,
das Großziehen der in,on<z^-IcinA8. Wenn die Verteilung des Besitzes in Amerika
bald ebenso exzessiv ungleich sein wird wie bei uns, und Amerika ebenfalls seine
soziale Frage haben wird, so soll daran in erster Linie die republikanische Partei
schuld sein.

Ein Fluch beider Parteien sind die sogenannten Politiker, ein — bis jetzt —
spezifisch amerikanisches Gewächs. Ebenso wie es anderwärts Schuster und
Schneider giebt, giebt es hier „Politiker," Leute, die lediglich von der Agitation
und, wenn sie Macht in den Händen haben, von der Korruption leben. Sie
zählen nach Hunderttausenden und sind in Hunderten von Logen orgcunsirt.
Sie rekrutiren sich vornehmlich aus den Jrishmen, die in Newyork das deutsche
Element noch überwiegen, in den andern großen Städten sehr stark vertreten
sind und auf die Wandlung des amerikanischen Nationalcharakters wesentlich,
wenn auch keineswegs heilsam, eingewirkt haben. Den Jrishmen begegnet man
überall, aber ohne Freude. Sie sind weder friedliebend noch nüchtern noch
arbeitsam, und besitzen somit von den drei Hauptbürgertugenden keine. Politisch


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[0446] Die letzte Präsidentenwahl in Nordamerika. Ganz wie im alten Mutterlands, ist auch in den Ilniwä Liftes die poli¬ tische Welt in zwei Hauptlager gespalten, in denen sich die Summe aller Gegen¬ sätze konzentrirt. Während aber dort Tories und Whigs auf stolze Namen und stolze Thaten zurückblicken, nach einer ruhmvollen Vergangenheit beide noch jung und kräftig, haben sich hier Republikaner sowohl wie Demokraten über¬ lebt und in ausgiebigster Weise anrüchig gemacht. Fragt man hier jemand nach dem Unterschiede der beiden großen Parteien, so erhält man vielfach die Antwort, die Demokraten seien die Partei der unanständigen Leute, hätten aber anständige Führer, die Republikaner seien die Partei der anständigen Leute, hätten aber unanständige Führer — eine Wechselbeziehung, die sehr un¬ vorteilhaft sein muß. Die Demokraten waren ihrer Zeit für Aufrechterhaltung der Sklaverei und haben ihren Hauptsitz in den Südstaaten; außerdem hat die Stadt Newyork eine starke demokratische Majorität. Die Republikaner haben ihren Sitz hauptsächlich in den Nordstaaten, und zu ihnen gehört auch das Gros der Deutschen, darunter sehr angesehene Männer, wie Karl Schurz. Sie sind jetzt vierundzwanzig Jahre am Ruder gewesen und sind, wie alle Parteien, die zu lange die Macht in den Händen gehabt haben, stark degenerirt. Sie haben gleich vom Anbeginn dem Lande gegenüber eine große Schuld auf sich aufge¬ laden, indem sie den eben erst freigemachten Negern — lediglich zu Pnrtei- zwecken, um sich eine dauernde Majorität zu sichern — volle politische Gleich¬ berechtigung einräumten, wodurch eine gewaltige Herde von Stimmvieh geschaffen und die Ära maßlosester Wahlkvrruption inaugurirt wurde. Im übrigen sind sie in noch höherem Maße mit dem Großkapital amalgamirt als bei uns die Liberalen, und was ihnen hauptsächlich zum Vorwurfe gemacht wird, ist die Korruption der Verwaltung, die Verschleuderung von Staatsländereien an große Gesellschaften, von denen die Herren in Washington ihre Trinkgelder beziehen, das Großziehen der in,on<z^-IcinA8. Wenn die Verteilung des Besitzes in Amerika bald ebenso exzessiv ungleich sein wird wie bei uns, und Amerika ebenfalls seine soziale Frage haben wird, so soll daran in erster Linie die republikanische Partei schuld sein. Ein Fluch beider Parteien sind die sogenannten Politiker, ein — bis jetzt — spezifisch amerikanisches Gewächs. Ebenso wie es anderwärts Schuster und Schneider giebt, giebt es hier „Politiker," Leute, die lediglich von der Agitation und, wenn sie Macht in den Händen haben, von der Korruption leben. Sie zählen nach Hunderttausenden und sind in Hunderten von Logen orgcunsirt. Sie rekrutiren sich vornehmlich aus den Jrishmen, die in Newyork das deutsche Element noch überwiegen, in den andern großen Städten sehr stark vertreten sind und auf die Wandlung des amerikanischen Nationalcharakters wesentlich, wenn auch keineswegs heilsam, eingewirkt haben. Den Jrishmen begegnet man überall, aber ohne Freude. Sie sind weder friedliebend noch nüchtern noch arbeitsam, und besitzen somit von den drei Hauptbürgertugenden keine. Politisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/446>, abgerufen am 21.05.2024.