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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zur Revision manchesterlicher Lehren.

Leute ihre Ersparnisse hintragen. Im Königreich Sachsen, dessen betreffende
Statistik am vollständigsten vorliegt, betrugen die Spareinlagen 1857 14109108
Mark, 1881 349088 702 Mark. Es kamen auf ein Einlagebuch 1850 148,86
Mark, 1871 364,18 Mark und auf den Kopf der Bevölkerung 1850 eine Ein¬
lage von 7,32 Mark, 1871 115,77 Mark. Ein Einlagebuch war 1850 in den
Händen je des 20,32. Einwohners, 1871 je des 3,15. Einwohners.

Ein noch überraschenderes Bild erhält mau, wenn man die Bevölkerung
unter zwanzig Jahren, die ja noch nicht als selbständig gelten kann, außer
Betracht läßt. Alsdann kommt eine Einlage von 362,18 Mark auf 58 Pro¬
zent der Bevölkerung oder 212,22 Mark auf jeden Einwohner über zwanzig
Jahre, ob männlich oder weiblich. Aber auch diese Summe wird sich noch recht
wesentlich erhöhen, wenn man bedenkt, daß doch nur ein Teil der sparenden
Einwohner zu den Kunden der Sparkassen gehört, daß die oberen Stufen von
der Benutzung der Sparkassen teils statutarisch, teils durch ihre Gewohnheiten
ferngehalten werden, und daß für die untern Stufen noch zahlreiche andre
Kassen bestehen, die sich mit der Ansammlung ihrer Ersparnisse beschäftigen.
In Preußen ergiebt sich eine Einlage von 118 Mark auf jede über zwanzig
Jahre alte Person, und es überschreitet die Hälfte aller Einlagen (nämlich
1>/-i Millionen von 3 363 518) nicht den Betrag von 150 Mark.

Wenn nun aber auch bei Hypotheken, deren Beleihung ein hauptsächliches
Geschäft der Sparkassen ist,") der Rückgang des Zinsfußes sich wegen der
größeren Abhängigkeit der Schuldner von den Gläubigern und infolge der
großen Stabilität dieses Obligationsverhältnisses erst später geltend gemacht
hat als im freie" Darlehnsverkehr, so sind doch alle Sparkassen seit Ende der
siebziger Jahre genötigt gewesen, den Zins, den sie ihren Einlegern gewähren,
um bis 1 Prozent herabzusetzen.

So ist es deun klar, daß auch die kleinen Leute, ja wie wir gezeigt haben,
daß alle unter dem Druck des Zinses leiden. Es ist also die größte Thorheit,
die Meinung gegen das Kapital aufzuhetzen und einen Klassenkampf zu erregen**)
unter Bürgern, welche in diesem Punkte durchaus keine entgegengesetzten Inter¬
essen haben. Allerdings ist es wahr, daß den Gläubigern die Schuldner gegen¬
über stehen, und daß die letzteren von dem niedrigen Zinsfuße Nutzen haben.




*) Die preußischen Sparkassen haben mehr als die Hälfte ihrer Fonds, genau 57 Pro¬
zent, in Hypotheken angelegt.
**) Es ist interessant, von Schall zu hören, daß in Würtemberg vou 139 844 kapital-
rentensteucrpflichtigeu Personen mit einem eingestandenen Renteneinkommen von 76,6 Mil¬
lionen Mark am 1. April 1882 nur 4S80 Personen oder 3,17 Renten über 2SS0 Mark
hatten, während 13S264 Personen oder 96,73 weniger als 25S0 Mark Rente hatten und
76,4 Prozent nur SSO Mark und weniger. Das Kapital, sagt er, ist keine Wucherpflanze,
sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes des Volkes und des kleinen Mannes in
allen Berufsklassen.
Zur Revision manchesterlicher Lehren.

Leute ihre Ersparnisse hintragen. Im Königreich Sachsen, dessen betreffende
Statistik am vollständigsten vorliegt, betrugen die Spareinlagen 1857 14109108
Mark, 1881 349088 702 Mark. Es kamen auf ein Einlagebuch 1850 148,86
Mark, 1871 364,18 Mark und auf den Kopf der Bevölkerung 1850 eine Ein¬
lage von 7,32 Mark, 1871 115,77 Mark. Ein Einlagebuch war 1850 in den
Händen je des 20,32. Einwohners, 1871 je des 3,15. Einwohners.

Ein noch überraschenderes Bild erhält mau, wenn man die Bevölkerung
unter zwanzig Jahren, die ja noch nicht als selbständig gelten kann, außer
Betracht läßt. Alsdann kommt eine Einlage von 362,18 Mark auf 58 Pro¬
zent der Bevölkerung oder 212,22 Mark auf jeden Einwohner über zwanzig
Jahre, ob männlich oder weiblich. Aber auch diese Summe wird sich noch recht
wesentlich erhöhen, wenn man bedenkt, daß doch nur ein Teil der sparenden
Einwohner zu den Kunden der Sparkassen gehört, daß die oberen Stufen von
der Benutzung der Sparkassen teils statutarisch, teils durch ihre Gewohnheiten
ferngehalten werden, und daß für die untern Stufen noch zahlreiche andre
Kassen bestehen, die sich mit der Ansammlung ihrer Ersparnisse beschäftigen.
In Preußen ergiebt sich eine Einlage von 118 Mark auf jede über zwanzig
Jahre alte Person, und es überschreitet die Hälfte aller Einlagen (nämlich
1>/-i Millionen von 3 363 518) nicht den Betrag von 150 Mark.

Wenn nun aber auch bei Hypotheken, deren Beleihung ein hauptsächliches
Geschäft der Sparkassen ist,") der Rückgang des Zinsfußes sich wegen der
größeren Abhängigkeit der Schuldner von den Gläubigern und infolge der
großen Stabilität dieses Obligationsverhältnisses erst später geltend gemacht
hat als im freie» Darlehnsverkehr, so sind doch alle Sparkassen seit Ende der
siebziger Jahre genötigt gewesen, den Zins, den sie ihren Einlegern gewähren,
um bis 1 Prozent herabzusetzen.

So ist es deun klar, daß auch die kleinen Leute, ja wie wir gezeigt haben,
daß alle unter dem Druck des Zinses leiden. Es ist also die größte Thorheit,
die Meinung gegen das Kapital aufzuhetzen und einen Klassenkampf zu erregen**)
unter Bürgern, welche in diesem Punkte durchaus keine entgegengesetzten Inter¬
essen haben. Allerdings ist es wahr, daß den Gläubigern die Schuldner gegen¬
über stehen, und daß die letzteren von dem niedrigen Zinsfuße Nutzen haben.




*) Die preußischen Sparkassen haben mehr als die Hälfte ihrer Fonds, genau 57 Pro¬
zent, in Hypotheken angelegt.
**) Es ist interessant, von Schall zu hören, daß in Würtemberg vou 139 844 kapital-
rentensteucrpflichtigeu Personen mit einem eingestandenen Renteneinkommen von 76,6 Mil¬
lionen Mark am 1. April 1882 nur 4S80 Personen oder 3,17 Renten über 2SS0 Mark
hatten, während 13S264 Personen oder 96,73 weniger als 25S0 Mark Rente hatten und
76,4 Prozent nur SSO Mark und weniger. Das Kapital, sagt er, ist keine Wucherpflanze,
sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes des Volkes und des kleinen Mannes in
allen Berufsklassen.
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[0465] Zur Revision manchesterlicher Lehren. Leute ihre Ersparnisse hintragen. Im Königreich Sachsen, dessen betreffende Statistik am vollständigsten vorliegt, betrugen die Spareinlagen 1857 14109108 Mark, 1881 349088 702 Mark. Es kamen auf ein Einlagebuch 1850 148,86 Mark, 1871 364,18 Mark und auf den Kopf der Bevölkerung 1850 eine Ein¬ lage von 7,32 Mark, 1871 115,77 Mark. Ein Einlagebuch war 1850 in den Händen je des 20,32. Einwohners, 1871 je des 3,15. Einwohners. Ein noch überraschenderes Bild erhält mau, wenn man die Bevölkerung unter zwanzig Jahren, die ja noch nicht als selbständig gelten kann, außer Betracht läßt. Alsdann kommt eine Einlage von 362,18 Mark auf 58 Pro¬ zent der Bevölkerung oder 212,22 Mark auf jeden Einwohner über zwanzig Jahre, ob männlich oder weiblich. Aber auch diese Summe wird sich noch recht wesentlich erhöhen, wenn man bedenkt, daß doch nur ein Teil der sparenden Einwohner zu den Kunden der Sparkassen gehört, daß die oberen Stufen von der Benutzung der Sparkassen teils statutarisch, teils durch ihre Gewohnheiten ferngehalten werden, und daß für die untern Stufen noch zahlreiche andre Kassen bestehen, die sich mit der Ansammlung ihrer Ersparnisse beschäftigen. In Preußen ergiebt sich eine Einlage von 118 Mark auf jede über zwanzig Jahre alte Person, und es überschreitet die Hälfte aller Einlagen (nämlich 1>/-i Millionen von 3 363 518) nicht den Betrag von 150 Mark. Wenn nun aber auch bei Hypotheken, deren Beleihung ein hauptsächliches Geschäft der Sparkassen ist,") der Rückgang des Zinsfußes sich wegen der größeren Abhängigkeit der Schuldner von den Gläubigern und infolge der großen Stabilität dieses Obligationsverhältnisses erst später geltend gemacht hat als im freie» Darlehnsverkehr, so sind doch alle Sparkassen seit Ende der siebziger Jahre genötigt gewesen, den Zins, den sie ihren Einlegern gewähren, um bis 1 Prozent herabzusetzen. So ist es deun klar, daß auch die kleinen Leute, ja wie wir gezeigt haben, daß alle unter dem Druck des Zinses leiden. Es ist also die größte Thorheit, die Meinung gegen das Kapital aufzuhetzen und einen Klassenkampf zu erregen**) unter Bürgern, welche in diesem Punkte durchaus keine entgegengesetzten Inter¬ essen haben. Allerdings ist es wahr, daß den Gläubigern die Schuldner gegen¬ über stehen, und daß die letzteren von dem niedrigen Zinsfuße Nutzen haben. *) Die preußischen Sparkassen haben mehr als die Hälfte ihrer Fonds, genau 57 Pro¬ zent, in Hypotheken angelegt. **) Es ist interessant, von Schall zu hören, daß in Würtemberg vou 139 844 kapital- rentensteucrpflichtigeu Personen mit einem eingestandenen Renteneinkommen von 76,6 Mil¬ lionen Mark am 1. April 1882 nur 4S80 Personen oder 3,17 Renten über 2SS0 Mark hatten, während 13S264 Personen oder 96,73 weniger als 25S0 Mark Rente hatten und 76,4 Prozent nur SSO Mark und weniger. Das Kapital, sagt er, ist keine Wucherpflanze, sondern das mühsame Ergebnis des Sammelfleißes des Volkes und des kleinen Mannes in allen Berufsklassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/465>, abgerufen am 21.05.2024.