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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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stehenden Frauengestalten begreiflich ist; sonst gehen alle diese Haartrachten bei
der Frauenwelt offenbar ebensowenig wie bei den Männern über das letzte
Viertel des fünften Jahrhunderts hinaus. Um die Mitte des fünften Jahr¬
hunderts muß eine Zeitlang die Mode der bunten, den größten Teil des Haares
bedeckenden Kopftücher sehr stark herrschend gewesen sein; so malte Polygnot
seine Franc", lind diese Tracht finden wir anch in den Giebelfeldern von Olympia
wieder und an einigen der Frauengestalten im Ostfrics des Parthenon. Zu der
gleichen Zeit aber, dn die Männer sich von jenen steifen Frisuren zu emanzipiren
und ihr Haar kunstlos zu tragen beginnen, wird auch bei deu Frauen eine
einfach edle Haartracht immer allgemeiner: das Haar ist meist in der Mitte
gescheitelt, fällt sanft gewellt rechts und links herab und wallt hinten entweder
frei über den Rücken oder wird am Hinterkopf in einen kunstlosen Knoten zu¬
sammengebunden. Letztere Tracht, die. man heute noch als "griechischen Knoten"
zu bezeichnen Pflegt, bleibt die schönste anch für die Folgezeit, mag nun der
Knoten tief unten im Nacken oder etwas höher oder direkt am Hinterkopf an¬
gebracht sein. Im übrigen aber ist die Mannichfaltigkeit, welche nunmehr in
der Haartracht der Frauen eintritt und welche näher zu verfolgen außer den
Vasenbildcrn namentlich die Terraeotten Gelegenheit geben, ganz außerordentlich
groß. Es ist aber nicht unsre Aufgabe, hier die verschiedenen Arten der Kopf¬
tücher und Netze, Schleier und Binden, Stirureifen und Diademe, Nadeln und
sonstige Schmucksachen, welche in das Haar gesteckt oder geflochten wurden,
aufzuzählen oder all die zahlreichen Frisuren, welche wir im vierten und dritten
Jahrhundert finden, zu beschreiben. Es hat das für uns hier keine Bedeutung,
da wir nicht beurteilen können, ob in diesen verschiedenen Frisuren wirklich eine
von der Mode hervorgerufene chronologische Reihenfolge stattfand, oder ob
-- was allerdings das Wahrscheinlichere ist -- hier lediglich das Belieben und
der Geschmack jeder einzelnen Frau in Betracht kam und die Mode darin keine
Gesetze mehr vorschrieb. Bestimmte, eine Zeitlang herrschende und dann wieder
verschwindende Moden in der Haartracht der Frauen vermögen wir erst in der
römischen Kaiserzeit wieder nachzuweisen.

Wir schließen hiermit unsre Betrachtungen über die Mode im griechischen
Altertum, als deren Resultat wir hier mit wenigen Worten folgendes hinstellen
können. In der uns erkennbaren ältesten Periode der sogenannten heroischen
Zeit herrscht in Kleidung und sonstiger Tracht der orientalische Einfluß noch
sehr beträchtlich vor. Indem derselbe daun in der Folgezeit allmählich verschwindet,
finden wir auf dem Gebiete der Kleidung wie der Haartracht ein Suchen nach neuen
Formen, das mancherlei Moden und ziemlich schnellen Wechsel derselben zur
Folge hat und bei dem auch allerlei Häßliches und Unnatürliches zu tage tritt,
während über dem Streben nach Zierlichkeit die Anmut größtenteils verloren geht.
Die Periode des Perikles ist es erst, in der wir die Griechen much ans diesem Ge¬
biete zur vollen Freiheit und zur Erkenntnis der höchsten Schönheit gelangen sehen-




stehenden Frauengestalten begreiflich ist; sonst gehen alle diese Haartrachten bei
der Frauenwelt offenbar ebensowenig wie bei den Männern über das letzte
Viertel des fünften Jahrhunderts hinaus. Um die Mitte des fünften Jahr¬
hunderts muß eine Zeitlang die Mode der bunten, den größten Teil des Haares
bedeckenden Kopftücher sehr stark herrschend gewesen sein; so malte Polygnot
seine Franc», lind diese Tracht finden wir anch in den Giebelfeldern von Olympia
wieder und an einigen der Frauengestalten im Ostfrics des Parthenon. Zu der
gleichen Zeit aber, dn die Männer sich von jenen steifen Frisuren zu emanzipiren
und ihr Haar kunstlos zu tragen beginnen, wird auch bei deu Frauen eine
einfach edle Haartracht immer allgemeiner: das Haar ist meist in der Mitte
gescheitelt, fällt sanft gewellt rechts und links herab und wallt hinten entweder
frei über den Rücken oder wird am Hinterkopf in einen kunstlosen Knoten zu¬
sammengebunden. Letztere Tracht, die. man heute noch als „griechischen Knoten"
zu bezeichnen Pflegt, bleibt die schönste anch für die Folgezeit, mag nun der
Knoten tief unten im Nacken oder etwas höher oder direkt am Hinterkopf an¬
gebracht sein. Im übrigen aber ist die Mannichfaltigkeit, welche nunmehr in
der Haartracht der Frauen eintritt und welche näher zu verfolgen außer den
Vasenbildcrn namentlich die Terraeotten Gelegenheit geben, ganz außerordentlich
groß. Es ist aber nicht unsre Aufgabe, hier die verschiedenen Arten der Kopf¬
tücher und Netze, Schleier und Binden, Stirureifen und Diademe, Nadeln und
sonstige Schmucksachen, welche in das Haar gesteckt oder geflochten wurden,
aufzuzählen oder all die zahlreichen Frisuren, welche wir im vierten und dritten
Jahrhundert finden, zu beschreiben. Es hat das für uns hier keine Bedeutung,
da wir nicht beurteilen können, ob in diesen verschiedenen Frisuren wirklich eine
von der Mode hervorgerufene chronologische Reihenfolge stattfand, oder ob
— was allerdings das Wahrscheinlichere ist — hier lediglich das Belieben und
der Geschmack jeder einzelnen Frau in Betracht kam und die Mode darin keine
Gesetze mehr vorschrieb. Bestimmte, eine Zeitlang herrschende und dann wieder
verschwindende Moden in der Haartracht der Frauen vermögen wir erst in der
römischen Kaiserzeit wieder nachzuweisen.

Wir schließen hiermit unsre Betrachtungen über die Mode im griechischen
Altertum, als deren Resultat wir hier mit wenigen Worten folgendes hinstellen
können. In der uns erkennbaren ältesten Periode der sogenannten heroischen
Zeit herrscht in Kleidung und sonstiger Tracht der orientalische Einfluß noch
sehr beträchtlich vor. Indem derselbe daun in der Folgezeit allmählich verschwindet,
finden wir auf dem Gebiete der Kleidung wie der Haartracht ein Suchen nach neuen
Formen, das mancherlei Moden und ziemlich schnellen Wechsel derselben zur
Folge hat und bei dem auch allerlei Häßliches und Unnatürliches zu tage tritt,
während über dem Streben nach Zierlichkeit die Anmut größtenteils verloren geht.
Die Periode des Perikles ist es erst, in der wir die Griechen much ans diesem Ge¬
biete zur vollen Freiheit und zur Erkenntnis der höchsten Schönheit gelangen sehen-




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/482>, abgerufen am 21.05.2024.