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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Postsparkassen im Reichstage.

auf einem so kleinen und engherzigen Standpunkte, daß das Volk schwerlich
ein Wohlwollen daraus wird erkennen mögen. Das Zentrum und sein Anhang
geht nur soweit mit dem Reichskanzler, als es die vitalsten Interessen der
Wählerschaft erheischen; aus diesem Grunde allein ist die Gefolgschaft in der
nationalen Zollpolitik zu erklären, da selbst die blindlings der klerikalen Parole
folgenden Wähler für die Brot- und Magenfrage zugänglicher sind, als für
die Deklamationen über die sogenannte diocleticmische Kirchenverfolgung. Das
Postsparkasfengesetz ergreift diese vitalen Interessen nicht in so hohem Grade.
Es ist zwar eine Maßregel, welche gerade den untersten Klassen der Bevölkerung
zugute kommt, deren Fehlschlagen aber umso weniger Rücksicht verdient, als
sich der Entwurf an die bessern Seiten des Menschen, an seinen Spartrieb
wendet. Der Entwurf zielt darauf ab, dem Einzelnen das Sparen zu erleichtern,
ihm dnrch den Besitz eines Sparpfennigs eine größere Behaglichkeit zu schaffen
und dadurch Zufriedenheit im Lande zu verbreiten. Ein solches Ergebnis muß
natürlich von den Gegnern des jetzigen Regiments beseitigt werden, da sich die¬
selben nur von Unfrieden und Mißstimmung zu erhalten vermögen. Auch die
Partikularisten finden die Vorlage nicht dringlich genug, um dem Neichsgedanken
ein Opfer zu bringen. Denn in der That, wenn der Entwurf zum Gesetz er¬
hoben würde, würde jener Gedanke in die fernste Gegend, in Haus und Hütte
getragen. Abgesehen von Baiern und Würtemberg würden die für die Spar¬
einlagen bestimmten etwa 11000 Poststellen in mehr als 10400 Orten auch
dem kleinen, nicht an dem PostVerkehr beteiligten Manne zeigen, daß das Reich
ein warmes Herz für seine Bedürfnisse hat, und ihm täglich dieses Mahuzeichen
sichtbar vor die Augen führen. Zwar ist mit dieser Stärkung des Reichs-
patriotismus durchaus keine Schwächung des föderativem Charakters unsers
Reiches verbunden, aber innerhalb ihrer engern Pfähle fühlen sich jene Herren
durch jede Äußerung der Neichsmacht beklommen, und sie zögern nicht, soweit
sie es mit der Rücksicht auf ihre Wahlsitze vereinigen können, das materielle
Volkswohl ihrem engen Territorialpatriotismus hintanzusetzen. Die preußischen
Konservativen endlich leitet die Rücksicht auf ihre kommunalen Sparkassen, bei
denen sie selbst Verwaltung und Aufsicht haben und dadurch bei dem Aus¬
leihen der Gelder einen gewissen Einfluß besitzen. Ihr Widerspruch ist sachlich,
aber engherzig und in beschränktem Gesichtskreis entstanden.

Der sozialpolitische Charakter, welchen das hohenzollernsche Königtum von
jeher auf seine Fahne geschrieben hat, hat auch dem heute so entwickelten kom¬
munalen Sparkassenwesen seinen Ursprung gegeben. Das Reglement vom 12. De¬
zember 1838 hebt ausdrücklich hervor, daß die Einrichtung hauptsächlich auf das
Bedürfnis der ärmeren Klasse berechnet sei, welcher Gelegenheit zur Anlegung
kleiner Ersparnisse gegeben werden solle. Schon im Jahre 1870 betrug die
Summe der gesamten Spareinlagen in Preußen nahezu fünfhundert Millionen
Mark, und das hier gegebene Beispiel fand namentlich seit der Einigung Deutsch-


Die Postsparkassen im Reichstage.

auf einem so kleinen und engherzigen Standpunkte, daß das Volk schwerlich
ein Wohlwollen daraus wird erkennen mögen. Das Zentrum und sein Anhang
geht nur soweit mit dem Reichskanzler, als es die vitalsten Interessen der
Wählerschaft erheischen; aus diesem Grunde allein ist die Gefolgschaft in der
nationalen Zollpolitik zu erklären, da selbst die blindlings der klerikalen Parole
folgenden Wähler für die Brot- und Magenfrage zugänglicher sind, als für
die Deklamationen über die sogenannte diocleticmische Kirchenverfolgung. Das
Postsparkasfengesetz ergreift diese vitalen Interessen nicht in so hohem Grade.
Es ist zwar eine Maßregel, welche gerade den untersten Klassen der Bevölkerung
zugute kommt, deren Fehlschlagen aber umso weniger Rücksicht verdient, als
sich der Entwurf an die bessern Seiten des Menschen, an seinen Spartrieb
wendet. Der Entwurf zielt darauf ab, dem Einzelnen das Sparen zu erleichtern,
ihm dnrch den Besitz eines Sparpfennigs eine größere Behaglichkeit zu schaffen
und dadurch Zufriedenheit im Lande zu verbreiten. Ein solches Ergebnis muß
natürlich von den Gegnern des jetzigen Regiments beseitigt werden, da sich die¬
selben nur von Unfrieden und Mißstimmung zu erhalten vermögen. Auch die
Partikularisten finden die Vorlage nicht dringlich genug, um dem Neichsgedanken
ein Opfer zu bringen. Denn in der That, wenn der Entwurf zum Gesetz er¬
hoben würde, würde jener Gedanke in die fernste Gegend, in Haus und Hütte
getragen. Abgesehen von Baiern und Würtemberg würden die für die Spar¬
einlagen bestimmten etwa 11000 Poststellen in mehr als 10400 Orten auch
dem kleinen, nicht an dem PostVerkehr beteiligten Manne zeigen, daß das Reich
ein warmes Herz für seine Bedürfnisse hat, und ihm täglich dieses Mahuzeichen
sichtbar vor die Augen führen. Zwar ist mit dieser Stärkung des Reichs-
patriotismus durchaus keine Schwächung des föderativem Charakters unsers
Reiches verbunden, aber innerhalb ihrer engern Pfähle fühlen sich jene Herren
durch jede Äußerung der Neichsmacht beklommen, und sie zögern nicht, soweit
sie es mit der Rücksicht auf ihre Wahlsitze vereinigen können, das materielle
Volkswohl ihrem engen Territorialpatriotismus hintanzusetzen. Die preußischen
Konservativen endlich leitet die Rücksicht auf ihre kommunalen Sparkassen, bei
denen sie selbst Verwaltung und Aufsicht haben und dadurch bei dem Aus¬
leihen der Gelder einen gewissen Einfluß besitzen. Ihr Widerspruch ist sachlich,
aber engherzig und in beschränktem Gesichtskreis entstanden.

Der sozialpolitische Charakter, welchen das hohenzollernsche Königtum von
jeher auf seine Fahne geschrieben hat, hat auch dem heute so entwickelten kom¬
munalen Sparkassenwesen seinen Ursprung gegeben. Das Reglement vom 12. De¬
zember 1838 hebt ausdrücklich hervor, daß die Einrichtung hauptsächlich auf das
Bedürfnis der ärmeren Klasse berechnet sei, welcher Gelegenheit zur Anlegung
kleiner Ersparnisse gegeben werden solle. Schon im Jahre 1870 betrug die
Summe der gesamten Spareinlagen in Preußen nahezu fünfhundert Millionen
Mark, und das hier gegebene Beispiel fand namentlich seit der Einigung Deutsch-


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[0502] Die Postsparkassen im Reichstage. auf einem so kleinen und engherzigen Standpunkte, daß das Volk schwerlich ein Wohlwollen daraus wird erkennen mögen. Das Zentrum und sein Anhang geht nur soweit mit dem Reichskanzler, als es die vitalsten Interessen der Wählerschaft erheischen; aus diesem Grunde allein ist die Gefolgschaft in der nationalen Zollpolitik zu erklären, da selbst die blindlings der klerikalen Parole folgenden Wähler für die Brot- und Magenfrage zugänglicher sind, als für die Deklamationen über die sogenannte diocleticmische Kirchenverfolgung. Das Postsparkasfengesetz ergreift diese vitalen Interessen nicht in so hohem Grade. Es ist zwar eine Maßregel, welche gerade den untersten Klassen der Bevölkerung zugute kommt, deren Fehlschlagen aber umso weniger Rücksicht verdient, als sich der Entwurf an die bessern Seiten des Menschen, an seinen Spartrieb wendet. Der Entwurf zielt darauf ab, dem Einzelnen das Sparen zu erleichtern, ihm dnrch den Besitz eines Sparpfennigs eine größere Behaglichkeit zu schaffen und dadurch Zufriedenheit im Lande zu verbreiten. Ein solches Ergebnis muß natürlich von den Gegnern des jetzigen Regiments beseitigt werden, da sich die¬ selben nur von Unfrieden und Mißstimmung zu erhalten vermögen. Auch die Partikularisten finden die Vorlage nicht dringlich genug, um dem Neichsgedanken ein Opfer zu bringen. Denn in der That, wenn der Entwurf zum Gesetz er¬ hoben würde, würde jener Gedanke in die fernste Gegend, in Haus und Hütte getragen. Abgesehen von Baiern und Würtemberg würden die für die Spar¬ einlagen bestimmten etwa 11000 Poststellen in mehr als 10400 Orten auch dem kleinen, nicht an dem PostVerkehr beteiligten Manne zeigen, daß das Reich ein warmes Herz für seine Bedürfnisse hat, und ihm täglich dieses Mahuzeichen sichtbar vor die Augen führen. Zwar ist mit dieser Stärkung des Reichs- patriotismus durchaus keine Schwächung des föderativem Charakters unsers Reiches verbunden, aber innerhalb ihrer engern Pfähle fühlen sich jene Herren durch jede Äußerung der Neichsmacht beklommen, und sie zögern nicht, soweit sie es mit der Rücksicht auf ihre Wahlsitze vereinigen können, das materielle Volkswohl ihrem engen Territorialpatriotismus hintanzusetzen. Die preußischen Konservativen endlich leitet die Rücksicht auf ihre kommunalen Sparkassen, bei denen sie selbst Verwaltung und Aufsicht haben und dadurch bei dem Aus¬ leihen der Gelder einen gewissen Einfluß besitzen. Ihr Widerspruch ist sachlich, aber engherzig und in beschränktem Gesichtskreis entstanden. Der sozialpolitische Charakter, welchen das hohenzollernsche Königtum von jeher auf seine Fahne geschrieben hat, hat auch dem heute so entwickelten kom¬ munalen Sparkassenwesen seinen Ursprung gegeben. Das Reglement vom 12. De¬ zember 1838 hebt ausdrücklich hervor, daß die Einrichtung hauptsächlich auf das Bedürfnis der ärmeren Klasse berechnet sei, welcher Gelegenheit zur Anlegung kleiner Ersparnisse gegeben werden solle. Schon im Jahre 1870 betrug die Summe der gesamten Spareinlagen in Preußen nahezu fünfhundert Millionen Mark, und das hier gegebene Beispiel fand namentlich seit der Einigung Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/502>, abgerufen am 15.05.2024.