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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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T>!e Postsparkassen im Reichstage.

Von Staat und Verwaltung sitzen. Die souveräne Fraktionspolitik tritt aber
wiederum sachlichen Gründen und dem wirklichen Bedürfnis des Volkes ent¬
gegen. Das ist ein gewagtes Spiel, und nach den gemachten Erfahrungen ist
der Einsatz ein hoher. Wir erinnern daran, daß der Widerstand gegen die
Dampfersubvention den Freisinnigen einen Teil ihrer Sitze gekostet hat. Wir
erinnern an die Opposition, welche der Liberalismus durch drei Sessionen der
Unfallversicherung gemacht hat. Jetzt können wir täglich in den Zeitungen lesen,
mit welcher Begeisterung gerade von den beteiligten Kreisen die Segnungen der
staatlichen Unfallversicherung aufgenommen werden. Die freisinnige Opposition
beklagt sich darüber, daß der Reichskanzler das Ansehen des Parlaments unter¬
grabe. Wenn in dieser Klage das Zugeständnis liegt, daß das Parlament
immer mehr an Kredit bei der Bevölkerung verliere, so kann man diese Klage
nur als durchaus begründet ansehen. Aber nicht der Reichskanzler ist es, son¬
dern die Fraktionen sind es, welche dem Parlament seinen Boden entziehen.
Denn besonders die gewählte Vertretung des Volkes müßte es für ihre höchste
Aufgabe betrachten, den realen Wünschen und Bedürfnissen desselben Rechnung
zu tragen. Doch gerade diesen gegenüber schließt das Parlament die Augen.
Ist es dann nicht natürlich, daß das Volk einmal überlegt, wie alle die großen
Erfolge der letzten fünfundzwanzig Jahre nicht mit Hilfe des Parlaments, son¬
dern im Kampfe gegen den Widerspruch desselben durchgesetzt worden sind?
Muß uicht das Volk in dem Parlament mehr ein Hindernis als eine Förde¬
rung seiner Wohlfahrt erblicken? Fürwahr, wenn man diese ewigen Nörgeleien
und Kämpfe mit einem nicht vom Parteigeist getrübten Auge sieht, muß man
mit Schamgefühl an die künftigen Geschlechter denken, welche dereinst über die
Thaten unsrer Gegenwart zu Gericht sitzen werden. Dann wird sich auch ein
andrer Mommsen finden, der diejenigen glücklich preist, denen in der Nähe des
Reichskanzlers -- wie einst Cäsars -- vergönnt war, einen Abglanz seiner
Weisheit zu erHaschen, und der diejenigen brandmarkt, welche in geistiger und
moralischer Verblendung dem Wirken dieses großen Staatsmannes Hindernisse
auf Hindernisse häuften. Aber so wenig wie die Lobeserhebungen Mommseus
des Volkes Versündigung gegen Cäsar gutmachen, so wenig kann das unaus¬
bleibliche Lob der Zukunft über unsern großen Reichskanzler uns das Elend der
Gegenwart vergessen lassen.




T>!e Postsparkassen im Reichstage.

Von Staat und Verwaltung sitzen. Die souveräne Fraktionspolitik tritt aber
wiederum sachlichen Gründen und dem wirklichen Bedürfnis des Volkes ent¬
gegen. Das ist ein gewagtes Spiel, und nach den gemachten Erfahrungen ist
der Einsatz ein hoher. Wir erinnern daran, daß der Widerstand gegen die
Dampfersubvention den Freisinnigen einen Teil ihrer Sitze gekostet hat. Wir
erinnern an die Opposition, welche der Liberalismus durch drei Sessionen der
Unfallversicherung gemacht hat. Jetzt können wir täglich in den Zeitungen lesen,
mit welcher Begeisterung gerade von den beteiligten Kreisen die Segnungen der
staatlichen Unfallversicherung aufgenommen werden. Die freisinnige Opposition
beklagt sich darüber, daß der Reichskanzler das Ansehen des Parlaments unter¬
grabe. Wenn in dieser Klage das Zugeständnis liegt, daß das Parlament
immer mehr an Kredit bei der Bevölkerung verliere, so kann man diese Klage
nur als durchaus begründet ansehen. Aber nicht der Reichskanzler ist es, son¬
dern die Fraktionen sind es, welche dem Parlament seinen Boden entziehen.
Denn besonders die gewählte Vertretung des Volkes müßte es für ihre höchste
Aufgabe betrachten, den realen Wünschen und Bedürfnissen desselben Rechnung
zu tragen. Doch gerade diesen gegenüber schließt das Parlament die Augen.
Ist es dann nicht natürlich, daß das Volk einmal überlegt, wie alle die großen
Erfolge der letzten fünfundzwanzig Jahre nicht mit Hilfe des Parlaments, son¬
dern im Kampfe gegen den Widerspruch desselben durchgesetzt worden sind?
Muß uicht das Volk in dem Parlament mehr ein Hindernis als eine Förde¬
rung seiner Wohlfahrt erblicken? Fürwahr, wenn man diese ewigen Nörgeleien
und Kämpfe mit einem nicht vom Parteigeist getrübten Auge sieht, muß man
mit Schamgefühl an die künftigen Geschlechter denken, welche dereinst über die
Thaten unsrer Gegenwart zu Gericht sitzen werden. Dann wird sich auch ein
andrer Mommsen finden, der diejenigen glücklich preist, denen in der Nähe des
Reichskanzlers — wie einst Cäsars — vergönnt war, einen Abglanz seiner
Weisheit zu erHaschen, und der diejenigen brandmarkt, welche in geistiger und
moralischer Verblendung dem Wirken dieses großen Staatsmannes Hindernisse
auf Hindernisse häuften. Aber so wenig wie die Lobeserhebungen Mommseus
des Volkes Versündigung gegen Cäsar gutmachen, so wenig kann das unaus¬
bleibliche Lob der Zukunft über unsern großen Reichskanzler uns das Elend der
Gegenwart vergessen lassen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/508>, abgerufen am 22.05.2024.