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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Einkommen eines Ministers genießt, denn er ist ja ein "Schriftsteller," ein
"Dichter." Diese schönen Worte haben aber leider zu verschiedenen Zeiten ver¬
schiedene Bedeutung, was freilich gar zu gern vergessen wird. "Erhebe die
Kunst nicht höher, als sie mag verdienen" sagt ein österreichischer Dichter unsrer
Zeit; "so manches um sie her hält ihr die Schwebe": in der That eines der
größten Worte, die von einem modernen Schriftsteller gesprochen worden
sind, sie verraten eine tiefe Erkenntnis des gesellschaftlichen Wertes unsrer
heutigen Dichtung.

Am ehesten ist unsrer Generation derjenige Dichter verständlich, der nicht bloß
dichtet, sondern nebenbei irgendeinem Berufe nachgeht. Hierzu aber wollen sich
die wenigsten verstehen, die einmal Verse haben drucken lassen. Und doch, wen
beschliche nicht ein Lächeln, wenn er von unsern heutigen Poeten zweiten und
dritten Ranges den Grund dieser Abneigung vernimmt: die Fesseln prosaischer
Alltagsarbcit würden den Flug ihres Geistes hindern, Phantasie und Ge¬
staltungskraft würden in ihnen versiegen. Man braucht sich dabei garnicht
Goethes zu erinnern, aber wie wenige bedeutende Dichter trieben das Dichten
als Profession! Um bei den Österreichern zu bleiben: Joseph Heinrich Collin
war Staatsbeamter mit Leib und Seele, er fühlte sich in seinem Berufe
glücklich, und gerade dieser lieferte ihm bedeutende Anregungen. Grillparzer
allerdings war in einer bürgerlichen Stellung, die seinem Talente nicht nur
keine Nahrung gab, sondern der freien Entwicklung desselben sogar hinderlich
war, aber er sehnte sich nicht etwa nach einer beschaulichen Muße, um ganz
der Dichtkunst leben zu können, sein Streben war nur, aus dem Staube der
Finanzakten in den Bezirk des politischen Geschäftslebens oder zu einer wissen¬
schaftlichen Beschäftigung -- etwa in einer Bibliothek -- zu gelangen. Anton
Prokesch, der nachmalige österreichische Jnternuntius in Konstantinopel, ein
über die Grenzen seines engern Vaterlandes leider wenig bekannter vorzüg¬
licher Prosaiker und formvollendeter Dichter, war Soldat und freute sich seines
Standes; auch diplomatischen Geschäften aller Art unterzog er sich gern mit
Geschick und Erfolg; in seinen vertraulichen Briefen klagt er nicht etwa über
Mangel an Muße, sondern über Mangel an Thätigkeit. Der Höhepunkt von
Bauernfelds poetischem Schaffen fällt auch nicht in die Tage, die er ganz und
gar dem Schriftstellertum widmen konnte, und Julius von der Traun täuscht,
sich ebenfalls, wenn er glaubt, die schönsten Früchte seines Dichterlebens seien
ihm erst gereift, als er den Schauplatz des thätigen Lebens bereits verlassen
hatte. Wenig ersprießlich dürfte allerdings die journalistische Beschäftigung für
die künstlerische Ausbildung eines Dichters sein, denn diese höhlt doch den
innern Menschen unendlich aus, indem sie ihn zwingt, kaum Erworbenes gleich
wieder auszugeben, sodaß er niemals dazu kommt, einen geistigen Besitz anzu¬
sammeln und die Früchte seines Lebens reifen zu lassen. Aber gerade dieser
Erwerbszweig wird von unsern Dichtern mit Vorliebe ergriffen, weil sich dabei


Unpolitische Briefe aus Wien.

Einkommen eines Ministers genießt, denn er ist ja ein „Schriftsteller," ein
„Dichter." Diese schönen Worte haben aber leider zu verschiedenen Zeiten ver¬
schiedene Bedeutung, was freilich gar zu gern vergessen wird. „Erhebe die
Kunst nicht höher, als sie mag verdienen" sagt ein österreichischer Dichter unsrer
Zeit; „so manches um sie her hält ihr die Schwebe": in der That eines der
größten Worte, die von einem modernen Schriftsteller gesprochen worden
sind, sie verraten eine tiefe Erkenntnis des gesellschaftlichen Wertes unsrer
heutigen Dichtung.

Am ehesten ist unsrer Generation derjenige Dichter verständlich, der nicht bloß
dichtet, sondern nebenbei irgendeinem Berufe nachgeht. Hierzu aber wollen sich
die wenigsten verstehen, die einmal Verse haben drucken lassen. Und doch, wen
beschliche nicht ein Lächeln, wenn er von unsern heutigen Poeten zweiten und
dritten Ranges den Grund dieser Abneigung vernimmt: die Fesseln prosaischer
Alltagsarbcit würden den Flug ihres Geistes hindern, Phantasie und Ge¬
staltungskraft würden in ihnen versiegen. Man braucht sich dabei garnicht
Goethes zu erinnern, aber wie wenige bedeutende Dichter trieben das Dichten
als Profession! Um bei den Österreichern zu bleiben: Joseph Heinrich Collin
war Staatsbeamter mit Leib und Seele, er fühlte sich in seinem Berufe
glücklich, und gerade dieser lieferte ihm bedeutende Anregungen. Grillparzer
allerdings war in einer bürgerlichen Stellung, die seinem Talente nicht nur
keine Nahrung gab, sondern der freien Entwicklung desselben sogar hinderlich
war, aber er sehnte sich nicht etwa nach einer beschaulichen Muße, um ganz
der Dichtkunst leben zu können, sein Streben war nur, aus dem Staube der
Finanzakten in den Bezirk des politischen Geschäftslebens oder zu einer wissen¬
schaftlichen Beschäftigung — etwa in einer Bibliothek — zu gelangen. Anton
Prokesch, der nachmalige österreichische Jnternuntius in Konstantinopel, ein
über die Grenzen seines engern Vaterlandes leider wenig bekannter vorzüg¬
licher Prosaiker und formvollendeter Dichter, war Soldat und freute sich seines
Standes; auch diplomatischen Geschäften aller Art unterzog er sich gern mit
Geschick und Erfolg; in seinen vertraulichen Briefen klagt er nicht etwa über
Mangel an Muße, sondern über Mangel an Thätigkeit. Der Höhepunkt von
Bauernfelds poetischem Schaffen fällt auch nicht in die Tage, die er ganz und
gar dem Schriftstellertum widmen konnte, und Julius von der Traun täuscht,
sich ebenfalls, wenn er glaubt, die schönsten Früchte seines Dichterlebens seien
ihm erst gereift, als er den Schauplatz des thätigen Lebens bereits verlassen
hatte. Wenig ersprießlich dürfte allerdings die journalistische Beschäftigung für
die künstlerische Ausbildung eines Dichters sein, denn diese höhlt doch den
innern Menschen unendlich aus, indem sie ihn zwingt, kaum Erworbenes gleich
wieder auszugeben, sodaß er niemals dazu kommt, einen geistigen Besitz anzu¬
sammeln und die Früchte seines Lebens reifen zu lassen. Aber gerade dieser
Erwerbszweig wird von unsern Dichtern mit Vorliebe ergriffen, weil sich dabei


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[0528] Unpolitische Briefe aus Wien. Einkommen eines Ministers genießt, denn er ist ja ein „Schriftsteller," ein „Dichter." Diese schönen Worte haben aber leider zu verschiedenen Zeiten ver¬ schiedene Bedeutung, was freilich gar zu gern vergessen wird. „Erhebe die Kunst nicht höher, als sie mag verdienen" sagt ein österreichischer Dichter unsrer Zeit; „so manches um sie her hält ihr die Schwebe": in der That eines der größten Worte, die von einem modernen Schriftsteller gesprochen worden sind, sie verraten eine tiefe Erkenntnis des gesellschaftlichen Wertes unsrer heutigen Dichtung. Am ehesten ist unsrer Generation derjenige Dichter verständlich, der nicht bloß dichtet, sondern nebenbei irgendeinem Berufe nachgeht. Hierzu aber wollen sich die wenigsten verstehen, die einmal Verse haben drucken lassen. Und doch, wen beschliche nicht ein Lächeln, wenn er von unsern heutigen Poeten zweiten und dritten Ranges den Grund dieser Abneigung vernimmt: die Fesseln prosaischer Alltagsarbcit würden den Flug ihres Geistes hindern, Phantasie und Ge¬ staltungskraft würden in ihnen versiegen. Man braucht sich dabei garnicht Goethes zu erinnern, aber wie wenige bedeutende Dichter trieben das Dichten als Profession! Um bei den Österreichern zu bleiben: Joseph Heinrich Collin war Staatsbeamter mit Leib und Seele, er fühlte sich in seinem Berufe glücklich, und gerade dieser lieferte ihm bedeutende Anregungen. Grillparzer allerdings war in einer bürgerlichen Stellung, die seinem Talente nicht nur keine Nahrung gab, sondern der freien Entwicklung desselben sogar hinderlich war, aber er sehnte sich nicht etwa nach einer beschaulichen Muße, um ganz der Dichtkunst leben zu können, sein Streben war nur, aus dem Staube der Finanzakten in den Bezirk des politischen Geschäftslebens oder zu einer wissen¬ schaftlichen Beschäftigung — etwa in einer Bibliothek — zu gelangen. Anton Prokesch, der nachmalige österreichische Jnternuntius in Konstantinopel, ein über die Grenzen seines engern Vaterlandes leider wenig bekannter vorzüg¬ licher Prosaiker und formvollendeter Dichter, war Soldat und freute sich seines Standes; auch diplomatischen Geschäften aller Art unterzog er sich gern mit Geschick und Erfolg; in seinen vertraulichen Briefen klagt er nicht etwa über Mangel an Muße, sondern über Mangel an Thätigkeit. Der Höhepunkt von Bauernfelds poetischem Schaffen fällt auch nicht in die Tage, die er ganz und gar dem Schriftstellertum widmen konnte, und Julius von der Traun täuscht, sich ebenfalls, wenn er glaubt, die schönsten Früchte seines Dichterlebens seien ihm erst gereift, als er den Schauplatz des thätigen Lebens bereits verlassen hatte. Wenig ersprießlich dürfte allerdings die journalistische Beschäftigung für die künstlerische Ausbildung eines Dichters sein, denn diese höhlt doch den innern Menschen unendlich aus, indem sie ihn zwingt, kaum Erworbenes gleich wieder auszugeben, sodaß er niemals dazu kommt, einen geistigen Besitz anzu¬ sammeln und die Früchte seines Lebens reifen zu lassen. Aber gerade dieser Erwerbszweig wird von unsern Dichtern mit Vorliebe ergriffen, weil sich dabei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/528>, abgerufen am 21.05.2024.