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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

sterblich zu werden und den Kampf ums Dasein nach bestimmten, selbst gege¬
benen Gesetzen zu kämpfen. Der Dichter aber, der vom Lethetrank, den die
übrigen leerten, nur genippt hat, erinnert sich daran, und wie seltsam, ja lächer¬
lich erscheint es ihm nun, wenn die Menschen klagen, ja wohl gar verzweifeln
wollen über ein bloßes Spiel, in das sie sich mit freiem Willen begeben!
"Zerreiße schnell den Trug," ruft er dem Menschen zu,


Darum, daß du zum Schaden nicht auch noch habest den Spott,
Erheb' dein Haupt nun wieder recht wie ein junger Gott.
Gedenk', wir werden von oben gesehen und bewacht!
Wenn wir nicht gut uns hielten, wir würden gar ausgelacht.

Aber weil der arme Mensch diese neue Märe nur ungläubig vernimmt -- denn
warum hätte er sich nicht wenigstens eines Königs Loos, größere Kraft und
Reichtum, Schönheit und mehr Lebensmut erwählt --, so belehrt ihn der
Dichter weiter:


Nun höre, Himmelskind,
Warum die seligen Götter zur Welt gekommen sind.
Sie sind nicht hergekommen zur Bube hier verdammt,
Auch nicht um zu erfüllen bestimmungsschweres Amt,
Nur um das zu genießen, was sie noch nicht gewußt:
Die Wonnen alle des Schmerzes und der Leiden Lust. . .
Zu hungern und zu dürsten, das strebten sie wohl recht,
Den Willen einzuschließen als strenger Schicksalsknecht;
Ihre Kraft zu suhlen in süßer Müdigkeit,
Das Glück erst zu ersehnen in hängender Liebe Leid;
Den Mut selbst zu erproben in sclbstgcschaffner Not,
Den Augenblick zu genießen, im Gefühl der Vernichtung, im Tod;
Der göttlichen Würde doch sicher in niederster Knechtschaft Schmach,
Nicht scheuend die bittersten Bande, die die Gottheit endlich zerbrach....

Wie man sieht, sind die verwendeten Motive nicht neu, die deutsche philo¬
sophische Lyrik hat sie wiederholt vciriirt, aber originell ist die optimistische
Wendung, die denn auch zu ganz andern Konsequenzen führt, als die meist pessi¬
mistische andrer modernen Dichter.


Du hast nun keinen Führer, du stehst nun ganz allein,
Du selber mußt dein Führer, du selbst dein Meister sein,
So sorg' nur an dir selber, daß nichts zu richten sei;
Wenn du dich selbst verdammest, so spricht dich niemand frei.
Das, was ich euch hier biete, es ist ein schwer Gebot,
Ihr müßt ein jeder leben wie der vollkommne Gott.

Über die Wirklichkeit zu schmähen hat also dieser Dichter keinen Grund, er freut
sich des Lebens, des Kampfes, fordert seine Mitstreiter ans, nur ja den Gegner
nicht zu schonen, denn wo bliebe des Spieles Lust, wenn man den eignen Sieg
und des Feindes Unterliegen nicht wünschte? Von Mitleid möge man die Seele
frei halten, es sei nicht Sünde zu kämpfen, man thue es ja nur aus Not.


Unpolitische Briefe aus Wien.

sterblich zu werden und den Kampf ums Dasein nach bestimmten, selbst gege¬
benen Gesetzen zu kämpfen. Der Dichter aber, der vom Lethetrank, den die
übrigen leerten, nur genippt hat, erinnert sich daran, und wie seltsam, ja lächer¬
lich erscheint es ihm nun, wenn die Menschen klagen, ja wohl gar verzweifeln
wollen über ein bloßes Spiel, in das sie sich mit freiem Willen begeben!
„Zerreiße schnell den Trug," ruft er dem Menschen zu,


Darum, daß du zum Schaden nicht auch noch habest den Spott,
Erheb' dein Haupt nun wieder recht wie ein junger Gott.
Gedenk', wir werden von oben gesehen und bewacht!
Wenn wir nicht gut uns hielten, wir würden gar ausgelacht.

Aber weil der arme Mensch diese neue Märe nur ungläubig vernimmt — denn
warum hätte er sich nicht wenigstens eines Königs Loos, größere Kraft und
Reichtum, Schönheit und mehr Lebensmut erwählt —, so belehrt ihn der
Dichter weiter:


Nun höre, Himmelskind,
Warum die seligen Götter zur Welt gekommen sind.
Sie sind nicht hergekommen zur Bube hier verdammt,
Auch nicht um zu erfüllen bestimmungsschweres Amt,
Nur um das zu genießen, was sie noch nicht gewußt:
Die Wonnen alle des Schmerzes und der Leiden Lust. . .
Zu hungern und zu dürsten, das strebten sie wohl recht,
Den Willen einzuschließen als strenger Schicksalsknecht;
Ihre Kraft zu suhlen in süßer Müdigkeit,
Das Glück erst zu ersehnen in hängender Liebe Leid;
Den Mut selbst zu erproben in sclbstgcschaffner Not,
Den Augenblick zu genießen, im Gefühl der Vernichtung, im Tod;
Der göttlichen Würde doch sicher in niederster Knechtschaft Schmach,
Nicht scheuend die bittersten Bande, die die Gottheit endlich zerbrach....

Wie man sieht, sind die verwendeten Motive nicht neu, die deutsche philo¬
sophische Lyrik hat sie wiederholt vciriirt, aber originell ist die optimistische
Wendung, die denn auch zu ganz andern Konsequenzen führt, als die meist pessi¬
mistische andrer modernen Dichter.


Du hast nun keinen Führer, du stehst nun ganz allein,
Du selber mußt dein Führer, du selbst dein Meister sein,
So sorg' nur an dir selber, daß nichts zu richten sei;
Wenn du dich selbst verdammest, so spricht dich niemand frei.
Das, was ich euch hier biete, es ist ein schwer Gebot,
Ihr müßt ein jeder leben wie der vollkommne Gott.

Über die Wirklichkeit zu schmähen hat also dieser Dichter keinen Grund, er freut
sich des Lebens, des Kampfes, fordert seine Mitstreiter ans, nur ja den Gegner
nicht zu schonen, denn wo bliebe des Spieles Lust, wenn man den eignen Sieg
und des Feindes Unterliegen nicht wünschte? Von Mitleid möge man die Seele
frei halten, es sei nicht Sünde zu kämpfen, man thue es ja nur aus Not.


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[0540] Unpolitische Briefe aus Wien. sterblich zu werden und den Kampf ums Dasein nach bestimmten, selbst gege¬ benen Gesetzen zu kämpfen. Der Dichter aber, der vom Lethetrank, den die übrigen leerten, nur genippt hat, erinnert sich daran, und wie seltsam, ja lächer¬ lich erscheint es ihm nun, wenn die Menschen klagen, ja wohl gar verzweifeln wollen über ein bloßes Spiel, in das sie sich mit freiem Willen begeben! „Zerreiße schnell den Trug," ruft er dem Menschen zu, Darum, daß du zum Schaden nicht auch noch habest den Spott, Erheb' dein Haupt nun wieder recht wie ein junger Gott. Gedenk', wir werden von oben gesehen und bewacht! Wenn wir nicht gut uns hielten, wir würden gar ausgelacht. Aber weil der arme Mensch diese neue Märe nur ungläubig vernimmt — denn warum hätte er sich nicht wenigstens eines Königs Loos, größere Kraft und Reichtum, Schönheit und mehr Lebensmut erwählt —, so belehrt ihn der Dichter weiter: Nun höre, Himmelskind, Warum die seligen Götter zur Welt gekommen sind. Sie sind nicht hergekommen zur Bube hier verdammt, Auch nicht um zu erfüllen bestimmungsschweres Amt, Nur um das zu genießen, was sie noch nicht gewußt: Die Wonnen alle des Schmerzes und der Leiden Lust. . . Zu hungern und zu dürsten, das strebten sie wohl recht, Den Willen einzuschließen als strenger Schicksalsknecht; Ihre Kraft zu suhlen in süßer Müdigkeit, Das Glück erst zu ersehnen in hängender Liebe Leid; Den Mut selbst zu erproben in sclbstgcschaffner Not, Den Augenblick zu genießen, im Gefühl der Vernichtung, im Tod; Der göttlichen Würde doch sicher in niederster Knechtschaft Schmach, Nicht scheuend die bittersten Bande, die die Gottheit endlich zerbrach.... Wie man sieht, sind die verwendeten Motive nicht neu, die deutsche philo¬ sophische Lyrik hat sie wiederholt vciriirt, aber originell ist die optimistische Wendung, die denn auch zu ganz andern Konsequenzen führt, als die meist pessi¬ mistische andrer modernen Dichter. Du hast nun keinen Führer, du stehst nun ganz allein, Du selber mußt dein Führer, du selbst dein Meister sein, So sorg' nur an dir selber, daß nichts zu richten sei; Wenn du dich selbst verdammest, so spricht dich niemand frei. Das, was ich euch hier biete, es ist ein schwer Gebot, Ihr müßt ein jeder leben wie der vollkommne Gott. Über die Wirklichkeit zu schmähen hat also dieser Dichter keinen Grund, er freut sich des Lebens, des Kampfes, fordert seine Mitstreiter ans, nur ja den Gegner nicht zu schonen, denn wo bliebe des Spieles Lust, wenn man den eignen Sieg und des Feindes Unterliegen nicht wünschte? Von Mitleid möge man die Seele frei halten, es sei nicht Sünde zu kämpfen, man thue es ja nur aus Not.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/540>, abgerufen am 05.06.2024.