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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zur Revision manchesterlicher Lehren.

ihres Fleißes zu gunsten andrer vorenthalte" werde. Eine gleiche äußere Lage
aller Menschen ist unmöglich, ja sie ist undenkbar, weil die Natur sie ungleich
an Kraft und Fähigkeit des Geistes, sowie des Körpers, und ungleich an Tugend
erschafft; auch wäre solche Gleichheit nicht einmal wünschenswert, weil damit
der Wetteifer, das Streben, durch Anstrengung in eine bessere Lage zu kommen,
vernichtet, also ein Zustand der Versumpfung und allgemeiner Barbarei, und
an die Stelle fortschreitender Vervollkommnung des menschlichen Geschlechtes eine
rückläufige Bewegung zu Urzuständen treten würde. Auch ist ja eine solche
Gleichheit zum Glück der Menschen garnicht nötig, denn wir wissen alle, daß
das Glück viel häufiger in Hütten als in Palästen wohnt.

Ohne Zweifel sind unsre sozialen Zustände sehr wesentlicher Verbesserungen
fähig, gewiß aber keiner radikalen Umgestaltung, wie sie von sozialistischen Sy¬
stemen geträumt werden, aber mit der menschlichen Natur im Widerspruche
stehen. Wo die bessernde Hand anzulegen sei, das zu finden ist eben die Auf¬
gabe unsrer Zeit. Und dieser Aufgabe ist sich unsre Zeit vollkommen bewußt,
und eben darin liegt der Trost für alle diejenigen, welche an die Perfektibilitüt
des menschlichen Geschlechtes glauben und von der Überzeugung durchdrungen
sind, daß das Elend keine göttliche Einrichtung sei.

Wie anders war es in jener klassischen Zeit des wirtschaftlichen Geschehen-
lassens, unter der Herrschaft der Bourgeoisie Louis Philipps, wo mau den
furchtbaren Huugeraufstand der Seidenarbeiter Lyons, welche unter dem Ruhe:
Vivr"z <zu tiÄVÄlllMt on uwurir ein eorudiMaut, zur Gewalt getrieben, einfach
für einen Streit zwischen Arbeitern und Fabrikanten erklärte, der den Staat
nichts angehe! Das vornehmste Organ der herrschenden Bourgeoisie, das ^ouriuü
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Worteschreiben: ^88uro as 1a Mix vn äsllor8, eirtourv ä'uns xuissiullö ariue-o
rvuniö sous 1o Zraxsau trioolorö, 1v gouvorneniWt no xsut orawÄrs ä'autrö8
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Wenn wir näher in die Untersuchung eintreten, so haben wir zunächst den
Kampf auszuscheiden, der zwischen Produzenten und Konsumenten naturgemäß
und unabänderlich besteht. Bedürfnis, Not, Willkür, Laune führen hier die
Herrschaft, sie allein entscheiden, ob und was ich Produzire, ob und was ich
konsumire, und das Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot allein ist es,
was den Preis bestimmt und beim Austausch zwischen Produzenten und Kon¬
sumenten die Herrschaft übt. Die soziale Frage, wie wir sie verstehen, kaun
sich nicht auf diesen Prozeß erstrecken, der das fertige Gut in die Hände des
Konsumenten bringt und der bei richtiger Auffassung, wie wir oben gezeigt
haben, Sache des Handels, nicht der Produktion ist. Wenn der chimärische
Sozialistenstaat auch imstande sein mag, alle Unterthanen unter seiner Führung


Grmzbotml. 188S, 70
Zur Revision manchesterlicher Lehren.

ihres Fleißes zu gunsten andrer vorenthalte» werde. Eine gleiche äußere Lage
aller Menschen ist unmöglich, ja sie ist undenkbar, weil die Natur sie ungleich
an Kraft und Fähigkeit des Geistes, sowie des Körpers, und ungleich an Tugend
erschafft; auch wäre solche Gleichheit nicht einmal wünschenswert, weil damit
der Wetteifer, das Streben, durch Anstrengung in eine bessere Lage zu kommen,
vernichtet, also ein Zustand der Versumpfung und allgemeiner Barbarei, und
an die Stelle fortschreitender Vervollkommnung des menschlichen Geschlechtes eine
rückläufige Bewegung zu Urzuständen treten würde. Auch ist ja eine solche
Gleichheit zum Glück der Menschen garnicht nötig, denn wir wissen alle, daß
das Glück viel häufiger in Hütten als in Palästen wohnt.

Ohne Zweifel sind unsre sozialen Zustände sehr wesentlicher Verbesserungen
fähig, gewiß aber keiner radikalen Umgestaltung, wie sie von sozialistischen Sy¬
stemen geträumt werden, aber mit der menschlichen Natur im Widerspruche
stehen. Wo die bessernde Hand anzulegen sei, das zu finden ist eben die Auf¬
gabe unsrer Zeit. Und dieser Aufgabe ist sich unsre Zeit vollkommen bewußt,
und eben darin liegt der Trost für alle diejenigen, welche an die Perfektibilitüt
des menschlichen Geschlechtes glauben und von der Überzeugung durchdrungen
sind, daß das Elend keine göttliche Einrichtung sei.

Wie anders war es in jener klassischen Zeit des wirtschaftlichen Geschehen-
lassens, unter der Herrschaft der Bourgeoisie Louis Philipps, wo mau den
furchtbaren Huugeraufstand der Seidenarbeiter Lyons, welche unter dem Ruhe:
Vivr«z <zu tiÄVÄlllMt on uwurir ein eorudiMaut, zur Gewalt getrieben, einfach
für einen Streit zwischen Arbeitern und Fabrikanten erklärte, der den Staat
nichts angehe! Das vornehmste Organ der herrschenden Bourgeoisie, das ^ouriuü
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Wenn wir näher in die Untersuchung eintreten, so haben wir zunächst den
Kampf auszuscheiden, der zwischen Produzenten und Konsumenten naturgemäß
und unabänderlich besteht. Bedürfnis, Not, Willkür, Laune führen hier die
Herrschaft, sie allein entscheiden, ob und was ich Produzire, ob und was ich
konsumire, und das Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot allein ist es,
was den Preis bestimmt und beim Austausch zwischen Produzenten und Kon¬
sumenten die Herrschaft übt. Die soziale Frage, wie wir sie verstehen, kaun
sich nicht auf diesen Prozeß erstrecken, der das fertige Gut in die Hände des
Konsumenten bringt und der bei richtiger Auffassung, wie wir oben gezeigt
haben, Sache des Handels, nicht der Produktion ist. Wenn der chimärische
Sozialistenstaat auch imstande sein mag, alle Unterthanen unter seiner Führung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/565>, abgerufen am 22.05.2024.