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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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wenn in Mecklenburg die Tagelöhner auf den adlichen Gütern unter den andern
Punkten, in denen sie eine Verbesserung ihrer Lage begehrten -- wenigstens
vier bis sechs solcher Punkte mußte jede Petition enthalten --, auch die For¬
derung stellten, daß die Gutsherren künftig nicht mehr die Gutsuhren während
der Arbeitszeit umstellten und auf diese Weise die Arbeitszeit verlängerten.
Die Schüler eines Gymnasiums forderten in einer "Sturmpetition," daß die
Primaner und sekundärer fortan nicht mehr mit Du, sondern mit dem höf¬
lichen Sie von den Lehrern angeredet würden -- nur dem alten Direktor sollte
als ein persönliches Recht die Erlaubnis bleiben, das gewohnte Du noch ferner
zu brauchen; ferner forderten sie, daß ihnen der Besuch von Wirtshäusern frei¬
gegeben würde, u. dergl.

Ganz besonders war es der Wald, auf den sich die Petitionsstürme rich¬
teten, und der alte vom Rechte längst begrabene, aber doch immer im naiven
Volksbewußtsein schlummernde Gedanke, daß es am Walde kein Privateigentum
gebe, sondern daß der Wald Gemeingut sei, kam überall zum offenen Ausdruck.
Jagdfreiheit wurde begehrt, und man wartete meistens auch garnicht die förm¬
liche Gewährung derselben ab, sondern es erhob sich alsbald fast in allen
deutschen Landen ein wahrer Vernichtungskrieg gegen alles Wild, und die Jäger
wuchsen zu tausenden aus der Erde. Selbst alte Musketen und Donnerbüchsen
mußten dazu dienen, um dem edeln Wilde, welches noch an die Heiligkeit der
Schonzeit glaubte, den Garaus zu machen, und nicht bloß das Wild, sondern
auch sehr viele der neuen ungeschickten Jäger mit den schlechten Waffen haben
mit ihrem Blute der jungen Freiheit und ihrer großen Ungeschicklichkeit Opfer
bringen müssen. Neben freier Jagd forderte man aber auch freies Holz und
setzte sich ebenfalls alsbald in Besitz dieser Freiheit, und mancher schöne Wald
hat viele Jahre gebraucht, um die damals erlittenen Schäden zu überwinden.
So friedlich sich mancherorts der Petitivnssturm abwickelte, so kam es doch an
andern Orten schon in diesem ersten Nevolutivnsstadium zu Zerstörungen, zu
Brand und Blutvergießen. Der aufgeregte Pöbel begehrte hie und da Rache
an den seitherigen Machthabern zu nehmen und wollte seinen Sieg durch Zer¬
störungen gefeiert sehen; anderswo wurde zur Vernichtung der Archive aufgehetzt,
damit nicht mit deren Hilfe alte Rechte geltend gemacht werden könnten, und
nirgends konnte man sich bald wieder in ruhige Ordnung hineinfinden.

Am trostlosesten war der Verlauf in Berlin; hier wurde jener blutige, zer¬
störende Kampf vom 18. März ohne bewußten Zweck in sinnloser Wut gekämpft,
ohne daß ein Kampfpreis vorhanden war, den die Menge der Kümpfenden Hütte
erringen wollen. Allerdings gab es bewußte Umsturzmänner und fremde Emissäre,
die den Kampf schürten, und sie wollten in dem allgemeinen Chaos, das sie
herbeizuführen suchten, ihr Schäfchen ins Trockene bringe"; aber die Zahl dieser
Leute war doch verhältnismäßig sehr klein, und auf Grund meiner Wahr¬
nehmungen muß ich sehr bestimmt der mitunter verbreiteten Meinung entgegen-


wenn in Mecklenburg die Tagelöhner auf den adlichen Gütern unter den andern
Punkten, in denen sie eine Verbesserung ihrer Lage begehrten — wenigstens
vier bis sechs solcher Punkte mußte jede Petition enthalten —, auch die For¬
derung stellten, daß die Gutsherren künftig nicht mehr die Gutsuhren während
der Arbeitszeit umstellten und auf diese Weise die Arbeitszeit verlängerten.
Die Schüler eines Gymnasiums forderten in einer „Sturmpetition," daß die
Primaner und sekundärer fortan nicht mehr mit Du, sondern mit dem höf¬
lichen Sie von den Lehrern angeredet würden — nur dem alten Direktor sollte
als ein persönliches Recht die Erlaubnis bleiben, das gewohnte Du noch ferner
zu brauchen; ferner forderten sie, daß ihnen der Besuch von Wirtshäusern frei¬
gegeben würde, u. dergl.

Ganz besonders war es der Wald, auf den sich die Petitionsstürme rich¬
teten, und der alte vom Rechte längst begrabene, aber doch immer im naiven
Volksbewußtsein schlummernde Gedanke, daß es am Walde kein Privateigentum
gebe, sondern daß der Wald Gemeingut sei, kam überall zum offenen Ausdruck.
Jagdfreiheit wurde begehrt, und man wartete meistens auch garnicht die förm¬
liche Gewährung derselben ab, sondern es erhob sich alsbald fast in allen
deutschen Landen ein wahrer Vernichtungskrieg gegen alles Wild, und die Jäger
wuchsen zu tausenden aus der Erde. Selbst alte Musketen und Donnerbüchsen
mußten dazu dienen, um dem edeln Wilde, welches noch an die Heiligkeit der
Schonzeit glaubte, den Garaus zu machen, und nicht bloß das Wild, sondern
auch sehr viele der neuen ungeschickten Jäger mit den schlechten Waffen haben
mit ihrem Blute der jungen Freiheit und ihrer großen Ungeschicklichkeit Opfer
bringen müssen. Neben freier Jagd forderte man aber auch freies Holz und
setzte sich ebenfalls alsbald in Besitz dieser Freiheit, und mancher schöne Wald
hat viele Jahre gebraucht, um die damals erlittenen Schäden zu überwinden.
So friedlich sich mancherorts der Petitivnssturm abwickelte, so kam es doch an
andern Orten schon in diesem ersten Nevolutivnsstadium zu Zerstörungen, zu
Brand und Blutvergießen. Der aufgeregte Pöbel begehrte hie und da Rache
an den seitherigen Machthabern zu nehmen und wollte seinen Sieg durch Zer¬
störungen gefeiert sehen; anderswo wurde zur Vernichtung der Archive aufgehetzt,
damit nicht mit deren Hilfe alte Rechte geltend gemacht werden könnten, und
nirgends konnte man sich bald wieder in ruhige Ordnung hineinfinden.

Am trostlosesten war der Verlauf in Berlin; hier wurde jener blutige, zer¬
störende Kampf vom 18. März ohne bewußten Zweck in sinnloser Wut gekämpft,
ohne daß ein Kampfpreis vorhanden war, den die Menge der Kümpfenden Hütte
erringen wollen. Allerdings gab es bewußte Umsturzmänner und fremde Emissäre,
die den Kampf schürten, und sie wollten in dem allgemeinen Chaos, das sie
herbeizuführen suchten, ihr Schäfchen ins Trockene bringe»; aber die Zahl dieser
Leute war doch verhältnismäßig sehr klein, und auf Grund meiner Wahr¬
nehmungen muß ich sehr bestimmt der mitunter verbreiteten Meinung entgegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/572>, abgerufen am 21.05.2024.