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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ans dein Jahre ^3,

giebt, die einen großen Mischmasch von den kleinlichsten Lvkalstreitigkeiten und
den Beratungen über große staatswissenschaftliche Fragen bilden und in der
wichtigen Entdeckung Bräsigs, "daß die große Armut in der Stadt von der
großen Pvwerteh herkomme," ihren sachgemäßen und allgemein befriedigenden
Abschluß finden. So unendlich lächerlich dies Getriebe auch war, so muß man
doch den idealen Zug, der hindurchging, anerkennen, wie denn die Leute auch
damals schon in der äußern Erscheinung nach einem gewissen phantastischen
Aufputz suchten, der für manches Künstlerauge etwas bestechendes gehabt hat.

Ja das deutsche Parlament, das seit dem 1. Mai in Frankfurt tagte, war
der deutliche Ausdruck eiues solchen, die Zeit beherrschenden, in gewissem Sinne
liebenswürdigen, wenn auch sehr unpraktischen Idealismus. Mit Recht sagt
Ranke von ihm: "Die Frankfurter Versammlung ist dadurch einzig in ihrer Art,
daß in ihrer Mitte alle Fragen über das Gesamtlebe" der Nation in freier
Diskussion erörtert wurden, und die verschiedensten Standpunkte wie in einer
aneinanderschließendm Kette ihre Vertreter fanden. Sie war gleichsam eine
Akademie der politischen Wissenschaften in Bezug auf die nationalen Angelegen¬
heiten." So wenig unmittelbaren Nutzen dies Parlament trotz der großen auf
seine Arbeiten verwendeten Mühen gehabt hat, und so arg es deshalb die ge¬
waltigen, auf seine Zusammenkunft gesetzten Hoffnungen des deutschen Volles
getäuscht hat, der Ruhm, daß seine große Mehrheit von einem ideale", ans
hohe Ziele gerichtete" Streben beseelt war, darf ihm nicht bestritten werde".

Mau darf sich also durchaus nicht der Meinung hingeben, als seien damals
nur unlautere und wüste Gesinnungen zu tage getreten, und als habe jeder¬
mann bewußt an dem Untergange des Vaterlandes gearbeitet. Aber das
Fehlen eines kräftigen Armes, der alles geleitet und jeden in seine Schranken
verwiesen hätte, ließ alle jene besseren Bestrebungen in sich zergehen und führte
dahin, daß sich die meisten deutschen Länder mit immer schnelleren Schritten
der Ochlokratie näherten.

Die unter den Märzstürmen eingesetzten neuen Ministerien konnten nur in
wenigen Ländern zu innerer Festigkeit gelangen und sich wirklich der Zügel des
Staates bemächtigen; in den meisten Ländern und zumal in Preußen gerieten
sie alsbald in die Abhängigkeit von den leidenschaftlich erregten und in sich
haltlosen parlamentarischen Versammlungen oder, was noch schlimmer war, von
den Demonstrationen des Straßeupöbels, und ihre Macht schwand dann wie
der Schnee an der Sonne.

Dafür fiel die Macht den Leuten anheim, die bewußt auf den Umsturz
hinarbeiteten, um dabei ihren persönlichen Vorteil oder doch den Vorteil eines
fremden Landes oder einer fremden Sache zu fördern, oder wenigstens solchen
Leuten, denen der wunderbare Umschwung der Dinge zu Kopfe gestiegen war,
sodaß sie wie im Rausche handelten und allen Blick für die realen Lebensverhältnisse
verloren hatten. Oft genug teilten sich Schurken und Fanatiker in das Regiment.


Ans dein Jahre ^3,

giebt, die einen großen Mischmasch von den kleinlichsten Lvkalstreitigkeiten und
den Beratungen über große staatswissenschaftliche Fragen bilden und in der
wichtigen Entdeckung Bräsigs, „daß die große Armut in der Stadt von der
großen Pvwerteh herkomme," ihren sachgemäßen und allgemein befriedigenden
Abschluß finden. So unendlich lächerlich dies Getriebe auch war, so muß man
doch den idealen Zug, der hindurchging, anerkennen, wie denn die Leute auch
damals schon in der äußern Erscheinung nach einem gewissen phantastischen
Aufputz suchten, der für manches Künstlerauge etwas bestechendes gehabt hat.

Ja das deutsche Parlament, das seit dem 1. Mai in Frankfurt tagte, war
der deutliche Ausdruck eiues solchen, die Zeit beherrschenden, in gewissem Sinne
liebenswürdigen, wenn auch sehr unpraktischen Idealismus. Mit Recht sagt
Ranke von ihm: „Die Frankfurter Versammlung ist dadurch einzig in ihrer Art,
daß in ihrer Mitte alle Fragen über das Gesamtlebe» der Nation in freier
Diskussion erörtert wurden, und die verschiedensten Standpunkte wie in einer
aneinanderschließendm Kette ihre Vertreter fanden. Sie war gleichsam eine
Akademie der politischen Wissenschaften in Bezug auf die nationalen Angelegen¬
heiten." So wenig unmittelbaren Nutzen dies Parlament trotz der großen auf
seine Arbeiten verwendeten Mühen gehabt hat, und so arg es deshalb die ge¬
waltigen, auf seine Zusammenkunft gesetzten Hoffnungen des deutschen Volles
getäuscht hat, der Ruhm, daß seine große Mehrheit von einem ideale», ans
hohe Ziele gerichtete» Streben beseelt war, darf ihm nicht bestritten werde».

Mau darf sich also durchaus nicht der Meinung hingeben, als seien damals
nur unlautere und wüste Gesinnungen zu tage getreten, und als habe jeder¬
mann bewußt an dem Untergange des Vaterlandes gearbeitet. Aber das
Fehlen eines kräftigen Armes, der alles geleitet und jeden in seine Schranken
verwiesen hätte, ließ alle jene besseren Bestrebungen in sich zergehen und führte
dahin, daß sich die meisten deutschen Länder mit immer schnelleren Schritten
der Ochlokratie näherten.

Die unter den Märzstürmen eingesetzten neuen Ministerien konnten nur in
wenigen Ländern zu innerer Festigkeit gelangen und sich wirklich der Zügel des
Staates bemächtigen; in den meisten Ländern und zumal in Preußen gerieten
sie alsbald in die Abhängigkeit von den leidenschaftlich erregten und in sich
haltlosen parlamentarischen Versammlungen oder, was noch schlimmer war, von
den Demonstrationen des Straßeupöbels, und ihre Macht schwand dann wie
der Schnee an der Sonne.

Dafür fiel die Macht den Leuten anheim, die bewußt auf den Umsturz
hinarbeiteten, um dabei ihren persönlichen Vorteil oder doch den Vorteil eines
fremden Landes oder einer fremden Sache zu fördern, oder wenigstens solchen
Leuten, denen der wunderbare Umschwung der Dinge zu Kopfe gestiegen war,
sodaß sie wie im Rausche handelten und allen Blick für die realen Lebensverhältnisse
verloren hatten. Oft genug teilten sich Schurken und Fanatiker in das Regiment.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/574>, abgerufen am 21.05.2024.