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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Beschlusse" wurde der Zug durch die Spitzen der Kreisstadt und ihrer Be¬
hörden: Bürgermeister, Stadtverordnetenvorsteher, Oberstleutnant, Landgerichts-
präsideut, Landrnt, Pvstdirektor, Nrmcnhausdirektor und andre, wie sich denn
bei derartigen Gelegenheiten manche Stumpfheit zuspitzt; ganz zuletzt ging der
Vertreter der Regierung, ein vornehmer Herr, dessen Persönlichkeit, abgesehen
von der durch ihn vertretenen Amtsgewalt, das höchste Ansehen in Anspruch
nahm.

Die Stadtbevölkerung zeigte die regste Teilnahme. Die Häuser der Haupt¬
straße waren beflaggt und mit grünem Kranzwerk verziert, halbwüchsige Fichten
waren reichlich aus dem Stadtwalde geholt worden, Gewinde von Nadelgebüsch
waren über die Straße gezogen, in den Fenstern drängten sich Zuschauer, und
die Straßen entlang standen viel mehr Leute, als der Ort allem aufbringen
konnte.

Die Volksstimmung war die fröhlichste. Von den Fenstern wehten Taschen¬
tücher, und was Treibhäuser wie Gärten noch an letzten Blumenresten und
Grün herzugeben vermochten, wurde dem Festzuge als Willkvmmspende ent¬
gegengebracht. Jubel breitete sich aus, ringsum hörte man freudige Äußerungen,
die den einstige" Schülern galten. Sieh doch den, hieß es unzählige male,
was aus ihm geworden ist, sich den Rieger Theodor, den Sommerbrvt Franz,
wie er groß und stark geworden ist! Andre Stimmen ließen sich hören: Ist
das nicht gar der und der? Und wenn darauf zurückgerufen wurde: Freilich,
Meister, freilich, Frau Wirtin, bin ichs, dann jauchzten die Angerufeueu und
alle Umstehenden.

Den Studentenabteilungcn wurde" aus der Menge die reichsten Begrü¬
ßungen der Bürgertöchter zuteil, außerdem ergoß sich auf sie ein förmlicher
Platzregen von Blumen und Blattgrün, dem kräftige Hurrahs der Empfänger
folgten.

Auch für die Kinder, die in Schwärmen den Festzug umdräiigtc", gab es
allerlei Augenweide; den Kleinsten aber erschien von dem Gebotenen als das
Staunenswerteste ein braunflcckiger Wolfshund, der mit den Studenten klug
und bedächtig in Reih und Glied schritt, einen Spazierstock wagerecht im Maule
hielt, aber die laugschleppige Quaste um alles nicht auf das schmutzige Pflaster
auftivpen lassen wollte. Die etwas größeren Knaben und Mädchen richteten
ihre Blicke besonders auf zwei Kommilitonen, die von den andern merklich ab¬
stachen. Der eine war ein in einen jüngeren Jahrgang eiugereihter Matrose,
ein strotzender, sonnverbrannter junger Mann im Schiffsparadeanzuge mit tief
ausgeschnittenem Hemdenkragen, im Nacken den Glanzlederhut mit Flatterhaut;
er war von Quinta fortgelaufen, jahrelang auf hoher See gefahren, war kürzlich
aus Indien zurückgekehrt und nun in der Heimat auf Besuch. Der andre in
einem frühern Jahrgange war ein alter Förster mit langem Vollbarte, dessen
Flügel der Windzug hob wie graue Moosflechtcn, ein Hüne von Gestalt, in


Beschlusse» wurde der Zug durch die Spitzen der Kreisstadt und ihrer Be¬
hörden: Bürgermeister, Stadtverordnetenvorsteher, Oberstleutnant, Landgerichts-
präsideut, Landrnt, Pvstdirektor, Nrmcnhausdirektor und andre, wie sich denn
bei derartigen Gelegenheiten manche Stumpfheit zuspitzt; ganz zuletzt ging der
Vertreter der Regierung, ein vornehmer Herr, dessen Persönlichkeit, abgesehen
von der durch ihn vertretenen Amtsgewalt, das höchste Ansehen in Anspruch
nahm.

Die Stadtbevölkerung zeigte die regste Teilnahme. Die Häuser der Haupt¬
straße waren beflaggt und mit grünem Kranzwerk verziert, halbwüchsige Fichten
waren reichlich aus dem Stadtwalde geholt worden, Gewinde von Nadelgebüsch
waren über die Straße gezogen, in den Fenstern drängten sich Zuschauer, und
die Straßen entlang standen viel mehr Leute, als der Ort allem aufbringen
konnte.

Die Volksstimmung war die fröhlichste. Von den Fenstern wehten Taschen¬
tücher, und was Treibhäuser wie Gärten noch an letzten Blumenresten und
Grün herzugeben vermochten, wurde dem Festzuge als Willkvmmspende ent¬
gegengebracht. Jubel breitete sich aus, ringsum hörte man freudige Äußerungen,
die den einstige» Schülern galten. Sieh doch den, hieß es unzählige male,
was aus ihm geworden ist, sich den Rieger Theodor, den Sommerbrvt Franz,
wie er groß und stark geworden ist! Andre Stimmen ließen sich hören: Ist
das nicht gar der und der? Und wenn darauf zurückgerufen wurde: Freilich,
Meister, freilich, Frau Wirtin, bin ichs, dann jauchzten die Angerufeueu und
alle Umstehenden.

Den Studentenabteilungcn wurde» aus der Menge die reichsten Begrü¬
ßungen der Bürgertöchter zuteil, außerdem ergoß sich auf sie ein förmlicher
Platzregen von Blumen und Blattgrün, dem kräftige Hurrahs der Empfänger
folgten.

Auch für die Kinder, die in Schwärmen den Festzug umdräiigtc», gab es
allerlei Augenweide; den Kleinsten aber erschien von dem Gebotenen als das
Staunenswerteste ein braunflcckiger Wolfshund, der mit den Studenten klug
und bedächtig in Reih und Glied schritt, einen Spazierstock wagerecht im Maule
hielt, aber die laugschleppige Quaste um alles nicht auf das schmutzige Pflaster
auftivpen lassen wollte. Die etwas größeren Knaben und Mädchen richteten
ihre Blicke besonders auf zwei Kommilitonen, die von den andern merklich ab¬
stachen. Der eine war ein in einen jüngeren Jahrgang eiugereihter Matrose,
ein strotzender, sonnverbrannter junger Mann im Schiffsparadeanzuge mit tief
ausgeschnittenem Hemdenkragen, im Nacken den Glanzlederhut mit Flatterhaut;
er war von Quinta fortgelaufen, jahrelang auf hoher See gefahren, war kürzlich
aus Indien zurückgekehrt und nun in der Heimat auf Besuch. Der andre in
einem frühern Jahrgange war ein alter Förster mit langem Vollbarte, dessen
Flügel der Windzug hob wie graue Moosflechtcn, ein Hüne von Gestalt, in


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[0058] Beschlusse» wurde der Zug durch die Spitzen der Kreisstadt und ihrer Be¬ hörden: Bürgermeister, Stadtverordnetenvorsteher, Oberstleutnant, Landgerichts- präsideut, Landrnt, Pvstdirektor, Nrmcnhausdirektor und andre, wie sich denn bei derartigen Gelegenheiten manche Stumpfheit zuspitzt; ganz zuletzt ging der Vertreter der Regierung, ein vornehmer Herr, dessen Persönlichkeit, abgesehen von der durch ihn vertretenen Amtsgewalt, das höchste Ansehen in Anspruch nahm. Die Stadtbevölkerung zeigte die regste Teilnahme. Die Häuser der Haupt¬ straße waren beflaggt und mit grünem Kranzwerk verziert, halbwüchsige Fichten waren reichlich aus dem Stadtwalde geholt worden, Gewinde von Nadelgebüsch waren über die Straße gezogen, in den Fenstern drängten sich Zuschauer, und die Straßen entlang standen viel mehr Leute, als der Ort allem aufbringen konnte. Die Volksstimmung war die fröhlichste. Von den Fenstern wehten Taschen¬ tücher, und was Treibhäuser wie Gärten noch an letzten Blumenresten und Grün herzugeben vermochten, wurde dem Festzuge als Willkvmmspende ent¬ gegengebracht. Jubel breitete sich aus, ringsum hörte man freudige Äußerungen, die den einstige» Schülern galten. Sieh doch den, hieß es unzählige male, was aus ihm geworden ist, sich den Rieger Theodor, den Sommerbrvt Franz, wie er groß und stark geworden ist! Andre Stimmen ließen sich hören: Ist das nicht gar der und der? Und wenn darauf zurückgerufen wurde: Freilich, Meister, freilich, Frau Wirtin, bin ichs, dann jauchzten die Angerufeueu und alle Umstehenden. Den Studentenabteilungcn wurde» aus der Menge die reichsten Begrü¬ ßungen der Bürgertöchter zuteil, außerdem ergoß sich auf sie ein förmlicher Platzregen von Blumen und Blattgrün, dem kräftige Hurrahs der Empfänger folgten. Auch für die Kinder, die in Schwärmen den Festzug umdräiigtc», gab es allerlei Augenweide; den Kleinsten aber erschien von dem Gebotenen als das Staunenswerteste ein braunflcckiger Wolfshund, der mit den Studenten klug und bedächtig in Reih und Glied schritt, einen Spazierstock wagerecht im Maule hielt, aber die laugschleppige Quaste um alles nicht auf das schmutzige Pflaster auftivpen lassen wollte. Die etwas größeren Knaben und Mädchen richteten ihre Blicke besonders auf zwei Kommilitonen, die von den andern merklich ab¬ stachen. Der eine war ein in einen jüngeren Jahrgang eiugereihter Matrose, ein strotzender, sonnverbrannter junger Mann im Schiffsparadeanzuge mit tief ausgeschnittenem Hemdenkragen, im Nacken den Glanzlederhut mit Flatterhaut; er war von Quinta fortgelaufen, jahrelang auf hoher See gefahren, war kürzlich aus Indien zurückgekehrt und nun in der Heimat auf Besuch. Der andre in einem frühern Jahrgange war ein alter Förster mit langem Vollbarte, dessen Flügel der Windzug hob wie graue Moosflechtcn, ein Hüne von Gestalt, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/58>, abgerufen am 21.05.2024.